Mittwoch, 28. Oktober 2015

Psychologie der Arbeitslosigkeit

In einer Kultur, in der Arbeit derart positiv besetzt ist wie in der unseren, kann man die Folgen eines Arbeitsplatzverlusts etwa mit denen einer Partnertrennung vergleichen. Arbeit wie Partner waren vor der Trennung Objekte libidinöser Besetzung. Im Falle der Liebesbeziehung ist das Subjekt nun bestrebt, das Objekt aufzugeben, um Selbstbewusstsein wiederzuerlangen und sich auf sein Leben konzentrieren zu können. Die Suche nach einem neuen Partner steht dabei nicht zwingend im Vordergrund, das soziale Umfeld wird in der Regel vielmehr die Hinwendung des Verlassenen an Freunde oder Hobbys stärken.


Im Falle des Jobverlusts hingegen besteht die gesellschaftliche Erwartungshaltung, sich sofort und ausschließlich wieder um »eine Arbeit«, zumindest aber um den Erhalt bzw. die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit zu kümmern. Deshalb bleibt der Arbeitslose auch ohne Job in der Regel negativ auf Arbeit bezogen und ist mit all den Konsequenzen konfrontiert, die eine misslungene Trauer- und Loslösungsarbeit nach sich ziehen: Ich-Schwäche, Depression, Unterwürfigkeit, gesellschaftliche (Selbst-)Isolation.

Auch wenn man nicht beweisen kann, dass es gesellschaftliche Interessen gibt, die genau diesen Zusammenhang von Angst und Arbeitslosigkeit konserviert wissen wollen, so laufen doch alle Maßnahmen der Arbeitslosigkeitsverwaltung faktisch darauf hinaus. Der Arbeitslose hat sich latent schuldig zu fühlen dafür, auf Kosten der Allgemeinheit alimentiert zu werden. Es wird erwartet, dass es ihm schlecht geht. Das Vertrackte an diesem Funktionsmechanismus besteht nun darin, dass die fatalen psychologischen Folgen der Arbeitslosigkeit in aller Regel jenem Zwangssystem zu Gute kommen, das für sie verantwortlich zeichnet. So verewigen selbst noch diejenigen diesen Zwangszusammenhang, die es gut mit den Arbeitslosen meinen und Arbeitsplätze für sie fordern.

Von Holger Schatz

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