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Samstag, 2. August 2025

Die Strategie des Marktradikalismus

 

Wie der „kooperative Sozialismus“ die Demokratie zerschlägt – und der Libertarismus Beifall klatscht

Seit Jahren wird uns eingetrichtert, der Staat sei ineffizient, teuer und unfähig. Was dabei verschwiegen wird: Seine Schwächung ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer politischen Strategie. Der Staat wurde systematisch ausgehöhlt – durch Privatisierung, Deregulierung, Steuererleichterungen für Konzerne und milliardenschwere Subventionen. Alles im Namen des Marktes, der Freiheit, der Effizienz.

Doch dieser Prozess folgt einem klaren Drehbuch – und der zweite Akt ist noch perfider als der erste.

Denn genau dieselben Kräfte, die den Staat zuvor entkernt haben, nutzen nun dessen erzwungene Schwäche als Argument, ihn weiter zu verschlanken – bis er im Grunde nicht mehr existiert. Was bleibt, ist ein Schattenstaat, der noch die Eigentumsordnung schützt, aber keine soziale Verantwortung mehr trägt. Und genau in diesem Moment tritt eine neue Ideologie auf die Bühne: der libertäre Marktradikalismus.

Er verkauft sich als rebellische Alternative, als radikaler Gegenvorschlag zur angeblichen Staatsdiktatur – dabei ist er in Wahrheit der Totengräber des letzten Rests öffentlicher Ordnung.

Antony C. Sutton und der „kooperative Sozialismus“

Der Ökonom und Historiker Antony C. Sutton hat diese Dynamik bereits in den 1970er-Jahren durchschaut. Er prägte den Begriff des „kooperativen Sozialismus“, um ein System zu beschreiben, in dem sich Staat und Großkapital nicht feindlich gegenüberstehen, sondern in einem stillen Einverständnis zusammenarbeiten. Die Öffentlichkeit zahlt für die Risiken, Verluste und Kosten – während die Gewinne privatisiert werden. Das ist kein Sozialismus im klassischen Sinne, sondern eine gelenkte Ordnung, in der das Volk als Melkkuh für eine kleine Elite dient.

Sutton zeigte: Die große Gegnerschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist oft eine Inszenierung. In Wirklichkeit handelt es sich um ein kartellartiges Zusammenwirken von Staat, Banken, Konzernen und supranationalen Organisationen. Die Demokratie ist dabei nur noch Staffage.

Die libertäre Falle

Hier kommt der Libertarismus ins Spiel – vor allem in alternativen, staatskritischen Milieus. Er gibt sich radikal, rebellisch, freiheitsliebend. Doch seine Rolle in diesem System ist keine befreiende, sondern eine funktionale. Der Libertarismus tritt auf, nachdem der Staat systematisch beschädigt wurde – und liefert dann die scheinlogische Begründung für dessen endgültige Entsorgung.

„Seht her“, ruft der Libertäre, „der Staat funktioniert nicht. Also weg mit ihm.“
Was er nicht sagt: Dass genau seine Ideenväter und wirtschaftlichen Vorbilder Jahrzehnte lang dafür gesorgt haben, dass der Staat überhaupt in diese Lage kam.

Was folgt, ist keine neue Freiheit, sondern ein Marktregime ohne Gegenmacht. Kein neutraler Wettbewerb, sondern die totale Vorherrschaft des Kapitals, abgesichert durch Gesetz, Eigentum und digitale Kontrolle.

Wer verliert?

Die Verlierer stehen fest. Es sind nicht die libertären Meinungsmacher auf ihren Kanälen, nicht die Eigentümer von Unternehmen, nicht die Funktionäre in den Konzernzentralen.

Verlieren werden die Rentnerin mit Mindestpension. Der Paketfahrer im Schichtsystem. Die Alleinerziehende ohne Kita-Platz. Der kranke Mensch ohne Rücklagen. Die Pflegekraft, die längst nicht mehr weiß, wie sie durch den Monat kommen soll.

Verlieren wird die Demokratie selbst – denn sie lebt nicht von der Illusion des Wettbewerbs, sondern von sozialer Teilhabe, kollektiver Verantwortung und der Möglichkeit zur Korrektur.

Der große Coup

Der Coup ist also doppelt:

  1. Erst wird der Staat zum Handlanger des Großkapitals gemacht – durch eine Politik, die ihn seiner Gestaltungsmacht beraubt.

  2. Dann wird diese Ohnmacht als Begründung benutzt, um ihn abzuschaffen – durch die Prediger des radikalen Marktes, die sich als Freiheitskämpfer gerieren, in Wahrheit aber die letzte Bastion gegen die Tyrannei des Geldes zerstören.

Was bleibt, ist eine schöne neue Welt aus Wettbewerb, Auswahl und Eigenverantwortung – in der der Einzelne nichts mehr besitzt, aber für alles verantwortlich gemacht wird.

Was tun?

Es geht nicht darum, den Staat zu verklären. Es geht darum, seine absichtliche Schwächung zu erkennen – und den ideologischen Überbau zu durchbrechen, der diese Entwicklung als „natürlich“, „alternativlos“ oder gar „fortschrittlich“ verkauft.

Wer heute wirklich für Freiheit einsteht, muss nicht gegen den Staat kämpfen, sondern gegen seine Entleerung durch Konzerne und Eliten.
Er muss sich gegen ein System stellen, das sich unter dem Deckmantel des Libertarismus zu einer autoritären Herrschaft des Geldes entwickelt.

Antony Sutton hat die Dynamik dieses Prozesses klar benannt. Höchste Zeit, sie nicht nur zu verstehen – sondern laut auszusprechen.

Bevor es zu spät ist.

Was diese Leute wirklich sind

Sie nennen es Freiheit. In Wahrheit ist es das Lehrbuch des Faschismus – nur in BWL-Sprache.
Sie reden von Eigentum – und meinen die vollständige Entmündigung aller, die nichts besitzen.
Sie wettern gegen den Staat – aber meinen damit, dass niemand mehr stören soll, wenn Kapital alles frisst.

Mises, Hayek, Rothbard, Baader, Krall – das sind nicht die Köpfe einer Freiheitsbewegung.
Das sind die Ideologen eines asozialen Abwracksystems, das sich im Anzug bürgerlich gibt, aber in seinem Kern kälter, elitärer und zerstörerischer ist als jede Uniform je war.

Diese Leute sind die Marktradikalen der letzten Phase.
Sie sind die Theologen des Eigentums, die Priester der Entsolidarisierung.
Sie sind der feingeschliffene Intellekt der sozialen Vernichtung – mit Tabellen, Charts und Goldbarren statt Schlagstöcken.

Sie nennen den Staat „Zwang“ – aber wollen lieber Privateigentum mit Schusswaffe.
Sie nennen Steuern „Raub“ – aber schweigen, wenn Amazon Milliarden abzieht.
Sie wollen alles privatisieren – außer ihre eigenen Rettungsschirme.

Diese Leute sind keine Freiheitsfreunde.
Sie sind die neoliberale Endzeitsekte,
die letzte Ideologie vor dem totalen Zerfall der Zivilgesellschaft.

Und das Bitterste: Die alternative Szene lässt sich von ihnen blenden –
weil sie freundlich auftreten, gebildet klingen und „gegen das System“ reden.
Doch sie sind das System – nur in seiner finalen Form:
Ein Markt ohne Menschen. Eine Freiheit ohne Gerechtigkeit. Eine Ordnung ohne Herz.

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