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Montag, 28. September 2015

Finsternis ist Licht: was steckt hinter der von oben verordneten „Willkommenskultur“?

Wir leben gerade in einem deutschem Märchen. Die Geschichte von „Goldmarie und Pechmarie“ hat ein neues Gewand erhalten; die aktuelle Überschrift lautet „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“. Frau Merkel predigt „Willkommenskultur“, und brave deutsche Bürger überschütten syrische Flüchtlinge mit Teddybären.

Wenn es einem gelingt, in der emotionalen Flut noch Atem zu holen, kommt man sich vor wie in einem schlechten Theaterstück. Oder beim Hören eines Musikstücks, das auf einem verstimmten Instrument gespielt wird.
Quelle: http://vineyardsaker.de/analyse/finsternis-ist-licht/#more-4129

Erst einmal ist das nur eine Art Schmerz, der schwer zu lokalisieren ist. Als vor einigen Jahren das Münchner Glockenspiel renoviert wurde, klang es über ein Jahr lang falsch, tagtäglich; bis dann endlich einige Musiker genau genug hörten, um zu erkennen, dass die Glocken für c´´ und cis´´ vertauscht waren… Noch ist der Quell des Schmerzes beim augenblicklichen Drama nicht genau zu orten; aber dass es falsch klingt, das ist sicher.

Versuchen wir einmal, das Stück in seine Bestandteile zu zergliedern und das eine oder andere Mal die berühmte Frage nach dem „cui bono“ zu stellen.

An der Oberfläche sind es erst einmal die Bilder, die stutzig machen. Zwei davon. Das Bild des ertrunkenen Kindes am Strand, und Bilder aus Budapest, die Flüchtlinge mit einem Foto von Angela Merkel zeigen und mit einer EU-Fahne. Diese Bilder verursachten ein Gefühl wie eine Gräte im Mund beim Fischessen.

Wer immer sich mit dem Thema Migration tatsächlich befasst, weiß, dass im Mittelmeer seit vielen Jahren Menschen ertrinken. Eine der entsetzlichsten Geschichten ereignete sich während der Angriffe auf Libyen. Ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen trieb zwei Wochen lang steuerlos auf dem Mittelmeer, begegnete dabei zweimal Kriegsschiffen, wurde von Helikoptern überflogen und trieb dennoch weiter, bis die Überlebenden schließlich in Italien landeten. Zwei Wochen ohne jeden Versuch einer Rettung auf einer Strecke, die zum damaligen Zeitpunkt völlig überwacht war. Die Meldung schaffte es nicht in die großen Medien, und es wurde nie bekannt, welche Schiffe welcher Nationalität gegen das internationale Seerecht verstoßen haben, das zur Rettung jedes Schiffbrüchigen verpflichtet.

In all den Jahren starben Männer, Frauen und Kinder. Viele darunter nicht ertrunken, sondern verdurstet. In all den Jahren gab es nur wenige Bilder und schon gar nicht die groß angelegte Empörung, die jüngst durch die Gazetten schwappte.

Allerdings hatte das Bild des toten Kindes ein kleines Vorspiel. Die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ vor dem Bundestag. Auch hier gab es Einiges, das überrascht. Man sollte nicht glauben, dass man so einfach jederzeit vor dem Bundestag Löcher in den Rasen graben darf. Dass der milde Polizeieinsatz, der auf den Videos von dieser Aktion zu sehen ist, alles ist, was der Apparat hergibt. Nein, in Summe blieb eher der Eindruck einer mindestens geduldeten, wenn nicht gar geförderten Veranstaltung. Man könnte die Betreiber dieser Aktion für unschuldige Humanisten halten – wenn sie nicht auch schon als Befürworter eines Militäreinsatzes in Syrien aufgetreten wären. Was damals – also vor wenigen Monaten -Rätsel aufgab, ist jetzt klar zu entschlüsseln. Diese Aktion und das Bild gehören zusammen.

Mit dem Foto von Merkel in Budapest hat sich Telepolis schon ausführlicher beschäftigt. Merkel und die Europafahne, das wirkt wie organisierte Gegenpropaganda zu den Bildern, die man aus Griechenland sieht.

Aber gehen wir doch einmal zu den Fakten.

Tatsache ist, es bewegen sich Zehntausende auf der südöstlichen Mittelmeer-Route auf Deutschland zu. Viele davon, aber nicht alle, sind Syrer (syrische Pässe dürften gerade deutlich im Preis gestiegen sein). Warum machen sie sich jetzt auf diesen Weg?

Diese Frage ist keineswegs banal. Wie am Beispiel des Vaters des ertrunkenen Jungen zu lesen war, führte die erste Fluchtetappe sie in die Türkei. Das allerdings nicht gerade eben, sondern schon vor einiger Zeit.

Fluchtbewegungen entstehen, das konnte man am Beispiel der Ukraine deutlich erkennen, am Anfang eines Konfliktes oder bei entscheidenden Umschwüngen. Der Krieg in Syrien dauert schon Jahre, und es gab in den letzten Wochen keine entscheidende Wendung. Für eine große Fluchtbewegung ist es also ein sehr ungewöhnlicher Zeitpunkt.

Die Flüchtenden orientieren sich dabei auf jene Richtung, in der sie sich sicher fühlen, sprich, die Fluchtrichtung gibt oft auch eine politische Orientierung wieder. Aus dem Donbass bewegten sich die meisten Flüchtlinge nach Russland, nicht in Richtung Kiew. Man kann also davon ausgehen, dass jene Syrer, die in die Türkei flüchteten, eher der – wie auch immer zusammengesetzten – Opposition zuneigen (Innerhalb Syriens gibt es wesentlich mehr Binnenflüchtlinge).

Es gibt Berichte, dass die großen Flüchtlingslager, die in der Türkei von der UNO betrieben werden, relativ abgeschottet waren. Die plötzliche Bewegung, die nun stattfindet, hat also mehrere Voraussetzungen. Zum einen muss auf irgendeine Weise eine Art Werbung stattgefunden haben, damit sich so große Mengen auf ein so eindeutiges Ziel hinbewegen. Fluchtbewegungen haben in der Regel einen Ausgangspunkt, es gibt einen Ort von dem geflohen wird, und eine klare Richtung, aber eher selten ein eindeutiges Ziel, schon gar keines, das so weit entfernt liegt. Zum anderen muss dafür die Abschottung der Flüchtlingslager aufgehoben werden. Sprich, ohne aktive Mitwirkung der Türkei hätte diese Bewegung nicht stattfinden können. Auf der Karte lässt sich unschwer erkennen – die gesamte südöstliche Strecke bündelt sich in Istanbul.

Das ist ein deutliches Indiz dafür, das wir es nicht mit einem spontanen Ereignis zu tun haben.

Auf den ersten Blick scheint das ungewöhnlich. Flüchtlinge als Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen? Dieser Gedanke wird sicher sogleich mit dem Etikett „Verschwörungstheorie“ versehen.

Die bundesdeutsche Geschichte kennt dafür aber mehrere Beispiele. Das erste betrifft jene, die hier im Allgemeinen als „Vertriebene“ etikettiert werden, also deutsche Flüchtlinge, die nach dem zweiten Weltkrieg ankamen. Im Gegensatz zur offiziellen Erzählung, die immer betont, wie gut sie versorgt und integriert wurden, blieben sie in der Bundesrepublik bis Anfang der fünfziger Jahre in Lagern. Erst nachdem es 1952 zu einer großen Demonstration der KPD (!) für die sozialen Interessen dieser Flüchtlinge in Bonn kam, fing der Adenauer-Staat an, über Wohnungen und Arbeitsplätze für sie nachzudenken. Der Hintergrund für dieses befremdliche Verhalten (der Krieg war schon Jahre vorüber) war, diese Menschen nutzen zu können, wenn der Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgenommen werden sollte. Die Demonstration (die nebenbei auch zur Einführung der „Bannmeile“ ins bundesdeutsche Recht führte) ließ fürchten, dass diese bisher verlässlich antikommunistisch mobilisierbaren Internierten sich anders besinnen könnten; daher wurde daraufhin die Politik geändert.

Im Verhältnis zum anderen deutschen Staat wurde dauerhaft auf das Abwerben der Bürger gesetzt. Vor der Schließung der Grenze lag besonderes Augenmerk darauf, ausgebildete Arbeitskräfte in die westliche Republik zu locken; das sparte die Kosten für die Ausbildung. Nachdem dieser Zustrom beendet wurde, blieb weiter die propagandistische Nutzung der DDR-Übersiedler, die man auch gerne zu halsbrecherischen Aktionen verleitete, wenn es möglich war.

Nachdem der Zufluss aus der DDR wegfiel, besorgte sich die bundesdeutsche Industrie ihren Arbeitskräftenachschub aus den Anwerbeländern. In diesem Fall konnten sie sich die Ausbildung nicht mehr sparen, aber die Aufwendungen für Kinderbetreuungseinrichtungen, die nötig gewesen wären, damit die hier lebenden Frauen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und natürlich waren die so gewonnenen Arbeitskräfte besonders billig. Sprachunkundige junge Männer ohne Familien sind relativ leicht über den Tisch zu ziehen und nach Bedarf hin- und herzuschieben.

Damit will ich nicht sagen, dass die Bundesregierung hinter diesen Ereignissen steckt. Dieser Punkt ist momentan noch nicht zu klären. Es ist aber wichtig, festzuhalten, dass es kein Novum in der deutschen Politik wäre, wenn dem so wäre.

Aber völlig abgesehen von der Tatsache, wer diese Bewegung ausgelöst hat und warum – wie damit in Deutschland umgegangen wird, dafür ist auf jeden Fall die deutsche Politik verantwortlich.

Betrachten wir einmal die Ebene der konkreten Reaktionen bisher. Ziemlich rasch wurden jetzt die Bedingungen für alle Flüchtlinge verschärft. Alles, was an Verbesserungen in den letzten Jahren erreicht wurde (wie die lang erkämpfte Aufhebung der Residenzpflicht und Geld statt Essenspakete) wurde im Handstreich, und sogar gegen bereits ergangene Urteile des Verfassungsgerichts, wieder rückgängig gemacht. Das offiziell inszenierte „Willkommen“ wird also rechtlich ins Gegenteil verkehrt.

Der Vorstandsvorsitzende von Daimler hat bereits erklärt, er wolle nach Arbeitskräften suchen. Die Forderung, für Flüchtlinge den Mindestlohn aufzuheben, ist auch bereits ausgesprochen. Wohlgemerkt, es gibt nach wie vor viele hier geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keinen Ausbildungsplatz finden. Könnte es sein, dass es gerade ihre Integration ist, die sich hier als Nachteil erweist? Weil sie sich vielleicht doch ein wenig in ihren Rechten auskennen und nicht mehr so leicht handzuhaben sind wie „frische“ Einwanderer?

Es wird oft erwähnt, das Bildungsniveau der Syrer sei so gut. Das ZDF hat ein nettes kleines Filmchen gezeigt, in dem eine syrische Biologin erklärte, sie wolle „ihr Bestes tun“. Wenn es kein deutsch organisierter Fischzug ist, um wieder einmal in anderen Ländern die ausgebildeten Kräfte abzuschöpfen (die USA tun dies bekanntlich ebenfalls gern), dann ist zumindest abzusehen, dass die Fischer reichlich aktiv werden.

Völlig unberechenbar dürften die politischen Folgen sein (bleiben wir dabei erst einmal auf der Ebene des Apparats). Es zeichnet sich ab, dass mit Hilfe der Flüchtlingskrise ein weiterer Schritt in Richtung einer europäischen Vereinheitlichung unter deutscher Kontrolle versucht werden wird; sprich, es wird zu einem weiteren Verlust an europaweiter Restdemokratie kommen. Im Inneren hat sich de Maziere höchst kryptisch geäußert: „”Wir werden uns überall auf Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei, Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall.” Dies alles müsse “sehr schnell gehen”, am besten binnen Wochen. “Für einen Teil unserer verkrusteten gesellschaftlichen Abläufe könnte das einen enormen Aufbruch bedeuten.” „ Das klingt nicht gut. Mal abgesehen davon, dass Rechtsveränderungen in den letzten Jahren gerne im Chaos endeten, weil sie schon im regulären parlamentarischen Verfahren nicht durchdacht waren – diese Äußerung riecht nach außergesetzlichem Notstand, nach Brüningschen Notverordnungen. Wir werden in den nächsten Wochen noch erleben, wozu Flüchtlinge alles gut sind, und es würde mich nicht wundern, wenn das eine oder andere demokratische Recht bei der Gelegenheit mit entsorgt wird.

Mittlerweile ist die euphorische Grenzöffnung rückgängig gemacht. Und es ist an der Zeit, die Erzählung im Detail zu untersuchen.
Der gemachte Mangel

Man muss gelegentlich darauf hinweisen – die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Erde. Auch wenn sich die Chancen der normalen arbeitenden Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren deutlich verschlechtert haben, einen auskömmlichen Lohn, eine bezahlbare Wohnung und so etwas wie eine längerfristige Perspektive zu erreichen, ist dieses Land reicher geworden. Die Produktivität ist weiter gestiegen, und die Einkommen haben sich im Durchschnitt verbessert. Es ist nur alles am oberen Zehntel (oder einem noch kleineren Teil) hängen geblieben.

Die Bundesrepublik ist auch ein Land mit einer entwickelten Infrastruktur. Wenn Katastrophenberichte veröffentlicht werden, weil im Münchner Hauptbahnhof zwanzigtausend Flüchtlinge mit dem Zug eintreffen, sollte man nicht vergessen, dass dieser Bahnhof als einer der bedeutendsten in Europa jeden Tag von einer halben Million Menschen genutzt wird, und dass München als Stadt des Oktoberfestes durchaus im Stande ist, hunderttausend und mehr Menschen vorübergehendes Quartier zu bieten. Es sind die gesetzlichen Regeln, die diese Unterbringung so kompliziert machen, weil die Betroffenen in Lagern untergebracht werden müssen.

Die gesetzlichen Regelungen, wo und wie Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden, sind Bundesrecht. Auch die Entscheidung, die Dublin-Regeln (die dem ersten von einem Flüchtling betretenen EU-Land die Zuständigkeit zuweisen) für Syrer aufzuheben, erfolgte auf Bundesebene. Die Verteilung registrierter Flüchtlinge auf die Bundesländer erfolgt ebenfalls durch den Bund. Wie viele Flüchtlinge in einem Bundesland eintreffen, können also weder das Land noch die Kommunen entscheiden.

Die genauere Ausgestaltung der Regeln und die Entscheidung über die Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht werden, geschieht auf Landesebene. Die Versorgung und die Qualität der Unterbringung können von Bundesland zu Bundesland sehr stark differieren. Zu den Regeln zählt beispielsweise die Frage, ob es eine Residenzpflicht gibt (die bedeuten kann, dass ein Flüchtling den Landkreis, in dem er untergebracht wird, nur auf Genehmigung verlassen kann, die aber ebenso gut sich auf das ganze Bundesland erstrecken kann), ob es Essenspakete gibt oder sich die Menschen selbst ihre Nahrungsmittel besorgen können, das alles ist Länderrecht. In diesen Bereichen gab es in den letzten Jahren einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die etwas mehr Freiheiten verschafften; im Handstreich wurden von der Bundesregierung diese Verbesserungen jetzt wieder aufgehoben.

Im Falle eines plötzlichen Eintreffens einer großen Zahl Menschen (vor Beginn des Aufnahme- und Verteilungsverfahrens) sind erst einmal die Kommunen zuständig, weil die Verhinderung von Wohnungslosigkeit ihre Zuständigkeit ist. Die Kommunen sind allerdings die politische Ebene, die in den letzten Jahrzehnten relativ gezielt ausgeblutet wurde; in manchen Bundesländern stehen zwei Drittel der Kommunen unter Zwangsverwaltung, sprich, sie müssen ihre Haushalte genehmigen lassen und haben im Grunde keinen politischen Entscheidungsspielraum mehr, ganz zu schweigen von irgendwelchen Reserven für Notlagen. Vor diesem Hintergrund ist es ein schlechter Witz, wenn die Bundesregierung den Kommunen zinsfreie Kredite anbietet, um Flüchtlinge unterbringen zu können – eine Kommune unter Zwangsverwaltung kann diese zusätzlichen Kredite gar nicht aufnehmen.

Der mit den öffentlichen Sicherheitsaufgaben eigentlich eng verbundene Zivilschutz ist eigenartigerweise gar nicht einbezogen worden. Die Bundeswehr, die sonst an jeden Damm zum Säckewerfen geschickt wird, blieb in ihren Kasernen. Das bedeutet, es wurde eine Katastrophe behauptet, aber die im Umgang mit Katastrophen üblichen Mittel wurden nicht eingesetzt.

Hätte es sich um eine wirkliche Katastrophe gehandelt, es hätte eine einfache, der Bundesregierung jederzeit mögliche Maßnahme gegeben – Teile der Bundeswehr in einen vorübergehenden Urlaub schicken und die Kasernen zur Aufnahme nutzen. Hier wäre die Infrastruktur zur Versorgung größerer Menschenmengen bereits vorhanden, und es wäre sogar im Regelfall ein abgetrenntes Gelände. Die katholische Kirche verfügt übrigens über einige hundert nicht mehr besetzte Klöster, die ebenfalls über alle zur Versorgung erforderlichen Einrichtungen wie Speisesäle und Großküchen verfügen. Auch diese Option wurde nicht einmal erwähnt.

Stattdessen wurden große Mengen Menschen in die Kommunen geschaufelt, die von der Aufgabe überfordert sein mussten. Mehr noch, wenn mancherorts mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als ein Ort Einwohner hat, dann handelt es sich dabei um Absicht. Während von Regierungsseite lauthals verkündet wird, jetzt sei „Willkommenskultur“ angesagt, und vor dem inneren Auge schon hawaiianische Blumenketten erstehen, ist der tatsächliche Ablauf von einer subtilen Bösartigkeit beherrscht. In der Psychologie nennt man so etwas „Doublebind“ – die sichtbare Botschaft ist das Gegenteil dessen, was gemeint ist. Bösartigkeit ist übrigens eine Art Leitmotiv in der ganzen Geschichte.
Propaganda der Tat

Die Behauptung, man könne sich in Deutschland keinen Sozialstaat mehr leisten, zieht sich durch die Politik der letzten Jahrzehnte wie ein dauernder Klagegesang. Die Trennung der unterschiedlichen politischen Ebenen ist hier ein vielfach genutztes Mittel. Während es auf Bundesebene kein Problem ist, das mehrfache eines Jahreshaushalts in den Rachen der Banken zu werfen, werden in den Kommunen Schwimmbäder, Bibliotheken und Jugendzentren geschlossen, weil das Geld fehlt. Gesamtwirtschaftlich ist das eine Fiktion; vor Ort aber unerbittliche Realität.

Dennoch, es ist über die Jahre hinweg aufgefallen, wohin die großen Geldströme fließen, und eine solch wunderbare Gelegenheit, die Fiktion der Verarmung zu bestätigen, konnte nicht ungenutzt bleiben. Schließlich ist ein halbwegs überzeugendes „dafür ist kein Geld da“ die einfachste Methode, soziale Wünsche und mögliche Gegenwehr auszubremsen. So wird im Wohnungsbau verfahren, der seit Jahren völlig dem Markt ausgeliefert ist und längst bereits massive Wohnungslosigkeit und mancherorts (wie in München) durch die hohen Mieten echte Versorgungsprobleme auslöst (in Münchner Kliniken stehen ganze Stationen leer, weil kein Personal zu finden ist – weil das Personal die Mieten nicht bezahlen kann). So wird im Bereich von Hartz IV verfahren, bei den Renten, die immer weiter gekürzt werden (eine Erhöhung des Rentenalters ist tatsächlich vor allem eine Rentenkürzung), und zur besonderen Erbauung gibt es obendrein noch die deutliche Botschaft, Menschen, die keine verwertbare Arbeitskraft anzubieten hätten, wären eigentlich überflüssig.

Wenn eine Diskussion eröffnet wird, ob Kommunen nicht Wohnraum für Flüchtlinge beschlagnahmen könnten (dieses Recht haben Kommunen, hatten sie die ganze Zeit), ist es nicht verwunderlich, wenn sich Menschen fragen, warum dieser Schritt angesichts der zunehmenden Wohnungslosigkeit nicht auch für Einheimische möglich ist. An diesem Beispiel zeigt sich, wie politische Schachzüge dramatisiert werden. Denn die Debatte zielt mitnichten darauf ab, dieses kommunale Recht tatsächlich anzuwenden, weder für Flüchtlinge noch für sonst jemanden; Ziel des Spiels ist es vielmehr, an diesem Beispiel genau diesen Schritt für verwerflich zu erklären. Letzten Endes bleiben beide Gruppen, die Einheimischen wie die Flüchtlinge, ohne Zugang zu Wohnungen, aber es wurde vorgeführt, dass die Politik nun einmal nichts an der Lage ändern könne. In der Redensart nennt man das den Sack schlagen, aber den Esel meinen.

Ein Nicht-Wollen wird so als Nicht-Können maskiert. Und Schritt für Schritt, Beispiel für Beispiel wird Not inszeniert, Überforderung, Mangel. Schließlich hat die Betonung, Deutschland ginge es wirtschaftlich gut, in den letzten Monaten dazu geführt, dass wieder erste Forderungen nach leichten Verbesserungen gestellt werden. Im Streik im Erziehungsdienst beispielsweise. Die ungeheure Anstrengung, die vielen Flüchtlinge aufzunehmen, kommt gerade recht; von einer Aushöhlung des ohnehin schwindsüchtigen Mindestlohns bis hin zu Rentenkürzungen (von Lohnforderungen im öffentlichen Dienst ganz zu schweigen) kann man Wetten darüber abschließen, wie oft von der schweren Belastung durch die vielen Flüchtlinge die Rede sein wird. Und da Flüchtlinge eine durch den politischen Apparat nach Belieben verschiebbare Menschengruppe sind, wird auch noch die eine oder andere Inszenierung folgen, um dieser Darstellung Glaubwürdigkeit und mediale Präsenz zu verschaffen.

(Eine der Informationen, die durch das Flüchtlingsdrama verschüttet wurde, betrifft übrigens die Vermögensverteilung in Deutschland. Jedes Mal, wenn diese genauer betrachtet wird, ist sie bizarrer, ungerechter, eigentlich längst unhaltbar. Wie praktisch, dass diesmal kaum jemand hingesehen hat. Und wie ungeheuer günstig, dass seit Abschaffung der Vermögensteuer unter Helmut Kohl zwar die Armut im Lande immer sichtbarer wird, der Reichtum aber gar nicht mehr erfasst wird.)

Das große Drama am Münchner Hauptbahnhof, die Aufrufe an die Bevölkerung, zu helfen – das Alles ist propagandistische Handlung. Mit solcher Verve inszeniert, dass niemand innehält, um sich zu fragen, ob es wirklich Freiwillige braucht, um zwanzigtausend Menschen mit Nahrung, Wasser und ein paar Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Die entsprechenden Entscheidungen vorausgesetzt, hätten sich diese Fragen geräuschlos lösen lassen. Auf dem Oktoberfest werden an manchen Tagen 500 000 Menschen bespaßt, ernährt und abgefüllt. Wie kann es dann sein, dass eine solch doch recht überschaubare Zahl von Personen, die weit unter der Besucherzahl eines Bundesligaspiels liegt, nur mit Hilfe von Freiwilligen versorgt werden kann? Nein, das war keine technische Notwendigkeit. Und mit Sicherheit weder die kostengünstigste noch die effizienteste Lösung der realen Probleme. Eine Lösung, die den wirklichen logistischen Möglichkeiten entspricht, hätte aber keine Bilder und keine Rührung geliefert. Das Ziel war hier nicht die bestmögliche Hilfe, sondern das Theater, die Propaganda der Tat.

Wie praktisch und angenehm, dass dieses Stück ein von vorneherein festgelegtes Ende hatte. Schließlich war die Kehrtwende rechtzeitig vor Beginn der Wiesn abseh- und in aller vermeintlicher Unschuld vollziehbar. Denn wenn die Maßkrüge unter der Bavaria befüllt werden müssen, ist kein Platz mehr für Flüchtlingsströme, und da die Besucher auch Fremde sind, können Bahnhof und Grenzen wieder geschlossen werden, ohne dass der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit möglich wäre.
Menschenrechte und Menschenfeinde

Kommen wir zu den Untertönen der Geschichte. „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“, wie das so genannt wurde. Oder der Raum zwischen Heidenau und den Teddybären am Münchner Hauptbahnhof.

Heidenau war der notwendige Kontrast, um das Münchner Drama zur Geltung zu bringen. Hätte es nicht stattgefunden, es hätte erfunden werden müssen. Es ist ja bereits etablierter Konsens, dass die Ablehnung von Flüchtlingen rassistisch ist. Und jegliche soziale Frage ist gründlich genug aus der politischen Wahrnehmung exorziert, dass der Unterton der sozialen Verachtung in der Inszenierung ins Unbewusste verbannt bleibt.

Denn „Lichtdeutschland“ ist sozial eindeutig verortet, es ist die Heimat des (noch) gut abgesicherten Spießbürgers, während „Dunkeldeutschland“ der proletarische Mob ist, der misstrauisch und naserümpfend betrachtet wird. Natürlich wird nicht vergessen, die Spaltung unseres angeblich wiedervereinigten Landes bei dieser Gelegenheit mitzuzelebrieren – es sind schließlich die bösen sozialistisch sozialisierten Ossis, die „Dunkeldeutschland“ liefern, und es sind die gutbürgerlichen Wessis, die für das Licht stehen.

Unbestritten, die tatsächliche Lage von Flüchtlingen ist nicht gut, und viele derjenigen, die, von wem auch immer, mit diesem Strom hierher gelockt wurden, werden sehr schnell feststellen, dass dieses Land alles andere als freundlich ist. Das große Pathos, mit dem an Hilfsbereitschaft appelliert wurde, kann aber auf mehrfache Weise durchaus legitime Wut erzeugen.

Das beginnt mit der Selektivität. Warum, um Himmels willen, haben syrische Flüchtlinge mehr Entgegenkommen verdient als Flüchtlinge aus dem Jemen, aus Somalia, aus Afghanistan, aus dem Irak oder einem der vielen anderen Länder, die in den letzten Jahren aus dem einen oder anderen Grund von westlichen Mächten ins Chaos gebombt oder zu Grunde gerichtet wurden? Warum sollen sie willkommener sein als Flüchtlinge aus dem Kosovo, den die Bundesregierung in jahrelanger Bemühung und innigster Kooperation mit den USA in eine Mischung aus Mafiakolonie und Flugzeugträger verwandelt hat? Diese saubere Teilung in jene Flüchtlinge, deren Land man gerade noch ruinieren will und die daher noch einen propagandistischen Nutzen abwerfen, und jene, deren Land man bereits ruiniert hat und die daher bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, ist zutiefst zynisch. Aber die Linke ist ja gerade mit dem Verteilen von Teddybären beschäftigt und kommt nicht dazu, auf diese Heuchelei aufmerksam zu machen.

Aber wie klingt die Aufforderung zu einer „Willkommenskultur“ in den Ohren all jener, denen dieses ihr eigenes Land vorwiegend feindselig gegenübertritt? Ist es wirklich notwendigerweise Rassismus, wenn diese plötzlich verordnete Freundlichkeit jenen sauer aufstößt, die unter Kuratel des Jobcenters stehen oder sich im Niedriglohnsektor von Monatsanfang zu Monatsanfang hangeln? Denen obendrein ständig von den „Leistungsträgern“ vorgesäuselt wird, die zu Parasiten erklärt werden, in deren Wohnungen man die Zahnbürsten zählt und deren Zukunftsperspektive Altersarmut heißt? Komme da jetzt keiner mit Solidarität; die besteht zwischen denen unten gegen die oben, das ist etwas anderes als staatlich verordnete „Willkommenskultur“. Wir leben in einem Land, das nur sein oberstes Hundertstel willkommen heißt, und die untere Hälfte (die, nebenbei bemerkt, all die wirklich notwendige Arbeit verrichtet) am liebsten auf Wasser und Brot setzen würde. Das Versprechen des irdischen Paradieses, das der Kapitalismus in der Phase des Waffenstillstands gegeben hat, hat sich längst in Luft aufgelöst, das Zuckerbrot ist gestrichen, übrig ist die Peitsche. „Willkommenskultur“? Wenn das ähnliche Empfindungen auslöst wie mittlerweile das Wort „Reform“, nämlich düstere Befürchtungen einer weiteren Verschlechterung der eigenen Lage, so ist das nur nüchterner Realismus. Ja, der Zorn richtet sich auf die falschen Ziele, aber sein Quell ist nicht eine rassistische Einstellung, sondern eine ganz wirkliche soziale Finsternis.

Und „Lichtdeutschland“? Das ist politisch so edelmütig wie der Einkauf im Bio-Supermarkt. Eine bürgerliche Linke, die ein neues Ablassobjekt entdeckt (oder angeboten bekommen) hat. Nachdem die Frage des naturgerechten Ackerbaus über den Einkauf von durch marokkanische Arbeitssklaven geernteten spanischen Bioerdbeeren gelöst und die Frage gerechter Handelsbeziehungen in Fair-Trade-Schokolade versenkt wurde, kann man jetzt den Ablass für imperialistische Kriege durch Übergabe von Teddybären erhalten. Gibt es eine massive Bewegung für die Beendigungen der Sanktionen gegen Syrien? Gibt es nicht. Wie viele Politiker sprechen sich für sofortigen Austritt aus der NATO aus? Eben. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Aber es gibt „Willkommenskultur.“

Nicht zu vergessen, dass diese Ablasshandlung (wie all die anderen Ablasshandlungen übrigens) einen guten Anteil dessen enthält, was auf Englisch mittlerweile „classism“ genannt wird, analog zu Rassismus und Sexismus also Klassismus, auf Deutsch als Klassenhass bekannt (auch wenn wir hier marxistisch formuliert nicht von einer Klasse reden, sondern von den „Zwischenschichten“). Es handelt sich nämlich wieder einmal um eine Handlung zur Distinktion, zur Abgrenzung, die nicht zufällig, sondern aus gutem Grund letztlich in Übereinstimmung mit der imperialistischen Politik mündet. Der deutsche Spießbürger erkennt in dem vielzitierten syrischen Arzt (lassen wir einmal dahingestellt, ob es letzteren wirklich in dieser Menge gibt) Fleisch von seinem Fleische; es käme ihm nicht in den Sinn, seine Teddybären in Obdachlosenunterkünfte zu tragen oder „Willkommenskultur“ vor dem Jobcenter zu zelebrieren; jede wohltätige Handlung beinhaltet ihr Quäntchen Verachtung für die Besitzlosen.

Ja, es gibt ein klein wenig Gegrummel über die Politik der USA. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Erbarmungslosigkeit, mit der gegenwärtig jedes Bestreben nach Unabhängigkeit seitens der Länder quittiert wird, die in den kolonialen Kosmos gehören, zwar von den Vereinigten Staaten exekutiert wird, aber nicht nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient (respektive, um es korrekt zu formulieren, den Interessen des US-Kapitals). Auch die bundesdeutsche Industrie zieht Gewinne daraus, dass andere Länder in der Rolle von Rohstofflieferanten bleiben, die die Preise ihrer Waren nicht bestimmen können. Die berühmten Bananen, die zum Symbol der Überlegenheit der BRD über die DDR wurden, waren hier vor allem deshalb billiger, weil die Bananenpflücker der Westkolonien gewaltsam daran gehindert wurden (und werden), vernünftige Entlohnung zu erkämpfen. Es ist nicht nur die Frage, wie weit die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik aktiv an den diversen Schweinereien beteiligt sind. Sie profitieren von ihnen. Am Beispiel Griechenlands konnte man sehen, dass diese Interessen durchaus eine eigene Blutspur ziehen können; auch wenn in diesem Falle die Toten nicht durch den Einsatz von Bombenflugzeugen, sondern beispielsweise durch die Zerstörung des Gesundheitswesens erzeugt wurden. Die ganze Struktur, die große Teile des Planeten im Würgegriff hält, mit IWF und Weltbank und dem NATO-Militär, ist keineswegs grundsätzlich gegen die Interessen des deutschen Kapitals gerichtet, und wie bei einer Bande von Schutzgelderpressern ist der Schläger, der den unwilligen „Kunden“ vermöbelt, nicht der einzige Beteiligte des Spiels. Augenblicklich werden koloniale Kriege mit einer Erbarmungslosigkeit geführt, die einige Jahrzehnte lang undenkbar war, und sie stürzen halbe Kontinente ins Chaos. Auf jeden Muckser in die falsche Richtung folgen Drohung mit und Durchführung von „Regimewechseln“. Aber solange hier die Bananen billig sind, gibt es keinen Grund, die Hände in Unschuld zu waschen. Und dass die Interessen des deutschen Kapitals gelegentlich mit jenen des US-amerikanischen kollidieren, sollte nicht dazu führen, zu übersehen, dass sich beide herzlich einig sind, wenn es darum geht, die Länder, die unten sind, auch dort zu halten.

Das Verhältnis des deutschen Spießbürgers zum Imperialismus an sich, wie er sich momentan in dem halbgaren Unbehagen an der US-amerikanischen Kriegspolitik ausdrückt, ist eher ein ästhetisches. Der grobe Ami möge doch bitte seine Stiefel ordentlich am Fußabtreter abputzen, damit es keine Blutflecken auf dem Teppich gibt. Zwischen einem Teddybären am Bahnhof und einer Ablehnung kolonialer Kriege liegen Welten.

(Nebenbei – wenn man sich die Moden imperialistischer Legitimationserzählungen betrachtet, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis das erste Land wegen Rassismus bombardiert wird).
Die karitative Linke

Was die bundesdeutsche Gesamtlinke betrifft, ist festzustellen, dass sie weit mehr Einsatz auf Flüchtlingsbetreuung und eifriges Gegendemonstrieren verwendet als auf Proteste gegen imperialistische Kriegsführung (letzteres steht bei einigen vermeintlich Linken mittlerweile ja im Ruch des „Antisemitismus“). Weder die manipulative Medienarbeit wie etwa mit dem Foto des toten Jungen (das eine ganze Reihe von Fragen aufwirft) noch die zelebrierte „Willkommenskultur“ werden in Frage gestellt. Im Gegenteil, man macht eifrig mit und verbucht diesen Ausbruch bundesdeutscher Wohltätigkeitsheuchelei als Fortschritt gegen den Rassismus.

Es gibt ja einige einfache Faustregeln im politischen Leben. Eine davon lautet, wenn die BILD-Zeitung etwas gut findet, das ich gut finde, sollte ich darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.

Allerdings ist diese Reaktion alles andere als unschuldig und zeigt – wieder einmal – dass wir es hier mit einer zutiefst bürgerlichen Linken zu tun haben, mit einer bürgerlichen Moral. Kann es denn angehen, dass man (wohl wissend, wie sozial selektiv Fluchtwege nach Europa sind) sich einzig dafür einsetzt, diejenigen, die die darwinsche Lotterie bis hierher überstanden haben, möglichst freundlich zu empfangen, und die anderen, die sich diese Luxusflucht nicht leisten können, völlig zu ignorieren? Solidarität ist etwas anderes als Mildtätigkeit. Solidarität ist Beistand im Kampf. Wie ist die Aufnahme eines Bruchteils relativ wohlhabender und relativ gebildeter Flüchtlinge in Deutschland eine Unterstützung im Kampf um eine bessere Zukunft für die syrische Bevölkerung? Es überrascht nicht, dass die deutsche Industrie gerne ausgebildetes Personal anderer Länder abschöpft. Es überrascht allerdings schon, wenn in Deutschland keine andere linke Antwort mehr denkbar scheint als „Bleiberecht für Alle.“

Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erklärt, die Mittel für dieses Jahr seien aufgebraucht (was gerade die Flüchtlinge in ernste Gefahr bringt, die sich die teure Europatour nicht leisten können), wird die Auseinandersetzung nicht darum geführt, den vor Ort angerichteten Schaden auch vor Ort wieder gut zu machen (also nicht nur die Sanktionen gegen Syrien einzustellen, sondern Wiederaufbauhilfe zu leisten), sondern man kümmert sich um jene, die es bis hierher geschafft haben.

Das ist weder im Interesse der syrischen Arbeiterklasse noch im Interesse des Widerstands gegen den Imperialismus (man muss hier das „klassische“ Vokabular verwenden, damit das Problem sichtbar wird). Es ist eine individualistische „Lösung“ für ein kollektives Problem; als würde man eine klaffende Wunde am Bein mit einem Heftpflaster behandeln wollen, allerdings auf der Nase…

Jeder Flüchtling ist gut? Wirklich? Und wenn die ukrainischen Faschisten eines Tages eins auf die Nase kriegen und dann massenweise dort aufschlagen, wo man sie schon einmal aufbewahrt hatte, hier in Deutschland nämlich, ist das dann immer noch gut? Offene Grenzen auch für Ukronazis?Weil kein Land weltweit mehr Erfahrung in der Resozialisierung von Kriegsverbrechern hat als Deutschland?

Migration ist oft ein stabilisierender Faktor für unerträgliche Zustände. Wäre die irische Unabhängigkeit ohne die massive Auswanderung im 19. Jahrhundert früher gekommen? Wie hätte sich die deutsche Geschichte entwickelt ohne die massenhafte Auswanderung nach der Niederlage 1848 (Deutschland war bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Auswanderungs-, kein Einwanderungsland)? Kann man wirklich behaupten, jede Migration, wann und wo auch immer, wäre im Interesse gesellschaftlichen Fortschritts? (Nebenbei, in den letzten Jahren gab es beträchtliche Auswanderung aus Griechenland, Portugal, Spanien, auch hierher. Ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung hier, aber sicher mit Folgen für die politische Auseinandersetzung dort).

Und ist nicht eine Haltung, die nicht mehr in Frage stellt, wer wann warum wohin migriert, sondern es implizit voraussetzt, jeder Mensch auf der Welt wolle so leben wie wir in der Bundesrepublik, oder genauer, in der Bundesrepublik leben, zutiefst affirmativ, systemkonform, nur eine andere Spielart arroganter kolonialistischer Überheblichkeit? Sozusagen amerikanischer Suprematismus auf deutsch?

Ja, es lebt sich im Herzen der Finsternis meist besser als in der Peripherie. Aber man sollte nicht vergessen, dass es eben das Herz der Finsternis ist und kein gelobtes Land.
Ein neuer Glaube

Das Unheimlichste am Flüchtlingstheater ist, dass es sich in eine ganze Kette ähnlich makaberer Inszenierungen einreiht. Das begann spätestens mit der Bewerbung des Maidan und Herrn Klitschko, setzte sich fort mit MH17 und erreichte einen schaurigen Höhepunkt Anfang des Jahres mit „Ich bin Charlie“. All diese Ereignisse wirkten gemacht, wurden bis zur Überwältigung emotional aufgeladen und massiv medial verwertet.

In allen Fällen gab es eine offizielle Erzählung, die nicht kritisiert werden durfte. In allen Fällen war insbesondere die Erwähnung von Interessen tabuisiert, während gleichzeitig ein ganzer Schwall von „Werten“ über das verblüffte Publikum ergossen wurde. Seit „Ich bin Charlie“ werden zudem noch ganze Massen zu öffentlichen Bekenntnissen mit einbezogen.

Diese „Werte“ bewegen sich weitgehend im Bereich reiner Behauptung. Niemand, der sich je mit den Eigentumsverhältnissen der Medien befasst hat, würde ernstlich erklären, bei uns herrsche Meinungsfreiheit. Niemand, der die perfide Szene mit Angela Merkel und dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen gesehen hat („Ich möchte sie einmal streicheln“), kann an die „Willkommenskultur“ von „Lichtdeutschland“ glauben. Aber die Inszenierung wird von Mal zu Mal verstärkt.

Die Erzählung von den syrischen Flüchtlingen folgt auch geopolitischen Interessen. Wolfgang Ischinger, das außenpolitische Sprachrohr der Allianz, hat, wie German Foreign Policy akkurat wie immer berichtet, schon den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gefordert; gegen Assad, versteht sich. Ähnliches ist sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich geschehen. Aber es steckt mehr in der Geschichte.

Der Umgang mit all diesen Momenten ist betont antirational. Ich hatte zu „Ich bin Charlie“ schon geschrieben, das ganze gemahne an eine Volksgemeinschaft der „europäischen Werte“; „Lichtdeutschland“ verstärkt diesen Eindruck noch einmal. Gleichzeitig war es noch nie so leicht, als Staatsfeind angesehen zu werden – ein wenig Widerspruch gegen eine dieser Erzählungen reicht dafür aus. Es handelt sich um eine parteiunabhängige und parteiübergreifende Formierung im Inneren mit einer aggressiven Position nach Außen, mit starken irrationalen und emotional manipulativen Anteilen. Ich hoffe sehr, mich zu irren, aber mir scheint, wir erleben gerade in Raten die Entstehung der Ideologie des europäischen Faschismus im 21. Jahrhundert.

Im Verlauf des letzten Jahres wurde deutlich, dass es durchaus mächtige Kräfte in Europa gibt, die auf Kriegskurs sind, aber zugleich wurde klar, dass die „normale“ propagandistische Bearbeitung nicht ausreicht, um die Bevölkerung für diese Zwecke einsetzbar zu machen. Seitdem erleben wir eine ganze Kette von Ereignissen, die jedesmal einen kleinen Schubs in die „richtige“ Richtung versetzen, immer in einer Verpackung, die den Inhalt bis in die kleinbürgerlich-linken Kreise hinein verdaulich hält. Gleichzeitig wird der politische Diskurs konsequent nicht nur von geopolitischen, sondern auch von ökonomischen und sozialen Inhalten entleert, und eine Botschaft immer wieder wiederholt: all diese Inhalte sind Nichts im Vergleich mit den „Werten“. Und in langsamer Steigerung wird diese Seelenmassage mit der Aussage gewürzt, für die „Werte“ müsse man bereit sein, Opfer zu bringen.

Es gibt unterschiedliche Theorien, wer den Flüchtlingsstrom in die Bundesrepublik ausgelöst haben könnte. Mag sein, es war ursprünglich ein freundlicher Gruß der Vereinigten Staaten. Oder von Herrn Erdogan, der gerne ungestört weiter mit ISIS spielen möchte. Aber er wurde hier schnell und wirkungsvoll instrumentalisiert und bis an die Grenze des Notstands ausgespielt, und mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie er noch genutzt werden könnte, um diese Grenze zu überschreiten (der Gedanke, es könnten ISIS-Anhänger mit im Strom geschwommen sein, ist ja bereits gesetzt). Angesichts der Euphorie, mit der weite Teile der Linken sowohl bei „Ich bin Charlie“ als auch bei „Lichtdeutschland“ mitspielen, möchte ich darüber eigentlich nicht länger nachdenken.

Quelle: http://vineyardsaker.de/analyse/finsternis-ist-licht/#more-4129
Aber wie klingt die Aufforderung zu einer „Willkommenskultur“ in den Ohren all jener, denen dieses ihr eigenes Land vorwiegend feindselig gegenübertritt? Ist es wirklich notwendigerweise Rassismus, wenn diese plötzlich verordnete Freundlichkeit jenen sauer aufstößt, die unter Kuratel des Jobcenters stehen oder sich im Niedriglohnsektor von Monatsanfang zu Monatsanfang hangeln? Denen obendrein ständig von den „Leistungsträgern“ vorgesäuselt wird, die zu Parasiten erklärt werden, in deren Wohnungen man die Zahnbürsten zählt und deren Zukunftsperspektive Altersarmut heißt? Komme da jetzt keiner mit Solidarität; die besteht zwischen denen unten gegen die oben, das ist etwas anderes als staatlich verordnete „Willkommenskultur“. Wir leben in einem Land, das nur sein oberstes Hundertstel willkommen heißt, und die untere Hälfte (die, nebenbei bemerkt, all die wirklich notwendige Arbeit verrichtet) am liebsten auf Wasser und Brot setzen würde. Das Versprechen des irdischen Paradieses, das der Kapitalismus in der Phase des Waffenstillstands gegeben hat, hat sich längst in Luft aufgelöst, das Zuckerbrot ist gestrichen, übrig ist die Peitsche. „Willkommenskultur“? Wenn das ähnliche Empfindungen auslöst wie mittlerweile das Wort „Reform“, nämlich düstere Befürchtungen einer weiteren Verschlechterung der eigenen Lage, so ist das nur nüchterner Realismus. Ja, der Zorn richtet sich auf die falschen Ziele, aber sein Quell ist nicht eine rassistische Einstellung, sondern eine ganz wirkliche soziale Finsternis.
Und „Lichtdeutschland“? Das ist politisch so edelmütig wie der Einkauf im Bio-Supermarkt. Eine bürgerliche Linke, die ein neues Ablassobjekt entdeckt (oder angeboten bekommen) hat. Nachdem die Frage des naturgerechten Ackerbaus über den Einkauf von durch marokkanische Arbeitssklaven geernteten spanischen Bioerdbeeren gelöst und die Frage gerechter Handelsbeziehungen in Fair-Trade-Schokolade versenkt wurde, kann man jetzt den Ablass für imperialistische Kriege durch Übergabe von Teddybären erhalten. Gibt es eine massive Bewegung für die Beendigungen der Sanktionen gegen Syrien? Gibt es nicht. Wie viele Politiker sprechen sich für sofortigen Austritt aus der NATO aus? Eben. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Aber es gibt „Willkommenskultur.“
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Finsternis ist Licht: was steckt hinter der von oben verordneten „Willkommenskultur“?

Dagmar Henn



Wir leben gerade in einem deutschem Märchen. Die Geschichte von „Goldmarie und Pechmarie“ hat ein neues Gewand erhalten; die aktuelle Überschrift lautet „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“. Frau Merkel predigt „Willkommenskultur“, und brave deutsche Bürger überschütten syrische Flüchtlinge mit Teddybären.

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Wenn es einem gelingt, in der emotionalen Flut noch Atem zu holen, kommt man sich vor wie in einem schlechten Theaterstück. Oder beim Hören eines Musikstücks, das auf einem verstimmten Instrument gespielt wird.
Erst einmal ist das nur eine Art Schmerz, der schwer zu lokalisieren ist. Als vor einigen Jahren das Münchner Glockenspiel renoviert wurde, klang es über ein Jahr lang falsch, tagtäglich; bis dann endlich einige Musiker genau genug hörten, um zu erkennen, dass die Glocken für c´´ und cis´´ vertauscht waren… Noch ist der Quell des Schmerzes beim augenblicklichen Drama nicht genau zu orten; aber dass es falsch klingt, das ist sicher.
Versuchen wir einmal, das Stück in seine Bestandteile zu zergliedern und das eine oder andere Mal die berühmte Frage nach dem „cui bono“ zu stellen.
An der Oberfläche sind es erst einmal die Bilder, die stutzig machen. Zwei davon. Das Bild des ertrunkenen Kindes am Strand, und Bilder aus Budapest, die Flüchtlinge mit einem Foto von Angela Merkel zeigen und mit einer EU-Fahne. Diese Bilder verursachten ein Gefühl wie eine Gräte im Mund beim Fischessen.
Wer immer sich mit dem Thema Migration tatsächlich befasst, weiß, dass im Mittelmeer seit vielen http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11571.jpgJahren Menschen ertrinken. Eine der entsetzlichsten Geschichten ereignete sich während der Angriffe auf Libyen. Ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen trieb zwei Wochen lang steuerlos auf dem Mittelmeer, begegnete dabei zweimal Kriegsschiffen, wurde von Helikoptern überflogen und trieb dennoch weiter, bis die Überlebenden schließlich in Italien landeten. Zwei Wochen ohne jeden Versuch einer Rettung auf einer Strecke, die zum damaligen Zeitpunkt völlig überwacht war. Die Meldung schaffte es nicht in die großen Medien, und es wurde nie bekannt, welche Schiffe welcher Nationalität gegen das internationale Seerecht verstoßen haben, das zur Rettung jedes Schiffbrüchigen verpflichtet.
In all den Jahren starben Männer, Frauen und Kinder. Viele darunter nicht ertrunken, sondern verdurstet. In all den Jahren gab es nur wenige Bilder und schon gar nicht die groß angelegte Empörung, die jüngst durch die Gazetten schwappte.
Allerdings hatte das Bild des toten Kindes ein kleines Vorspiel. Die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ vor dem Bundestag. Auch hier gab es Einiges, das überrascht. Man sollte nicht glauben, dass man so einfach jederzeit vor dem Bundestag Löcher in den Rasen graben darf. Dass der milde Polizeieinsatz, der auf den Videos von dieser Aktion zu sehen ist, alles ist, was der Apparat hergibt. Nein, in Summe blieb eher der Eindruck einer mindestens geduldeten, wenn nicht gar geförderten Veranstaltung. Man könnte die Betreiber dieser Aktion für unschuldige Humanisten halten – wenn sie nicht auch schon als Befürworter eines Militäreinsatzes in Syrien aufgetreten wären. Was damals – also vor wenigen Monaten -Rätsel aufgab, ist jetzt klar zu entschlüsseln. Diese Aktion und das Bild gehören zusammen.

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Mit dem Foto von Merkel in Budapest hat sich Telepolis schon ausführlicher beschäftigt. Merkel und die Europafahne, das wirkt wie organisierte Gegenpropaganda zu den Bildern, die man aus Griechenland sieht.
Aber gehen wir doch einmal zu den Fakten.
Tatsache ist, es bewegen sich Zehntausende auf der südöstlichen Mittelmeer-Route auf Deutschland zu. Viele davon, aber nicht alle, sind Syrer (syrische Pässe dürften gerade deutlich im Preis gestiegen sein). Warum machen sie sich jetzt auf diesen Weg?
Diese Frage ist keineswegs banal. Wie am Beispiel des Vaters des ertrunkenen Jungen zu lesen war, führte die erste Fluchtetappe sie in die Türkei. Das allerdings nicht gerade eben, sondern schon vor einiger Zeit.
Fluchtbewegungen entstehen, das konnte man am Beispiel der Ukraine deutlich erkennen, am Anfang eines Konfliktes oder bei entscheidenden Umschwüngen. Der Krieg in Syrien dauert schon Jahre, und es gab in den letzten Wochen keine entscheidende Wendung. Für eine große Fluchtbewegung ist es also ein sehr ungewöhnlicher Zeitpunkt.
Die Flüchtenden orientieren sich dabei auf jene Richtung, in der sie sich sicher fühlen, sprich, die Fluchtrichtung gibt oft auch eine politische Orientierung wieder. Aus dem Donbass bewegten sich die meisten Flüchtlinge nach Russland, nicht in Richtung Kiew. Man kann also davon ausgehen, dass jene Syrer, die in die Türkei flüchteten, eher der – wie auch immer zusammengesetzten – Opposition zuneigen (Innerhalb Syriens gibt es wesentlich mehr Binnenflüchtlinge).
Es gibt Berichte, dass die großen Flüchtlingslager, die in der Türkei von der UNO betrieben werden, relativ abgeschottet waren. Die plötzliche Bewegung, die nun stattfindet, hat also mehrere Voraussetzungen. Zum einen muss auf irgendeine Weise eine Art Werbung stattgefunden haben, damit sich so große Mengen auf ein so eindeutiges Ziel hinbewegen. Fluchtbewegungen haben in der Regel einen Ausgangspunkt, es gibt einen Ort von dem geflohen wird, und eine klare Richtung, aber eher selten ein eindeutiges Ziel, schon gar keines, das so weit entfernt liegt. Zum anderen muss dafür die Abschottung der Flüchtlingslager aufgehoben werden. Sprich, ohne aktive Mitwirkung der Türkei hätte diese Bewegung nicht stattfinden können. Auf der Karte lässt sich unschwer erkennen – die gesamte südöstliche Strecke bündelt sich in Istanbul.
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Das ist ein deutliches Indiz dafür, das wir es nicht mit einem spontanen Ereignis zu tun haben.
Auf den ersten Blick scheint das ungewöhnlich. Flüchtlinge als Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen? Dieser Gedanke wird sicher sogleich mit dem Etikett „Verschwörungstheorie“ versehen.
Die bundesdeutsche Geschichte kennt dafür aber mehrere Beispiele. Das erste betrifft jene, die hier im Allgemeinen als „Vertriebene“ etikettiert werden, also deutsche Flüchtlinge, die nach dem zweiten Weltkrieg ankamen. Im Gegensatz zur offiziellen Erzählung, die immer betont, wie gut sie versorgt und integriert wurden, blieben sie in der Bundesrepublik bis Anfang der fünfziger Jahre in Lagern. Erst nachdem es 1952 zu einer großen Demonstration der KPD (!) für die sozialen Interessen dieser Flüchtlinge in Bonn kam, fing der Adenauer-Staat an, über Wohnungen und Arbeitsplätze für sie nachzudenken. Der Hintergrund für dieses befremdliche Verhalten (der Krieg war schon Jahre vorüber) war, diese Menschen nutzen zu können, wenn der Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgenommen werden sollte. Die Demonstration (die nebenbei auch zur Einführung der „Bannmeile“ ins bundesdeutsche Recht führte) ließ fürchten, dass diese bisher verlässlich antikommunistisch mobilisierbaren Internierten sich anders besinnen könnten; daher wurde daraufhin die Politik geändert.
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Im Verhältnis zum anderen deutschen Staat wurde dauerhaft auf das Abwerben der Bürger gesetzt. Vor der Schließung der Grenze lag besonderes Augenmerk darauf, ausgebildete Arbeitskräfte in die westliche Republik zu locken; das sparte die Kosten für die Ausbildung. Nachdem dieser Zustrom beendet wurde, blieb weiter die propagandistische Nutzung der DDR-Übersiedler, die man auch gerne zu halsbrecherischen Aktionen verleitete, wenn es möglich war.
Nachdem der Zufluss aus der DDR wegfiel, besorgte sich die bundesdeutsche Industrie ihren Arbeitskräftenachschub aus den Anwerbeländern. In diesem Fall konnten sie sich die Ausbildung nicht mehr sparen, aber die Aufwendungen für Kinderbetreuungseinrichtungen, die nötig gewesen wären, damit die hier lebenden Frauen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und natürlich waren die so gewonnenen Arbeitskräfte besonders billig. Sprachunkundige junge Männer ohne Familien sind relativ leicht über den Tisch zu ziehen und nach Bedarf hin- und herzuschieben.
Damit will ich nicht sagen, dass die Bundesregierung hinter diesen Ereignissen steckt. Dieser Punkt ist momentan noch nicht zu klären. Es ist aber wichtig, festzuhalten, dass es kein Novum in der deutschen Politik wäre, wenn dem so wäre.
Aber völlig abgesehen von der Tatsache, wer diese Bewegung ausgelöst hat und warum – wie damit in Deutschland umgegangen wird, dafür ist auf jeden Fall die deutsche Politik verantwortlich.
Betrachten wir einmal die Ebene der konkreten Reaktionen bisher. Ziemlich rasch wurden jetzt die Bedingungen für alle Flüchtlinge verschärft. Alles, was an Verbesserungen in den letzten Jahren erreicht wurde (wie die lang erkämpfte Aufhebung der Residenzpflicht und Geld statt Essenspakete) wurde im Handstreich, und sogar gegen bereits ergangene Urteile des Verfassungsgerichts, wieder rückgängig gemacht. Das offiziell inszenierte „Willkommen“ wird also rechtlich ins Gegenteil verkehrt.
Der Vorstandsvorsitzende von Daimler hat bereits erklärt, er wolle nach Arbeitskräften suchen. Die Forderung, für Flüchtlinge den Mindestlohn aufzuheben, ist auch bereits ausgesprochen. Wohlgemerkt, es gibt nach wie vor viele hier geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keinen Ausbildungsplatz finden. Könnte es sein, dass es gerade ihre Integration ist, die sich hier als Nachteil erweist? Weil sie sich vielleicht doch ein wenig in ihren Rechten auskennen und nicht mehr so leicht handzuhaben sind wie „frische“ Einwanderer?
Es wird oft erwähnt, das Bildungsniveau der Syrer sei so gut. Das ZDF hat ein nettes kleines Filmchen gezeigt, in dem eine syrische Biologin erklärte, sie wolle „ihr Bestes tun“. Wenn es kein deutsch organisierter Fischzug ist, um wieder einmal in anderen Ländern die ausgebildeten Kräfte abzuschöpfen (die USA tun dies bekanntlich ebenfalls gern), dann ist zumindest abzusehen, dass die Fischer reichlich aktiv werden.
Völlig unberechenbar dürften die politischen Folgen sein (bleiben wir dabei erst einmal auf der Ebene des Apparats). Es zeichnet sich ab, dass mit Hilfe der Flüchtlingskrise ein weiterer Schritt in Richtung einer europäischen Vereinheitlichung unter deutscher Kontrolle versucht werden wird; sprich, es wird zu einem weiteren Verlust an europaweiter Restdemokratie kommen. Im Inneren hat sich de Maziere höchst kryptisch geäußert: „”Wir werden uns überall auf Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei, Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall.” Dies alles müsse “sehr schnell gehen”, am besten binnen Wochen. “Für einen Teil unserer verkrusteten gesellschaftlichen Abläufe könnte das einen enormen Aufbruch bedeuten.” „ Das klingt nicht gut. Mal abgesehen davon, dass Rechtsveränderungen in den letzten Jahren gerne im Chaos endeten, weil sie schon im regulären parlamentarischen Verfahren nicht durchdacht waren – diese Äußerung riecht nach außergesetzlichem Notstand, nach Brüningschen Notverordnungen. Wir werden in den nächsten Wochen noch erleben, wozu Flüchtlinge alles gut sind, und es würde mich nicht wundern, wenn das eine oder andere demokratische Recht bei der Gelegenheit mit entsorgt wird.
Mittlerweile ist die euphorische Grenzöffnung rückgängig gemacht. Und es ist an der Zeit, die Erzählung im Detail zu untersuchen.
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Der gemachte Mangel
Man muss gelegentlich darauf hinweisen – die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Erde. Auch wenn sich die Chancen der normalen arbeitenden Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren deutlich verschlechtert haben, einen auskömmlichen Lohn, eine bezahlbare Wohnung und so etwas wie eine längerfristige Perspektive zu erreichen, ist dieses Land reicher geworden. Die Produktivität ist weiter gestiegen, und die Einkommen haben sich im Durchschnitt verbessert. Es ist nur alles am oberen Zehntel (oder einem noch kleineren Teil) hängen geblieben.
Die Bundesrepublik ist auch ein Land mit einer entwickelten Infrastruktur. Wenn Katastrophenberichte veröffentlicht werden, weil im Münchner Hauptbahnhof zwanzigtausend Flüchtlinge mit dem Zug eintreffen, sollte man nicht vergessen, dass dieser Bahnhof als einer der bedeutendsten in Europa jeden Tag von einer halben Million Menschen genutzt wird, und dass München als Stadt des Oktoberfestes durchaus im Stande ist, hunderttausend und mehr Menschen vorübergehendes Quartier zu bieten. Es sind die gesetzlichen Regeln, die diese Unterbringung so kompliziert machen, weil die Betroffenen in Lagern untergebracht werden müssen.
Die gesetzlichen Regelungen, wo und wie Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden, sind Bundesrecht. Auch die Entscheidung, die Dublin-Regeln (die dem ersten von einem Flüchtling betretenen EU-Land die Zuständigkeit zuweisen) für Syrer aufzuheben, erfolgte auf Bundesebene. Die Verteilung registrierter Flüchtlinge auf die Bundesländer erfolgt ebenfalls durch den Bund. Wie viele Flüchtlinge in einem Bundesland eintreffen, können also weder das Land noch die Kommunen entscheiden.
Die genauere Ausgestaltung der Regeln und die Entscheidung über die Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht werden, geschieht auf Landesebene. Die Versorgung und die Qualität der Unterbringung können von Bundesland zu Bundesland sehr stark differieren. Zu den Regeln zählt beispielsweise die Frage, ob es eine Residenzpflicht gibt (die bedeuten kann, dass ein Flüchtling den Landkreis, in dem er untergebracht wird, nur auf Genehmigung verlassen kann, die aber ebenso gut sich auf das ganze Bundesland erstrecken kann), ob es Essenspakete gibt oder sich die Menschen selbst ihre Nahrungsmittel besorgen können, das alles ist Länderrecht. In diesen Bereichen gab es in den letzten Jahren einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die etwas mehr Freiheiten verschafften; im Handstreich wurden von der Bundesregierung diese Verbesserungen jetzt wieder aufgehoben.
Im Falle eines plötzlichen Eintreffens einer großen Zahl Menschen (vor Beginn des Aufnahme- und Verteilungsverfahrens) sind erst einmal die Kommunen zuständig, weil die Verhinderung von Wohnungslosigkeit ihre Zuständigkeit ist. Die Kommunen sind allerdings die politische Ebene, die in den letzten Jahrzehnten relativ gezielt ausgeblutet wurde; in manchen Bundesländern stehen zwei Drittel der Kommunen unter Zwangsverwaltung, sprich, sie müssen ihre Haushalte genehmigen lassen und haben im Grunde keinen politischen Entscheidungsspielraum mehr, ganz zu schweigen von irgendwelchen Reserven für Notlagen. Vor diesem Hintergrund ist es ein schlechter Witz, wenn die Bundesregierung den Kommunen zinsfreie Kredite anbietet, um Flüchtlinge unterbringen zu können – eine Kommune unter Zwangsverwaltung kann diese zusätzlichen Kredite gar nicht aufnehmen.
Der mit den öffentlichen Sicherheitsaufgaben eigentlich eng verbundene Zivilschutz ist eigenartigerweise gar nicht einbezogen worden. Die Bundeswehr, die sonst an jeden Damm zum Säckewerfen geschickt wird, blieb in ihren Kasernen. Das bedeutet, es wurde eine Katastrophe behauptet, aber die im Umgang mit Katastrophen üblichen Mittel wurden nicht eingesetzt.
Hätte es sich um eine wirkliche Katastrophe gehandelt, es hätte eine einfache, der Bundesregierung jederzeit mögliche Maßnahme gegeben – Teile der Bundeswehr in einen vorübergehenden Urlaub schicken und die Kasernen zur Aufnahme nutzen. Hier wäre die Infrastruktur zur Versorgung größerer Menschenmengen bereits vorhanden, und es wäre sogar im Regelfall ein abgetrenntes Gelände. Die katholische Kirche verfügt übrigens über einige hundert nicht mehr besetzte Klöster, die ebenfalls über alle zur Versorgung erforderlichen Einrichtungen wie Speisesäle und Großküchen verfügen. Auch diese Option wurde nicht einmal erwähnt.
Stattdessen wurden große Mengen Menschen in die Kommunen geschaufelt, die von der Aufgabe überfordert sein mussten. Mehr noch, wenn mancherorts mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als ein Ort Einwohner hat, dann handelt es sich dabei um Absicht. Während von Regierungsseite lauthals verkündet wird, jetzt sei „Willkommenskultur“ angesagt, und vor dem inneren Auge schon hawaiianische Blumenketten erstehen, ist der tatsächliche Ablauf von einer subtilen Bösartigkeit beherrscht. In der Psychologie nennt man so etwas „Doublebind“ – die sichtbare Botschaft ist das Gegenteil dessen, was gemeint ist. Bösartigkeit ist übrigens eine Art Leitmotiv in der ganzen Geschichte.
Propaganda der Tat
Die Behauptung, man könne sich in Deutschland keinen Sozialstaat mehr leisten, zieht sich durch die Politik der letzten Jahrzehnte wie ein dauernder Klagegesang. Die Trennung der unterschiedlichen politischen Ebenen ist hier ein vielfach genutztes Mittel. Während es auf Bundesebene kein Problem ist, das mehrfache eines Jahreshaushalts in den Rachen der Banken zu werfen, werden in den Kommunen Schwimmbäder, Bibliotheken und Jugendzentren geschlossen, weil das Geld fehlt. Gesamtwirtschaftlich ist das eine Fiktion; vor Ort aber unerbittliche Realität.
Dennoch, es ist über die Jahre hinweg aufgefallen, wohin die großen Geldströme fließen, und eine solch wunderbare Gelegenheit, die Fiktion der Verarmung zu bestätigen, konnte nicht ungenutzt bleiben. Schließlich ist ein halbwegs überzeugendes „dafür ist kein Geld da“ die einfachste Methode, soziale Wünsche und mögliche Gegenwehr auszubremsen. So wird im Wohnungsbau verfahren, der seit Jahren völlig dem Markt ausgeliefert ist und längst bereits massive Wohnungslosigkeit und mancherorts (wie in München) durch die hohen Mieten echte Versorgungsprobleme auslöst (in Münchner Kliniken stehen ganze Stationen leer, weil kein Personal zu finden ist – weil das Personal die Mieten nicht bezahlen kann). So wird im Bereich von Hartz IV verfahren, bei den Renten, die immer weiter gekürzt werden (eine Erhöhung des Rentenalters ist tatsächlich vor allem eine Rentenkürzung), und zur besonderen Erbauung gibt es obendrein noch die deutliche Botschaft, Menschen, die keine verwertbare Arbeitskraft anzubieten hätten, wären eigentlich überflüssig.
Wenn eine Diskussion eröffnet wird, ob Kommunen nicht Wohnraum für Flüchtlinge beschlagnahmen könnten (dieses Recht haben Kommunen, hatten sie die ganze Zeit), ist es nicht verwunderlich, wenn sich Menschen fragen, warum dieser Schritt angesichts der zunehmenden Wohnungslosigkeit nicht auch für Einheimische möglich ist. An diesem Beispiel zeigt sich, wie politische Schachzüge dramatisiert werden. Denn die Debatte zielt mitnichten darauf ab, dieses kommunale Recht tatsächlich anzuwenden, weder für Flüchtlinge noch für sonst jemanden; Ziel des Spiels ist es vielmehr, an diesem Beispiel genau diesen Schritt für verwerflich zu erklären. Letzten Endes bleiben beide Gruppen, die Einheimischen wie die Flüchtlinge, ohne Zugang zu Wohnungen, aber es wurde vorgeführt, dass die Politik nun einmal nichts an der Lage ändern könne. In der Redensart nennt man das den Sack schlagen, aber den Esel meinen.
Ein Nicht-Wollen wird so als Nicht-Können maskiert. Und Schritt für Schritt, Beispiel für Beispiel wird Not inszeniert, Überforderung, Mangel. Schließlich hat die Betonung, Deutschland ginge es wirtschaftlich gut, in den letzten Monaten dazu geführt, dass wieder erste Forderungen nach leichten Verbesserungen gestellt werden. Im Streik im Erziehungsdienst beispielsweise. Die ungeheure Anstrengung, die vielen Flüchtlinge aufzunehmen, kommt gerade recht; von einer Aushöhlung des ohnehin schwindsüchtigen Mindestlohns bis hin zu Rentenkürzungen (von Lohnforderungen im öffentlichen Dienst ganz zu schweigen) kann man Wetten darüber abschließen, wie oft von der schweren Belastung durch die vielen Flüchtlinge die Rede sein wird. Und da Flüchtlinge eine durch den politischen Apparat nach Belieben verschiebbare Menschengruppe sind, wird auch noch die eine oder andere Inszenierung folgen, um dieser Darstellung Glaubwürdigkeit und mediale Präsenz zu verschaffen.
(Eine der Informationen, die durch das Flüchtlingsdrama verschüttet wurde, betrifft übrigens die Vermögensverteilung in Deutschland. Jedes Mal, wenn diese genauer betrachtet wird, ist sie bizarrer, ungerechter, eigentlich längst unhaltbar. Wie praktisch, dass diesmal kaum jemand hingesehen hat. Und wie ungeheuer günstig, dass seit Abschaffung der Vermögensteuer unter Helmut Kohl zwar die Armut im Lande immer sichtbarer wird, der Reichtum aber gar nicht mehr erfasst wird.)
Das große Drama am Münchner Hauptbahnhof, die Aufrufe an die Bevölkerung, zu helfen – das Alles ist propagandistische Handlung. Mit solcher Verve inszeniert, dass niemand innehält, um sich zu fragen, ob es wirklich Freiwillige braucht, um zwanzigtausend Menschen mit Nahrung, Wasser und ein paar Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Die entsprechenden Entscheidungen vorausgesetzt, hätten sich diese Fragen geräuschlos lösen lassen. Auf dem Oktoberfest werden an manchen Tagen 500 000 Menschen bespaßt, ernährt und abgefüllt. Wie kann es dann sein, dass eine solch doch recht überschaubare Zahl von Personen, die weit unter der Besucherzahl eines Bundesligaspiels liegt, nur mit Hilfe von Freiwilligen versorgt werden kann? Nein, das war keine technische Notwendigkeit. Und mit Sicherheit weder die kostengünstigste noch die effizienteste Lösung der realen Probleme. Eine Lösung, die den wirklichen logistischen Möglichkeiten entspricht, hätte aber keine Bilder und keine Rührung geliefert. Das Ziel war hier nicht die bestmögliche Hilfe, sondern das Theater, die Propaganda der Tat.
Wie praktisch und angenehm, dass dieses Stück ein von vorneherein festgelegtes Ende hatte. Schließlich war die Kehrtwende rechtzeitig vor Beginn der Wiesn abseh- und in aller vermeintlicher Unschuld vollziehbar. Denn wenn die Maßkrüge unter der Bavaria befüllt werden müssen, ist kein Platz mehr für Flüchtlingsströme, und da die Besucher auch Fremde sind, können Bahnhof und Grenzen wieder geschlossen werden, ohne dass der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit möglich wäre.
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Menschenrechte und Menschenfeinde
Kommen wir zu den Untertönen der Geschichte. „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“, wie das so genannt wurde. Oder der Raum zwischen Heidenau und den Teddybären am Münchner Hauptbahnhof.
Heidenau war der notwendige Kontrast, um das Münchner Drama zur Geltung zu bringen. Hätte es nicht stattgefunden, es hätte erfunden werden müssen. Es ist ja bereits etablierter Konsens, dass die Ablehnung von Flüchtlingen rassistisch ist. Und jegliche soziale Frage ist gründlich genug aus der politischen Wahrnehmung exorziert, dass der Unterton der sozialen Verachtung in der Inszenierung ins Unbewusste verbannt bleibt.
Denn „Lichtdeutschland“ ist sozial eindeutig verortet, es ist die Heimat des (noch) gut abgesicherten Spießbürgers, während „Dunkeldeutschland“ der proletarische Mob ist, der misstrauisch und naserümpfend betrachtet wird. Natürlich wird nicht vergessen, die Spaltung unseres angeblich wiedervereinigten Landes bei dieser Gelegenheit mitzuzelebrieren – es sind schließlich die bösen sozialistisch sozialisierten Ossis, die „Dunkeldeutschland“ liefern, und es sind die gutbürgerlichen Wessis, die für das Licht stehen.
Unbestritten, die tatsächliche Lage von Flüchtlingen ist nicht gut, und viele derjenigen, die, von wem auch immer, mit diesem Strom hierher gelockt wurden, werden sehr schnell feststellen, dass dieses Land alles andere als freundlich ist. Das große Pathos, mit dem an Hilfsbereitschaft appelliert wurde, kann aber auf mehrfache Weise durchaus legitime Wut erzeugen.
Das beginnt mit der Selektivität. Warum, um Himmels willen, haben syrische Flüchtlinge mehr Entgegenkommen verdient als Flüchtlinge aus dem Jemen, aus Somalia, aus Afghanistan, aus dem Irak oder einem der vielen anderen Länder, die in den letzten Jahren aus dem einen oder anderen Grund von westlichen Mächten ins Chaos gebombt oder zu Grunde gerichtet wurden? Warum sollen sie willkommener sein als Flüchtlinge aus dem Kosovo, den die Bundesregierung in jahrelanger Bemühung und innigster Kooperation mit den USA in eine Mischung aus Mafiakolonie und Flugzeugträger verwandelt hat? Diese saubere Teilung in jene Flüchtlinge, deren Land man gerade noch ruinieren will und die daher noch einen propagandistischen Nutzen abwerfen, und jene, deren Land man bereits ruiniert hat und die daher bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, ist zutiefst zynisch. Aber die Linke ist ja gerade mit dem Verteilen von Teddybären beschäftigt und kommt nicht dazu, auf diese Heuchelei aufmerksam zu machen.
Aber wie klingt die Aufforderung zu einer „Willkommenskultur“ in den Ohren all jener, denen dieses ihr eigenes Land vorwiegend feindselig gegenübertritt? Ist es wirklich notwendigerweise Rassismus, wenn diese plötzlich verordnete Freundlichkeit jenen sauer aufstößt, die unter Kuratel des Jobcenters stehen oder sich im Niedriglohnsektor von Monatsanfang zu Monatsanfang hangeln? Denen obendrein ständig von den „Leistungsträgern“ vorgesäuselt wird, die zu Parasiten erklärt werden, in deren Wohnungen man die Zahnbürsten zählt und deren Zukunftsperspektive Altersarmut heißt? Komme da jetzt keiner mit Solidarität; die besteht zwischen denen unten gegen die oben, das ist etwas anderes als staatlich verordnete „Willkommenskultur“. Wir leben in einem Land, das nur sein oberstes Hundertstel willkommen heißt, und die untere Hälfte (die, nebenbei bemerkt, all die wirklich notwendige Arbeit verrichtet) am liebsten auf Wasser und Brot setzen würde. Das Versprechen des irdischen Paradieses, das der Kapitalismus in der Phase des Waffenstillstands gegeben hat, hat sich längst in Luft aufgelöst, das Zuckerbrot ist gestrichen, übrig ist die Peitsche. „Willkommenskultur“? Wenn das ähnliche Empfindungen auslöst wie mittlerweile das Wort „Reform“, nämlich düstere Befürchtungen einer weiteren Verschlechterung der eigenen Lage, so ist das nur nüchterner Realismus. Ja, der Zorn richtet sich auf die falschen Ziele, aber sein Quell ist nicht eine rassistische Einstellung, sondern eine ganz wirkliche soziale Finsternis.
Und „Lichtdeutschland“? Das ist politisch so edelmütig wie der Einkauf im Bio-Supermarkt. Eine bürgerliche Linke, die ein neues Ablassobjekt entdeckt (oder angeboten bekommen) hat. Nachdem die Frage des naturgerechten Ackerbaus über den Einkauf von durch marokkanische Arbeitssklaven geernteten spanischen Bioerdbeeren gelöst und die Frage gerechter Handelsbeziehungen in Fair-Trade-Schokolade versenkt wurde, kann man jetzt den Ablass für imperialistische Kriege durch Übergabe von Teddybären erhalten. Gibt es eine massive Bewegung für die Beendigungen der Sanktionen gegen Syrien? Gibt es nicht. Wie viele Politiker sprechen sich für sofortigen Austritt aus der NATO aus? Eben. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Aber es gibt „Willkommenskultur.“
Nicht zu vergessen, dass diese Ablasshandlung (wie all die anderen Ablasshandlungen übrigens) einen guten Anteil dessen enthält, was auf Englisch mittlerweile „classism“ genannt wird, analog zu Rassismus und Sexismus also Klassismus, auf Deutsch als Klassenhass bekannt (auch wenn wir hier marxistisch formuliert nicht von einer Klasse reden, sondern von den „Zwischenschichten“). Es handelt sich nämlich wieder einmal um eine Handlung zur Distinktion, zur Abgrenzung, die nicht zufällig, sondern aus gutem Grund letztlich in Übereinstimmung mit der imperialistischen Politik mündet. Der deutsche Spießbürger erkennt in dem vielzitierten syrischen Arzt (lassen wir einmal dahingestellt, ob es letzteren wirklich in dieser Menge gibt) Fleisch von seinem Fleische; es käme ihm nicht in den Sinn, seine Teddybären in Obdachlosenunterkünfte zu tragen oder „Willkommenskultur“ vor dem Jobcenter zu zelebrieren; jede wohltätige Handlung beinhaltet ihr Quäntchen Verachtung für die Besitzlosen.
Ja, es gibt ein klein wenig Gegrummel über die Politik der USA. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Erbarmungslosigkeit, mit der gegenwärtig jedes Bestreben nach Unabhängigkeit seitens der Länder quittiert wird, die in den kolonialen Kosmos gehören, zwar von den Vereinigten Staaten exekutiert wird, aber nicht nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient (respektive, um es korrekt zu formulieren, den Interessen des US-Kapitals). Auch die bundesdeutsche Industrie zieht Gewinne daraus, dass andere Länder in der Rolle von Rohstofflieferanten bleiben, die die Preise ihrer Waren nicht bestimmen können. Die berühmten Bananen, die zum Symbol der Überlegenheit der BRD über die DDR wurden, waren hier vor allem deshalb billiger, weil die Bananenpflücker der Westkolonien gewaltsam daran gehindert wurden (und werden), vernünftige Entlohnung zu erkämpfen. Es ist nicht nur die Frage, wie weit die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik aktiv an den diversen Schweinereien beteiligt sind. Sie profitieren von ihnen. Am Beispiel Griechenlands konnte man sehen, dass diese Interessen durchaus eine eigene Blutspur ziehen können; auch wenn in diesem Falle die Toten nicht durch den Einsatz von Bombenflugzeugen, sondern beispielsweise durch die Zerstörung des Gesundheitswesens erzeugt wurden. Die ganze Struktur, die große Teile des Planeten im Würgegriff hält, mit IWF und Weltbank und dem NATO-Militär, ist keineswegs grundsätzlich gegen die Interessen des deutschen Kapitals gerichtet, und wie bei einer Bande von Schutzgelderpressern ist der Schläger, der den unwilligen „Kunden“ vermöbelt, nicht der einzige Beteiligte des Spiels. Augenblicklich werden koloniale Kriege mit einer Erbarmungslosigkeit geführt, die einige Jahrzehnte lang undenkbar war, und sie stürzen halbe Kontinente ins Chaos. Auf jeden Muckser in die falsche Richtung folgen Drohung mit und Durchführung von „Regimewechseln“. Aber solange hier die Bananen billig sind, gibt es keinen Grund, die Hände in Unschuld zu waschen. Und dass die Interessen des deutschen Kapitals gelegentlich mit jenen des US-amerikanischen kollidieren, sollte nicht dazu führen, zu übersehen, dass sich beide herzlich einig sind, wenn es darum geht, die Länder, die unten sind, auch dort zu halten.
Das Verhältnis des deutschen Spießbürgers zum Imperialismus an sich, wie er sich momentan in dem halbgaren Unbehagen an der US-amerikanischen Kriegspolitik ausdrückt, ist eher ein ästhetisches. Der grobe Ami möge doch bitte seine Stiefel ordentlich am Fußabtreter abputzen, damit es keine Blutflecken auf dem Teppich gibt. Zwischen einem Teddybären am Bahnhof und einer Ablehnung kolonialer Kriege liegen Welten.
(Nebenbei – wenn man sich die Moden imperialistischer Legitimationserzählungen betrachtet, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis das erste Land wegen Rassismus bombardiert wird).
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Die karitative Linke
Was die bundesdeutsche Gesamtlinke betrifft, ist festzustellen, dass sie weit mehr Einsatz auf Flüchtlingsbetreuung und eifriges Gegendemonstrieren verwendet als auf Proteste gegen imperialistische Kriegsführung (letzteres steht bei einigen vermeintlich Linken mittlerweile ja im Ruch des „Antisemitismus“). Weder die manipulative Medienarbeit wie etwa mit dem Foto des toten Jungen (das eine ganze Reihe von Fragen aufwirft) noch die zelebrierte „Willkommenskultur“ werden in Frage gestellt. Im Gegenteil, man macht eifrig mit und verbucht diesen Ausbruch bundesdeutscher Wohltätigkeitsheuchelei als Fortschritt gegen den Rassismus.
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Es gibt ja einige einfache Faustregeln im politischen Leben. Eine davon lautet, wenn die BILD-Zeitung etwas gut findet, das ich gut finde, sollte ich darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.
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Allerdings ist diese Reaktion alles andere als unschuldig und zeigt – wieder einmal – dass wir es hier mit einer zutiefst bürgerlichen Linken zu tun haben, mit einer bürgerlichen Moral. Kann es denn angehen, dass man (wohl wissend, wie sozial selektiv Fluchtwege nach Europa sind) sich einzig dafür einsetzt, diejenigen, die die darwinsche Lotterie bis hierher überstanden haben, möglichst freundlich zu empfangen, und die anderen, die sich diese Luxusflucht nicht leisten können, völlig zu ignorieren? Solidarität ist etwas anderes als Mildtätigkeit. Solidarität ist Beistand im Kampf. Wie ist die Aufnahme eines Bruchteils relativ wohlhabender und relativ gebildeter Flüchtlinge in Deutschland eine Unterstützung im Kampf um eine bessere Zukunft für die syrische Bevölkerung? Es überrascht nicht, dass die deutsche Industrie gerne ausgebildetes Personal anderer Länder abschöpft. Es überrascht allerdings schon, wenn in Deutschland keine andere linke Antwort mehr denkbar scheint als „Bleiberecht für Alle.“
Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erklärt, die Mittel für dieses Jahr seien aufgebraucht (was gerade die Flüchtlinge in ernste Gefahr bringt, die sich die teure Europatour nicht leisten können), wird die Auseinandersetzung nicht darum geführt, den vor Ort angerichteten Schaden auch vor Ort wieder gut zu machen (also nicht nur die Sanktionen gegen Syrien einzustellen, sondern Wiederaufbauhilfe zu leisten), sondern man kümmert sich um jene, die es bis hierher geschafft haben.
Das ist weder im Interesse der syrischen Arbeiterklasse noch im Interesse des Widerstands gegen den Imperialismus (man muss hier das „klassische“ Vokabular verwenden, damit das Problem sichtbar wird). Es ist eine individualistische „Lösung“ für ein kollektives Problem; als würde man eine klaffende Wunde am Bein mit einem Heftpflaster behandeln wollen, allerdings auf der Nase…
Jeder Flüchtling ist gut? Wirklich? Und wenn die ukrainischen Faschisten eines Tages eins auf die Nase kriegen und dann massenweise dort aufschlagen, wo man sie schon einmal aufbewahrt hatte, hier in Deutschland nämlich, ist das dann immer noch gut? Offene Grenzen auch für Ukronazis?Weil kein Land weltweit mehr Erfahrung in der Resozialisierung von Kriegsverbrechern hat als Deutschland?
Migration ist oft ein stabilisierender Faktor für unerträgliche Zustände. Wäre die irische Unabhängigkeit ohne die massive Auswanderung im 19. Jahrhundert früher gekommen? Wie hätte sich die deutsche Geschichte entwickelt ohne die massenhafte Auswanderung nach der Niederlage 1848 (Deutschland war bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Auswanderungs-, kein Einwanderungsland)? Kann man wirklich behaupten, jede Migration, wann und wo auch immer, wäre im Interesse gesellschaftlichen Fortschritts? (Nebenbei, in den letzten Jahren gab es beträchtliche Auswanderung aus Griechenland, Portugal, Spanien, auch hierher. Ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung hier, aber sicher mit Folgen für die politische Auseinandersetzung dort).
Und ist nicht eine Haltung, die nicht mehr in Frage stellt, wer wann warum wohin migriert, sondern es implizit voraussetzt, jeder Mensch auf der Welt wolle so leben wie wir in der Bundesrepublik, oder genauer, in der Bundesrepublik leben, zutiefst affirmativ, systemkonform, nur eine andere Spielart arroganter kolonialistischer Überheblichkeit? Sozusagen amerikanischer Suprematismus auf deutsch?
Ja, es lebt sich im Herzen der Finsternis meist besser als in der Peripherie. Aber man sollte nicht vergessen, dass es eben das Herz der Finsternis ist und kein gelobtes Land.
Ein neuer Glaube
Das Unheimlichste am Flüchtlingstheater ist, dass es sich in eine ganze Kette ähnlich makaberer Inszenierungen einreiht. Das begann spätestens mit der Bewerbung des Maidan und Herrn Klitschko, setzte sich fort mit MH17 und erreichte einen schaurigen Höhepunkt Anfang des Jahres mit „Ich bin Charlie“. All diese Ereignisse wirkten gemacht, wurden bis zur Überwältigung emotional aufgeladen und massiv medial verwertet.
In allen Fällen gab es eine offizielle Erzählung, die nicht kritisiert werden durfte. In allen Fällen war insbesondere die Erwähnung von Interessen tabuisiert, während gleichzeitig ein ganzer Schwall von „Werten“ über das verblüffte Publikum ergossen wurde. Seit „Ich bin Charlie“ werden zudem noch ganze Massen zu öffentlichen Bekenntnissen mit einbezogen.
Diese „Werte“ bewegen sich weitgehend im Bereich reiner Behauptung. Niemand, der sich je mit den Eigentumsverhältnissen der Medien befasst hat, würde ernstlich erklären, bei uns herrsche Meinungsfreiheit. Niemand, der die perfide Szene mit Angela Merkel und dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen gesehen hat („Ich möchte sie einmal streicheln“), kann an die „Willkommenskultur“ von „Lichtdeutschland“ glauben. Aber die Inszenierung wird von Mal zu Mal verstärkt.
Die Erzählung von den syrischen Flüchtlingen folgt auch geopolitischen Interessen. Wolfgang Ischinger, das außenpolitische Sprachrohr der Allianz, hat, wie German Foreign Policy akkurat wie immer berichtet, schon den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gefordert; gegen Assad, versteht sich. Ähnliches ist sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich geschehen. Aber es steckt mehr in der Geschichte.
Der Umgang mit all diesen Momenten ist betont antirational. Ich hatte zu „Ich bin Charlie“ schon geschrieben, das ganze gemahne an eine Volksgemeinschaft der „europäischen Werte“; „Lichtdeutschland“ verstärkt diesen Eindruck noch einmal. Gleichzeitig war es noch nie so leicht, als Staatsfeind angesehen zu werden – ein wenig Widerspruch gegen eine dieser Erzählungen reicht dafür aus. Es handelt sich um eine parteiunabhängige und parteiübergreifende Formierung im Inneren mit einer aggressiven Position nach Außen, mit starken irrationalen und emotional manipulativen Anteilen. Ich hoffe sehr, mich zu irren, aber mir scheint, wir erleben gerade in Raten die Entstehung der Ideologie des europäischen Faschismus im 21. Jahrhundert.
Im Verlauf des letzten Jahres wurde deutlich, dass es durchaus mächtige Kräfte in Europa gibt, die auf Kriegskurs sind, aber zugleich wurde klar, dass die „normale“ propagandistische Bearbeitung nicht ausreicht, um die Bevölkerung für diese Zwecke einsetzbar zu machen. Seitdem erleben wir eine ganze Kette von Ereignissen, die jedesmal einen kleinen Schubs in die „richtige“ Richtung versetzen, immer in einer Verpackung, die den Inhalt bis in die kleinbürgerlich-linken Kreise hinein verdaulich hält. Gleichzeitig wird der politische Diskurs konsequent nicht nur von geopolitischen, sondern auch von ökonomischen und sozialen Inhalten entleert, und eine Botschaft immer wieder wiederholt: all diese Inhalte sind Nichts im Vergleich mit den „Werten“. Und in langsamer Steigerung wird diese Seelenmassage mit der Aussage gewürzt, für die „Werte“ müsse man bereit sein, Opfer zu bringen.
Es gibt unterschiedliche Theorien, wer den Flüchtlingsstrom in die Bundesrepublik ausgelöst haben könnte. Mag sein, es war ursprünglich ein freundlicher Gruß der Vereinigten Staaten. Oder von Herrn Erdogan, der gerne ungestört weiter mit ISIS spielen möchte. Aber er wurde hier schnell und wirkungsvoll instrumentalisiert und bis an die Grenze des Notstands ausgespielt, und mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie er noch genutzt werden könnte, um diese Grenze zu überschreiten (der Gedanke, es könnten ISIS-Anhänger mit im Strom geschwommen sein, ist ja bereits gesetzt). Angesichts der Euphorie, mit der weite Teile der Linken sowohl bei „Ich bin Charlie“ als auch bei „Lichtdeutschland“ mitspielen, möchte ich darüber eigentlich nicht länger nachdenken.
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Syntagmaplatz, Athen, 9. Oktober 2012




Danke  The Vineyard Saker – Deutsche Version
Quelle: http://vineyardsaker.de/analyse/finsternis-ist-licht/#more-4129
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 16/09/2015
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974
- See more at: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974#sthash.Ik4oafE7.dpuf
Finsternis ist Licht: was steckt hinter der von oben verordneten „Willkommenskultur“?

Dagmar Henn



Wir leben gerade in einem deutschem Märchen. Die Geschichte von „Goldmarie und Pechmarie“ hat ein neues Gewand erhalten; die aktuelle Überschrift lautet „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“. Frau Merkel predigt „Willkommenskultur“, und brave deutsche Bürger überschütten syrische Flüchtlinge mit Teddybären.

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Wenn es einem gelingt, in der emotionalen Flut noch Atem zu holen, kommt man sich vor wie in einem schlechten Theaterstück. Oder beim Hören eines Musikstücks, das auf einem verstimmten Instrument gespielt wird.
Erst einmal ist das nur eine Art Schmerz, der schwer zu lokalisieren ist. Als vor einigen Jahren das Münchner Glockenspiel renoviert wurde, klang es über ein Jahr lang falsch, tagtäglich; bis dann endlich einige Musiker genau genug hörten, um zu erkennen, dass die Glocken für c´´ und cis´´ vertauscht waren… Noch ist der Quell des Schmerzes beim augenblicklichen Drama nicht genau zu orten; aber dass es falsch klingt, das ist sicher.
Versuchen wir einmal, das Stück in seine Bestandteile zu zergliedern und das eine oder andere Mal die berühmte Frage nach dem „cui bono“ zu stellen.
An der Oberfläche sind es erst einmal die Bilder, die stutzig machen. Zwei davon. Das Bild des ertrunkenen Kindes am Strand, und Bilder aus Budapest, die Flüchtlinge mit einem Foto von Angela Merkel zeigen und mit einer EU-Fahne. Diese Bilder verursachten ein Gefühl wie eine Gräte im Mund beim Fischessen.
Wer immer sich mit dem Thema Migration tatsächlich befasst, weiß, dass im Mittelmeer seit vielen http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11571.jpgJahren Menschen ertrinken. Eine der entsetzlichsten Geschichten ereignete sich während der Angriffe auf Libyen. Ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen trieb zwei Wochen lang steuerlos auf dem Mittelmeer, begegnete dabei zweimal Kriegsschiffen, wurde von Helikoptern überflogen und trieb dennoch weiter, bis die Überlebenden schließlich in Italien landeten. Zwei Wochen ohne jeden Versuch einer Rettung auf einer Strecke, die zum damaligen Zeitpunkt völlig überwacht war. Die Meldung schaffte es nicht in die großen Medien, und es wurde nie bekannt, welche Schiffe welcher Nationalität gegen das internationale Seerecht verstoßen haben, das zur Rettung jedes Schiffbrüchigen verpflichtet.
In all den Jahren starben Männer, Frauen und Kinder. Viele darunter nicht ertrunken, sondern verdurstet. In all den Jahren gab es nur wenige Bilder und schon gar nicht die groß angelegte Empörung, die jüngst durch die Gazetten schwappte.
Allerdings hatte das Bild des toten Kindes ein kleines Vorspiel. Die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ vor dem Bundestag. Auch hier gab es Einiges, das überrascht. Man sollte nicht glauben, dass man so einfach jederzeit vor dem Bundestag Löcher in den Rasen graben darf. Dass der milde Polizeieinsatz, der auf den Videos von dieser Aktion zu sehen ist, alles ist, was der Apparat hergibt. Nein, in Summe blieb eher der Eindruck einer mindestens geduldeten, wenn nicht gar geförderten Veranstaltung. Man könnte die Betreiber dieser Aktion für unschuldige Humanisten halten – wenn sie nicht auch schon als Befürworter eines Militäreinsatzes in Syrien aufgetreten wären. Was damals – also vor wenigen Monaten -Rätsel aufgab, ist jetzt klar zu entschlüsseln. Diese Aktion und das Bild gehören zusammen.

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Mit dem Foto von Merkel in Budapest hat sich Telepolis schon ausführlicher beschäftigt. Merkel und die Europafahne, das wirkt wie organisierte Gegenpropaganda zu den Bildern, die man aus Griechenland sieht.
Aber gehen wir doch einmal zu den Fakten.
Tatsache ist, es bewegen sich Zehntausende auf der südöstlichen Mittelmeer-Route auf Deutschland zu. Viele davon, aber nicht alle, sind Syrer (syrische Pässe dürften gerade deutlich im Preis gestiegen sein). Warum machen sie sich jetzt auf diesen Weg?
Diese Frage ist keineswegs banal. Wie am Beispiel des Vaters des ertrunkenen Jungen zu lesen war, führte die erste Fluchtetappe sie in die Türkei. Das allerdings nicht gerade eben, sondern schon vor einiger Zeit.
Fluchtbewegungen entstehen, das konnte man am Beispiel der Ukraine deutlich erkennen, am Anfang eines Konfliktes oder bei entscheidenden Umschwüngen. Der Krieg in Syrien dauert schon Jahre, und es gab in den letzten Wochen keine entscheidende Wendung. Für eine große Fluchtbewegung ist es also ein sehr ungewöhnlicher Zeitpunkt.
Die Flüchtenden orientieren sich dabei auf jene Richtung, in der sie sich sicher fühlen, sprich, die Fluchtrichtung gibt oft auch eine politische Orientierung wieder. Aus dem Donbass bewegten sich die meisten Flüchtlinge nach Russland, nicht in Richtung Kiew. Man kann also davon ausgehen, dass jene Syrer, die in die Türkei flüchteten, eher der – wie auch immer zusammengesetzten – Opposition zuneigen (Innerhalb Syriens gibt es wesentlich mehr Binnenflüchtlinge).
Es gibt Berichte, dass die großen Flüchtlingslager, die in der Türkei von der UNO betrieben werden, relativ abgeschottet waren. Die plötzliche Bewegung, die nun stattfindet, hat also mehrere Voraussetzungen. Zum einen muss auf irgendeine Weise eine Art Werbung stattgefunden haben, damit sich so große Mengen auf ein so eindeutiges Ziel hinbewegen. Fluchtbewegungen haben in der Regel einen Ausgangspunkt, es gibt einen Ort von dem geflohen wird, und eine klare Richtung, aber eher selten ein eindeutiges Ziel, schon gar keines, das so weit entfernt liegt. Zum anderen muss dafür die Abschottung der Flüchtlingslager aufgehoben werden. Sprich, ohne aktive Mitwirkung der Türkei hätte diese Bewegung nicht stattfinden können. Auf der Karte lässt sich unschwer erkennen – die gesamte südöstliche Strecke bündelt sich in Istanbul.
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Das ist ein deutliches Indiz dafür, das wir es nicht mit einem spontanen Ereignis zu tun haben.
Auf den ersten Blick scheint das ungewöhnlich. Flüchtlinge als Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen? Dieser Gedanke wird sicher sogleich mit dem Etikett „Verschwörungstheorie“ versehen.
Die bundesdeutsche Geschichte kennt dafür aber mehrere Beispiele. Das erste betrifft jene, die hier im Allgemeinen als „Vertriebene“ etikettiert werden, also deutsche Flüchtlinge, die nach dem zweiten Weltkrieg ankamen. Im Gegensatz zur offiziellen Erzählung, die immer betont, wie gut sie versorgt und integriert wurden, blieben sie in der Bundesrepublik bis Anfang der fünfziger Jahre in Lagern. Erst nachdem es 1952 zu einer großen Demonstration der KPD (!) für die sozialen Interessen dieser Flüchtlinge in Bonn kam, fing der Adenauer-Staat an, über Wohnungen und Arbeitsplätze für sie nachzudenken. Der Hintergrund für dieses befremdliche Verhalten (der Krieg war schon Jahre vorüber) war, diese Menschen nutzen zu können, wenn der Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgenommen werden sollte. Die Demonstration (die nebenbei auch zur Einführung der „Bannmeile“ ins bundesdeutsche Recht führte) ließ fürchten, dass diese bisher verlässlich antikommunistisch mobilisierbaren Internierten sich anders besinnen könnten; daher wurde daraufhin die Politik geändert.
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Im Verhältnis zum anderen deutschen Staat wurde dauerhaft auf das Abwerben der Bürger gesetzt. Vor der Schließung der Grenze lag besonderes Augenmerk darauf, ausgebildete Arbeitskräfte in die westliche Republik zu locken; das sparte die Kosten für die Ausbildung. Nachdem dieser Zustrom beendet wurde, blieb weiter die propagandistische Nutzung der DDR-Übersiedler, die man auch gerne zu halsbrecherischen Aktionen verleitete, wenn es möglich war.
Nachdem der Zufluss aus der DDR wegfiel, besorgte sich die bundesdeutsche Industrie ihren Arbeitskräftenachschub aus den Anwerbeländern. In diesem Fall konnten sie sich die Ausbildung nicht mehr sparen, aber die Aufwendungen für Kinderbetreuungseinrichtungen, die nötig gewesen wären, damit die hier lebenden Frauen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und natürlich waren die so gewonnenen Arbeitskräfte besonders billig. Sprachunkundige junge Männer ohne Familien sind relativ leicht über den Tisch zu ziehen und nach Bedarf hin- und herzuschieben.
Damit will ich nicht sagen, dass die Bundesregierung hinter diesen Ereignissen steckt. Dieser Punkt ist momentan noch nicht zu klären. Es ist aber wichtig, festzuhalten, dass es kein Novum in der deutschen Politik wäre, wenn dem so wäre.
Aber völlig abgesehen von der Tatsache, wer diese Bewegung ausgelöst hat und warum – wie damit in Deutschland umgegangen wird, dafür ist auf jeden Fall die deutsche Politik verantwortlich.
Betrachten wir einmal die Ebene der konkreten Reaktionen bisher. Ziemlich rasch wurden jetzt die Bedingungen für alle Flüchtlinge verschärft. Alles, was an Verbesserungen in den letzten Jahren erreicht wurde (wie die lang erkämpfte Aufhebung der Residenzpflicht und Geld statt Essenspakete) wurde im Handstreich, und sogar gegen bereits ergangene Urteile des Verfassungsgerichts, wieder rückgängig gemacht. Das offiziell inszenierte „Willkommen“ wird also rechtlich ins Gegenteil verkehrt.
Der Vorstandsvorsitzende von Daimler hat bereits erklärt, er wolle nach Arbeitskräften suchen. Die Forderung, für Flüchtlinge den Mindestlohn aufzuheben, ist auch bereits ausgesprochen. Wohlgemerkt, es gibt nach wie vor viele hier geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keinen Ausbildungsplatz finden. Könnte es sein, dass es gerade ihre Integration ist, die sich hier als Nachteil erweist? Weil sie sich vielleicht doch ein wenig in ihren Rechten auskennen und nicht mehr so leicht handzuhaben sind wie „frische“ Einwanderer?
Es wird oft erwähnt, das Bildungsniveau der Syrer sei so gut. Das ZDF hat ein nettes kleines Filmchen gezeigt, in dem eine syrische Biologin erklärte, sie wolle „ihr Bestes tun“. Wenn es kein deutsch organisierter Fischzug ist, um wieder einmal in anderen Ländern die ausgebildeten Kräfte abzuschöpfen (die USA tun dies bekanntlich ebenfalls gern), dann ist zumindest abzusehen, dass die Fischer reichlich aktiv werden.
Völlig unberechenbar dürften die politischen Folgen sein (bleiben wir dabei erst einmal auf der Ebene des Apparats). Es zeichnet sich ab, dass mit Hilfe der Flüchtlingskrise ein weiterer Schritt in Richtung einer europäischen Vereinheitlichung unter deutscher Kontrolle versucht werden wird; sprich, es wird zu einem weiteren Verlust an europaweiter Restdemokratie kommen. Im Inneren hat sich de Maziere höchst kryptisch geäußert: „”Wir werden uns überall auf Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei, Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall.” Dies alles müsse “sehr schnell gehen”, am besten binnen Wochen. “Für einen Teil unserer verkrusteten gesellschaftlichen Abläufe könnte das einen enormen Aufbruch bedeuten.” „ Das klingt nicht gut. Mal abgesehen davon, dass Rechtsveränderungen in den letzten Jahren gerne im Chaos endeten, weil sie schon im regulären parlamentarischen Verfahren nicht durchdacht waren – diese Äußerung riecht nach außergesetzlichem Notstand, nach Brüningschen Notverordnungen. Wir werden in den nächsten Wochen noch erleben, wozu Flüchtlinge alles gut sind, und es würde mich nicht wundern, wenn das eine oder andere demokratische Recht bei der Gelegenheit mit entsorgt wird.
Mittlerweile ist die euphorische Grenzöffnung rückgängig gemacht. Und es ist an der Zeit, die Erzählung im Detail zu untersuchen.
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Der gemachte Mangel
Man muss gelegentlich darauf hinweisen – die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Erde. Auch wenn sich die Chancen der normalen arbeitenden Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren deutlich verschlechtert haben, einen auskömmlichen Lohn, eine bezahlbare Wohnung und so etwas wie eine längerfristige Perspektive zu erreichen, ist dieses Land reicher geworden. Die Produktivität ist weiter gestiegen, und die Einkommen haben sich im Durchschnitt verbessert. Es ist nur alles am oberen Zehntel (oder einem noch kleineren Teil) hängen geblieben.
Die Bundesrepublik ist auch ein Land mit einer entwickelten Infrastruktur. Wenn Katastrophenberichte veröffentlicht werden, weil im Münchner Hauptbahnhof zwanzigtausend Flüchtlinge mit dem Zug eintreffen, sollte man nicht vergessen, dass dieser Bahnhof als einer der bedeutendsten in Europa jeden Tag von einer halben Million Menschen genutzt wird, und dass München als Stadt des Oktoberfestes durchaus im Stande ist, hunderttausend und mehr Menschen vorübergehendes Quartier zu bieten. Es sind die gesetzlichen Regeln, die diese Unterbringung so kompliziert machen, weil die Betroffenen in Lagern untergebracht werden müssen.
Die gesetzlichen Regelungen, wo und wie Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden, sind Bundesrecht. Auch die Entscheidung, die Dublin-Regeln (die dem ersten von einem Flüchtling betretenen EU-Land die Zuständigkeit zuweisen) für Syrer aufzuheben, erfolgte auf Bundesebene. Die Verteilung registrierter Flüchtlinge auf die Bundesländer erfolgt ebenfalls durch den Bund. Wie viele Flüchtlinge in einem Bundesland eintreffen, können also weder das Land noch die Kommunen entscheiden.
Die genauere Ausgestaltung der Regeln und die Entscheidung über die Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht werden, geschieht auf Landesebene. Die Versorgung und die Qualität der Unterbringung können von Bundesland zu Bundesland sehr stark differieren. Zu den Regeln zählt beispielsweise die Frage, ob es eine Residenzpflicht gibt (die bedeuten kann, dass ein Flüchtling den Landkreis, in dem er untergebracht wird, nur auf Genehmigung verlassen kann, die aber ebenso gut sich auf das ganze Bundesland erstrecken kann), ob es Essenspakete gibt oder sich die Menschen selbst ihre Nahrungsmittel besorgen können, das alles ist Länderrecht. In diesen Bereichen gab es in den letzten Jahren einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die etwas mehr Freiheiten verschafften; im Handstreich wurden von der Bundesregierung diese Verbesserungen jetzt wieder aufgehoben.
Im Falle eines plötzlichen Eintreffens einer großen Zahl Menschen (vor Beginn des Aufnahme- und Verteilungsverfahrens) sind erst einmal die Kommunen zuständig, weil die Verhinderung von Wohnungslosigkeit ihre Zuständigkeit ist. Die Kommunen sind allerdings die politische Ebene, die in den letzten Jahrzehnten relativ gezielt ausgeblutet wurde; in manchen Bundesländern stehen zwei Drittel der Kommunen unter Zwangsverwaltung, sprich, sie müssen ihre Haushalte genehmigen lassen und haben im Grunde keinen politischen Entscheidungsspielraum mehr, ganz zu schweigen von irgendwelchen Reserven für Notlagen. Vor diesem Hintergrund ist es ein schlechter Witz, wenn die Bundesregierung den Kommunen zinsfreie Kredite anbietet, um Flüchtlinge unterbringen zu können – eine Kommune unter Zwangsverwaltung kann diese zusätzlichen Kredite gar nicht aufnehmen.
Der mit den öffentlichen Sicherheitsaufgaben eigentlich eng verbundene Zivilschutz ist eigenartigerweise gar nicht einbezogen worden. Die Bundeswehr, die sonst an jeden Damm zum Säckewerfen geschickt wird, blieb in ihren Kasernen. Das bedeutet, es wurde eine Katastrophe behauptet, aber die im Umgang mit Katastrophen üblichen Mittel wurden nicht eingesetzt.
Hätte es sich um eine wirkliche Katastrophe gehandelt, es hätte eine einfache, der Bundesregierung jederzeit mögliche Maßnahme gegeben – Teile der Bundeswehr in einen vorübergehenden Urlaub schicken und die Kasernen zur Aufnahme nutzen. Hier wäre die Infrastruktur zur Versorgung größerer Menschenmengen bereits vorhanden, und es wäre sogar im Regelfall ein abgetrenntes Gelände. Die katholische Kirche verfügt übrigens über einige hundert nicht mehr besetzte Klöster, die ebenfalls über alle zur Versorgung erforderlichen Einrichtungen wie Speisesäle und Großküchen verfügen. Auch diese Option wurde nicht einmal erwähnt.
Stattdessen wurden große Mengen Menschen in die Kommunen geschaufelt, die von der Aufgabe überfordert sein mussten. Mehr noch, wenn mancherorts mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als ein Ort Einwohner hat, dann handelt es sich dabei um Absicht. Während von Regierungsseite lauthals verkündet wird, jetzt sei „Willkommenskultur“ angesagt, und vor dem inneren Auge schon hawaiianische Blumenketten erstehen, ist der tatsächliche Ablauf von einer subtilen Bösartigkeit beherrscht. In der Psychologie nennt man so etwas „Doublebind“ – die sichtbare Botschaft ist das Gegenteil dessen, was gemeint ist. Bösartigkeit ist übrigens eine Art Leitmotiv in der ganzen Geschichte.
Propaganda der Tat
Die Behauptung, man könne sich in Deutschland keinen Sozialstaat mehr leisten, zieht sich durch die Politik der letzten Jahrzehnte wie ein dauernder Klagegesang. Die Trennung der unterschiedlichen politischen Ebenen ist hier ein vielfach genutztes Mittel. Während es auf Bundesebene kein Problem ist, das mehrfache eines Jahreshaushalts in den Rachen der Banken zu werfen, werden in den Kommunen Schwimmbäder, Bibliotheken und Jugendzentren geschlossen, weil das Geld fehlt. Gesamtwirtschaftlich ist das eine Fiktion; vor Ort aber unerbittliche Realität.
Dennoch, es ist über die Jahre hinweg aufgefallen, wohin die großen Geldströme fließen, und eine solch wunderbare Gelegenheit, die Fiktion der Verarmung zu bestätigen, konnte nicht ungenutzt bleiben. Schließlich ist ein halbwegs überzeugendes „dafür ist kein Geld da“ die einfachste Methode, soziale Wünsche und mögliche Gegenwehr auszubremsen. So wird im Wohnungsbau verfahren, der seit Jahren völlig dem Markt ausgeliefert ist und längst bereits massive Wohnungslosigkeit und mancherorts (wie in München) durch die hohen Mieten echte Versorgungsprobleme auslöst (in Münchner Kliniken stehen ganze Stationen leer, weil kein Personal zu finden ist – weil das Personal die Mieten nicht bezahlen kann). So wird im Bereich von Hartz IV verfahren, bei den Renten, die immer weiter gekürzt werden (eine Erhöhung des Rentenalters ist tatsächlich vor allem eine Rentenkürzung), und zur besonderen Erbauung gibt es obendrein noch die deutliche Botschaft, Menschen, die keine verwertbare Arbeitskraft anzubieten hätten, wären eigentlich überflüssig.
Wenn eine Diskussion eröffnet wird, ob Kommunen nicht Wohnraum für Flüchtlinge beschlagnahmen könnten (dieses Recht haben Kommunen, hatten sie die ganze Zeit), ist es nicht verwunderlich, wenn sich Menschen fragen, warum dieser Schritt angesichts der zunehmenden Wohnungslosigkeit nicht auch für Einheimische möglich ist. An diesem Beispiel zeigt sich, wie politische Schachzüge dramatisiert werden. Denn die Debatte zielt mitnichten darauf ab, dieses kommunale Recht tatsächlich anzuwenden, weder für Flüchtlinge noch für sonst jemanden; Ziel des Spiels ist es vielmehr, an diesem Beispiel genau diesen Schritt für verwerflich zu erklären. Letzten Endes bleiben beide Gruppen, die Einheimischen wie die Flüchtlinge, ohne Zugang zu Wohnungen, aber es wurde vorgeführt, dass die Politik nun einmal nichts an der Lage ändern könne. In der Redensart nennt man das den Sack schlagen, aber den Esel meinen.
Ein Nicht-Wollen wird so als Nicht-Können maskiert. Und Schritt für Schritt, Beispiel für Beispiel wird Not inszeniert, Überforderung, Mangel. Schließlich hat die Betonung, Deutschland ginge es wirtschaftlich gut, in den letzten Monaten dazu geführt, dass wieder erste Forderungen nach leichten Verbesserungen gestellt werden. Im Streik im Erziehungsdienst beispielsweise. Die ungeheure Anstrengung, die vielen Flüchtlinge aufzunehmen, kommt gerade recht; von einer Aushöhlung des ohnehin schwindsüchtigen Mindestlohns bis hin zu Rentenkürzungen (von Lohnforderungen im öffentlichen Dienst ganz zu schweigen) kann man Wetten darüber abschließen, wie oft von der schweren Belastung durch die vielen Flüchtlinge die Rede sein wird. Und da Flüchtlinge eine durch den politischen Apparat nach Belieben verschiebbare Menschengruppe sind, wird auch noch die eine oder andere Inszenierung folgen, um dieser Darstellung Glaubwürdigkeit und mediale Präsenz zu verschaffen.
(Eine der Informationen, die durch das Flüchtlingsdrama verschüttet wurde, betrifft übrigens die Vermögensverteilung in Deutschland. Jedes Mal, wenn diese genauer betrachtet wird, ist sie bizarrer, ungerechter, eigentlich längst unhaltbar. Wie praktisch, dass diesmal kaum jemand hingesehen hat. Und wie ungeheuer günstig, dass seit Abschaffung der Vermögensteuer unter Helmut Kohl zwar die Armut im Lande immer sichtbarer wird, der Reichtum aber gar nicht mehr erfasst wird.)
Das große Drama am Münchner Hauptbahnhof, die Aufrufe an die Bevölkerung, zu helfen – das Alles ist propagandistische Handlung. Mit solcher Verve inszeniert, dass niemand innehält, um sich zu fragen, ob es wirklich Freiwillige braucht, um zwanzigtausend Menschen mit Nahrung, Wasser und ein paar Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Die entsprechenden Entscheidungen vorausgesetzt, hätten sich diese Fragen geräuschlos lösen lassen. Auf dem Oktoberfest werden an manchen Tagen 500 000 Menschen bespaßt, ernährt und abgefüllt. Wie kann es dann sein, dass eine solch doch recht überschaubare Zahl von Personen, die weit unter der Besucherzahl eines Bundesligaspiels liegt, nur mit Hilfe von Freiwilligen versorgt werden kann? Nein, das war keine technische Notwendigkeit. Und mit Sicherheit weder die kostengünstigste noch die effizienteste Lösung der realen Probleme. Eine Lösung, die den wirklichen logistischen Möglichkeiten entspricht, hätte aber keine Bilder und keine Rührung geliefert. Das Ziel war hier nicht die bestmögliche Hilfe, sondern das Theater, die Propaganda der Tat.
Wie praktisch und angenehm, dass dieses Stück ein von vorneherein festgelegtes Ende hatte. Schließlich war die Kehrtwende rechtzeitig vor Beginn der Wiesn abseh- und in aller vermeintlicher Unschuld vollziehbar. Denn wenn die Maßkrüge unter der Bavaria befüllt werden müssen, ist kein Platz mehr für Flüchtlingsströme, und da die Besucher auch Fremde sind, können Bahnhof und Grenzen wieder geschlossen werden, ohne dass der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit möglich wäre.
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Menschenrechte und Menschenfeinde
Kommen wir zu den Untertönen der Geschichte. „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“, wie das so genannt wurde. Oder der Raum zwischen Heidenau und den Teddybären am Münchner Hauptbahnhof.
Heidenau war der notwendige Kontrast, um das Münchner Drama zur Geltung zu bringen. Hätte es nicht stattgefunden, es hätte erfunden werden müssen. Es ist ja bereits etablierter Konsens, dass die Ablehnung von Flüchtlingen rassistisch ist. Und jegliche soziale Frage ist gründlich genug aus der politischen Wahrnehmung exorziert, dass der Unterton der sozialen Verachtung in der Inszenierung ins Unbewusste verbannt bleibt.
Denn „Lichtdeutschland“ ist sozial eindeutig verortet, es ist die Heimat des (noch) gut abgesicherten Spießbürgers, während „Dunkeldeutschland“ der proletarische Mob ist, der misstrauisch und naserümpfend betrachtet wird. Natürlich wird nicht vergessen, die Spaltung unseres angeblich wiedervereinigten Landes bei dieser Gelegenheit mitzuzelebrieren – es sind schließlich die bösen sozialistisch sozialisierten Ossis, die „Dunkeldeutschland“ liefern, und es sind die gutbürgerlichen Wessis, die für das Licht stehen.
Unbestritten, die tatsächliche Lage von Flüchtlingen ist nicht gut, und viele derjenigen, die, von wem auch immer, mit diesem Strom hierher gelockt wurden, werden sehr schnell feststellen, dass dieses Land alles andere als freundlich ist. Das große Pathos, mit dem an Hilfsbereitschaft appelliert wurde, kann aber auf mehrfache Weise durchaus legitime Wut erzeugen.
Das beginnt mit der Selektivität. Warum, um Himmels willen, haben syrische Flüchtlinge mehr Entgegenkommen verdient als Flüchtlinge aus dem Jemen, aus Somalia, aus Afghanistan, aus dem Irak oder einem der vielen anderen Länder, die in den letzten Jahren aus dem einen oder anderen Grund von westlichen Mächten ins Chaos gebombt oder zu Grunde gerichtet wurden? Warum sollen sie willkommener sein als Flüchtlinge aus dem Kosovo, den die Bundesregierung in jahrelanger Bemühung und innigster Kooperation mit den USA in eine Mischung aus Mafiakolonie und Flugzeugträger verwandelt hat? Diese saubere Teilung in jene Flüchtlinge, deren Land man gerade noch ruinieren will und die daher noch einen propagandistischen Nutzen abwerfen, und jene, deren Land man bereits ruiniert hat und die daher bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, ist zutiefst zynisch. Aber die Linke ist ja gerade mit dem Verteilen von Teddybären beschäftigt und kommt nicht dazu, auf diese Heuchelei aufmerksam zu machen.
Aber wie klingt die Aufforderung zu einer „Willkommenskultur“ in den Ohren all jener, denen dieses ihr eigenes Land vorwiegend feindselig gegenübertritt? Ist es wirklich notwendigerweise Rassismus, wenn diese plötzlich verordnete Freundlichkeit jenen sauer aufstößt, die unter Kuratel des Jobcenters stehen oder sich im Niedriglohnsektor von Monatsanfang zu Monatsanfang hangeln? Denen obendrein ständig von den „Leistungsträgern“ vorgesäuselt wird, die zu Parasiten erklärt werden, in deren Wohnungen man die Zahnbürsten zählt und deren Zukunftsperspektive Altersarmut heißt? Komme da jetzt keiner mit Solidarität; die besteht zwischen denen unten gegen die oben, das ist etwas anderes als staatlich verordnete „Willkommenskultur“. Wir leben in einem Land, das nur sein oberstes Hundertstel willkommen heißt, und die untere Hälfte (die, nebenbei bemerkt, all die wirklich notwendige Arbeit verrichtet) am liebsten auf Wasser und Brot setzen würde. Das Versprechen des irdischen Paradieses, das der Kapitalismus in der Phase des Waffenstillstands gegeben hat, hat sich längst in Luft aufgelöst, das Zuckerbrot ist gestrichen, übrig ist die Peitsche. „Willkommenskultur“? Wenn das ähnliche Empfindungen auslöst wie mittlerweile das Wort „Reform“, nämlich düstere Befürchtungen einer weiteren Verschlechterung der eigenen Lage, so ist das nur nüchterner Realismus. Ja, der Zorn richtet sich auf die falschen Ziele, aber sein Quell ist nicht eine rassistische Einstellung, sondern eine ganz wirkliche soziale Finsternis.
Und „Lichtdeutschland“? Das ist politisch so edelmütig wie der Einkauf im Bio-Supermarkt. Eine bürgerliche Linke, die ein neues Ablassobjekt entdeckt (oder angeboten bekommen) hat. Nachdem die Frage des naturgerechten Ackerbaus über den Einkauf von durch marokkanische Arbeitssklaven geernteten spanischen Bioerdbeeren gelöst und die Frage gerechter Handelsbeziehungen in Fair-Trade-Schokolade versenkt wurde, kann man jetzt den Ablass für imperialistische Kriege durch Übergabe von Teddybären erhalten. Gibt es eine massive Bewegung für die Beendigungen der Sanktionen gegen Syrien? Gibt es nicht. Wie viele Politiker sprechen sich für sofortigen Austritt aus der NATO aus? Eben. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Aber es gibt „Willkommenskultur.“
Nicht zu vergessen, dass diese Ablasshandlung (wie all die anderen Ablasshandlungen übrigens) einen guten Anteil dessen enthält, was auf Englisch mittlerweile „classism“ genannt wird, analog zu Rassismus und Sexismus also Klassismus, auf Deutsch als Klassenhass bekannt (auch wenn wir hier marxistisch formuliert nicht von einer Klasse reden, sondern von den „Zwischenschichten“). Es handelt sich nämlich wieder einmal um eine Handlung zur Distinktion, zur Abgrenzung, die nicht zufällig, sondern aus gutem Grund letztlich in Übereinstimmung mit der imperialistischen Politik mündet. Der deutsche Spießbürger erkennt in dem vielzitierten syrischen Arzt (lassen wir einmal dahingestellt, ob es letzteren wirklich in dieser Menge gibt) Fleisch von seinem Fleische; es käme ihm nicht in den Sinn, seine Teddybären in Obdachlosenunterkünfte zu tragen oder „Willkommenskultur“ vor dem Jobcenter zu zelebrieren; jede wohltätige Handlung beinhaltet ihr Quäntchen Verachtung für die Besitzlosen.
Ja, es gibt ein klein wenig Gegrummel über die Politik der USA. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Erbarmungslosigkeit, mit der gegenwärtig jedes Bestreben nach Unabhängigkeit seitens der Länder quittiert wird, die in den kolonialen Kosmos gehören, zwar von den Vereinigten Staaten exekutiert wird, aber nicht nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient (respektive, um es korrekt zu formulieren, den Interessen des US-Kapitals). Auch die bundesdeutsche Industrie zieht Gewinne daraus, dass andere Länder in der Rolle von Rohstofflieferanten bleiben, die die Preise ihrer Waren nicht bestimmen können. Die berühmten Bananen, die zum Symbol der Überlegenheit der BRD über die DDR wurden, waren hier vor allem deshalb billiger, weil die Bananenpflücker der Westkolonien gewaltsam daran gehindert wurden (und werden), vernünftige Entlohnung zu erkämpfen. Es ist nicht nur die Frage, wie weit die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik aktiv an den diversen Schweinereien beteiligt sind. Sie profitieren von ihnen. Am Beispiel Griechenlands konnte man sehen, dass diese Interessen durchaus eine eigene Blutspur ziehen können; auch wenn in diesem Falle die Toten nicht durch den Einsatz von Bombenflugzeugen, sondern beispielsweise durch die Zerstörung des Gesundheitswesens erzeugt wurden. Die ganze Struktur, die große Teile des Planeten im Würgegriff hält, mit IWF und Weltbank und dem NATO-Militär, ist keineswegs grundsätzlich gegen die Interessen des deutschen Kapitals gerichtet, und wie bei einer Bande von Schutzgelderpressern ist der Schläger, der den unwilligen „Kunden“ vermöbelt, nicht der einzige Beteiligte des Spiels. Augenblicklich werden koloniale Kriege mit einer Erbarmungslosigkeit geführt, die einige Jahrzehnte lang undenkbar war, und sie stürzen halbe Kontinente ins Chaos. Auf jeden Muckser in die falsche Richtung folgen Drohung mit und Durchführung von „Regimewechseln“. Aber solange hier die Bananen billig sind, gibt es keinen Grund, die Hände in Unschuld zu waschen. Und dass die Interessen des deutschen Kapitals gelegentlich mit jenen des US-amerikanischen kollidieren, sollte nicht dazu führen, zu übersehen, dass sich beide herzlich einig sind, wenn es darum geht, die Länder, die unten sind, auch dort zu halten.
Das Verhältnis des deutschen Spießbürgers zum Imperialismus an sich, wie er sich momentan in dem halbgaren Unbehagen an der US-amerikanischen Kriegspolitik ausdrückt, ist eher ein ästhetisches. Der grobe Ami möge doch bitte seine Stiefel ordentlich am Fußabtreter abputzen, damit es keine Blutflecken auf dem Teppich gibt. Zwischen einem Teddybären am Bahnhof und einer Ablehnung kolonialer Kriege liegen Welten.
(Nebenbei – wenn man sich die Moden imperialistischer Legitimationserzählungen betrachtet, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis das erste Land wegen Rassismus bombardiert wird).
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Die karitative Linke
Was die bundesdeutsche Gesamtlinke betrifft, ist festzustellen, dass sie weit mehr Einsatz auf Flüchtlingsbetreuung und eifriges Gegendemonstrieren verwendet als auf Proteste gegen imperialistische Kriegsführung (letzteres steht bei einigen vermeintlich Linken mittlerweile ja im Ruch des „Antisemitismus“). Weder die manipulative Medienarbeit wie etwa mit dem Foto des toten Jungen (das eine ganze Reihe von Fragen aufwirft) noch die zelebrierte „Willkommenskultur“ werden in Frage gestellt. Im Gegenteil, man macht eifrig mit und verbucht diesen Ausbruch bundesdeutscher Wohltätigkeitsheuchelei als Fortschritt gegen den Rassismus.
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Es gibt ja einige einfache Faustregeln im politischen Leben. Eine davon lautet, wenn die BILD-Zeitung etwas gut findet, das ich gut finde, sollte ich darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.
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Allerdings ist diese Reaktion alles andere als unschuldig und zeigt – wieder einmal – dass wir es hier mit einer zutiefst bürgerlichen Linken zu tun haben, mit einer bürgerlichen Moral. Kann es denn angehen, dass man (wohl wissend, wie sozial selektiv Fluchtwege nach Europa sind) sich einzig dafür einsetzt, diejenigen, die die darwinsche Lotterie bis hierher überstanden haben, möglichst freundlich zu empfangen, und die anderen, die sich diese Luxusflucht nicht leisten können, völlig zu ignorieren? Solidarität ist etwas anderes als Mildtätigkeit. Solidarität ist Beistand im Kampf. Wie ist die Aufnahme eines Bruchteils relativ wohlhabender und relativ gebildeter Flüchtlinge in Deutschland eine Unterstützung im Kampf um eine bessere Zukunft für die syrische Bevölkerung? Es überrascht nicht, dass die deutsche Industrie gerne ausgebildetes Personal anderer Länder abschöpft. Es überrascht allerdings schon, wenn in Deutschland keine andere linke Antwort mehr denkbar scheint als „Bleiberecht für Alle.“
Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erklärt, die Mittel für dieses Jahr seien aufgebraucht (was gerade die Flüchtlinge in ernste Gefahr bringt, die sich die teure Europatour nicht leisten können), wird die Auseinandersetzung nicht darum geführt, den vor Ort angerichteten Schaden auch vor Ort wieder gut zu machen (also nicht nur die Sanktionen gegen Syrien einzustellen, sondern Wiederaufbauhilfe zu leisten), sondern man kümmert sich um jene, die es bis hierher geschafft haben.
Das ist weder im Interesse der syrischen Arbeiterklasse noch im Interesse des Widerstands gegen den Imperialismus (man muss hier das „klassische“ Vokabular verwenden, damit das Problem sichtbar wird). Es ist eine individualistische „Lösung“ für ein kollektives Problem; als würde man eine klaffende Wunde am Bein mit einem Heftpflaster behandeln wollen, allerdings auf der Nase…
Jeder Flüchtling ist gut? Wirklich? Und wenn die ukrainischen Faschisten eines Tages eins auf die Nase kriegen und dann massenweise dort aufschlagen, wo man sie schon einmal aufbewahrt hatte, hier in Deutschland nämlich, ist das dann immer noch gut? Offene Grenzen auch für Ukronazis?Weil kein Land weltweit mehr Erfahrung in der Resozialisierung von Kriegsverbrechern hat als Deutschland?
Migration ist oft ein stabilisierender Faktor für unerträgliche Zustände. Wäre die irische Unabhängigkeit ohne die massive Auswanderung im 19. Jahrhundert früher gekommen? Wie hätte sich die deutsche Geschichte entwickelt ohne die massenhafte Auswanderung nach der Niederlage 1848 (Deutschland war bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Auswanderungs-, kein Einwanderungsland)? Kann man wirklich behaupten, jede Migration, wann und wo auch immer, wäre im Interesse gesellschaftlichen Fortschritts? (Nebenbei, in den letzten Jahren gab es beträchtliche Auswanderung aus Griechenland, Portugal, Spanien, auch hierher. Ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung hier, aber sicher mit Folgen für die politische Auseinandersetzung dort).
Und ist nicht eine Haltung, die nicht mehr in Frage stellt, wer wann warum wohin migriert, sondern es implizit voraussetzt, jeder Mensch auf der Welt wolle so leben wie wir in der Bundesrepublik, oder genauer, in der Bundesrepublik leben, zutiefst affirmativ, systemkonform, nur eine andere Spielart arroganter kolonialistischer Überheblichkeit? Sozusagen amerikanischer Suprematismus auf deutsch?
Ja, es lebt sich im Herzen der Finsternis meist besser als in der Peripherie. Aber man sollte nicht vergessen, dass es eben das Herz der Finsternis ist und kein gelobtes Land.
Ein neuer Glaube
Das Unheimlichste am Flüchtlingstheater ist, dass es sich in eine ganze Kette ähnlich makaberer Inszenierungen einreiht. Das begann spätestens mit der Bewerbung des Maidan und Herrn Klitschko, setzte sich fort mit MH17 und erreichte einen schaurigen Höhepunkt Anfang des Jahres mit „Ich bin Charlie“. All diese Ereignisse wirkten gemacht, wurden bis zur Überwältigung emotional aufgeladen und massiv medial verwertet.
In allen Fällen gab es eine offizielle Erzählung, die nicht kritisiert werden durfte. In allen Fällen war insbesondere die Erwähnung von Interessen tabuisiert, während gleichzeitig ein ganzer Schwall von „Werten“ über das verblüffte Publikum ergossen wurde. Seit „Ich bin Charlie“ werden zudem noch ganze Massen zu öffentlichen Bekenntnissen mit einbezogen.
Diese „Werte“ bewegen sich weitgehend im Bereich reiner Behauptung. Niemand, der sich je mit den Eigentumsverhältnissen der Medien befasst hat, würde ernstlich erklären, bei uns herrsche Meinungsfreiheit. Niemand, der die perfide Szene mit Angela Merkel und dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen gesehen hat („Ich möchte sie einmal streicheln“), kann an die „Willkommenskultur“ von „Lichtdeutschland“ glauben. Aber die Inszenierung wird von Mal zu Mal verstärkt.
Die Erzählung von den syrischen Flüchtlingen folgt auch geopolitischen Interessen. Wolfgang Ischinger, das außenpolitische Sprachrohr der Allianz, hat, wie German Foreign Policy akkurat wie immer berichtet, schon den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gefordert; gegen Assad, versteht sich. Ähnliches ist sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich geschehen. Aber es steckt mehr in der Geschichte.
Der Umgang mit all diesen Momenten ist betont antirational. Ich hatte zu „Ich bin Charlie“ schon geschrieben, das ganze gemahne an eine Volksgemeinschaft der „europäischen Werte“; „Lichtdeutschland“ verstärkt diesen Eindruck noch einmal. Gleichzeitig war es noch nie so leicht, als Staatsfeind angesehen zu werden – ein wenig Widerspruch gegen eine dieser Erzählungen reicht dafür aus. Es handelt sich um eine parteiunabhängige und parteiübergreifende Formierung im Inneren mit einer aggressiven Position nach Außen, mit starken irrationalen und emotional manipulativen Anteilen. Ich hoffe sehr, mich zu irren, aber mir scheint, wir erleben gerade in Raten die Entstehung der Ideologie des europäischen Faschismus im 21. Jahrhundert.
Im Verlauf des letzten Jahres wurde deutlich, dass es durchaus mächtige Kräfte in Europa gibt, die auf Kriegskurs sind, aber zugleich wurde klar, dass die „normale“ propagandistische Bearbeitung nicht ausreicht, um die Bevölkerung für diese Zwecke einsetzbar zu machen. Seitdem erleben wir eine ganze Kette von Ereignissen, die jedesmal einen kleinen Schubs in die „richtige“ Richtung versetzen, immer in einer Verpackung, die den Inhalt bis in die kleinbürgerlich-linken Kreise hinein verdaulich hält. Gleichzeitig wird der politische Diskurs konsequent nicht nur von geopolitischen, sondern auch von ökonomischen und sozialen Inhalten entleert, und eine Botschaft immer wieder wiederholt: all diese Inhalte sind Nichts im Vergleich mit den „Werten“. Und in langsamer Steigerung wird diese Seelenmassage mit der Aussage gewürzt, für die „Werte“ müsse man bereit sein, Opfer zu bringen.
Es gibt unterschiedliche Theorien, wer den Flüchtlingsstrom in die Bundesrepublik ausgelöst haben könnte. Mag sein, es war ursprünglich ein freundlicher Gruß der Vereinigten Staaten. Oder von Herrn Erdogan, der gerne ungestört weiter mit ISIS spielen möchte. Aber er wurde hier schnell und wirkungsvoll instrumentalisiert und bis an die Grenze des Notstands ausgespielt, und mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie er noch genutzt werden könnte, um diese Grenze zu überschreiten (der Gedanke, es könnten ISIS-Anhänger mit im Strom geschwommen sein, ist ja bereits gesetzt). Angesichts der Euphorie, mit der weite Teile der Linken sowohl bei „Ich bin Charlie“ als auch bei „Lichtdeutschland“ mitspielen, möchte ich darüber eigentlich nicht länger nachdenken.
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Syntagmaplatz, Athen, 9. Oktober 2012




Danke  The Vineyard Saker – Deutsche Version
Quelle: http://vineyardsaker.de/analyse/finsternis-ist-licht/#more-4129
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 16/09/2015
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974
- See more at: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974#sthash.Ik4oafE7.dpuf
Finsternis ist Licht: was steckt hinter der von oben verordneten „Willkommenskultur“?

Dagmar Henn



Wir leben gerade in einem deutschem Märchen. Die Geschichte von „Goldmarie und Pechmarie“ hat ein neues Gewand erhalten; die aktuelle Überschrift lautet „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“. Frau Merkel predigt „Willkommenskultur“, und brave deutsche Bürger überschütten syrische Flüchtlinge mit Teddybären.

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Wenn es einem gelingt, in der emotionalen Flut noch Atem zu holen, kommt man sich vor wie in einem schlechten Theaterstück. Oder beim Hören eines Musikstücks, das auf einem verstimmten Instrument gespielt wird.
Erst einmal ist das nur eine Art Schmerz, der schwer zu lokalisieren ist. Als vor einigen Jahren das Münchner Glockenspiel renoviert wurde, klang es über ein Jahr lang falsch, tagtäglich; bis dann endlich einige Musiker genau genug hörten, um zu erkennen, dass die Glocken für c´´ und cis´´ vertauscht waren… Noch ist der Quell des Schmerzes beim augenblicklichen Drama nicht genau zu orten; aber dass es falsch klingt, das ist sicher.
Versuchen wir einmal, das Stück in seine Bestandteile zu zergliedern und das eine oder andere Mal die berühmte Frage nach dem „cui bono“ zu stellen.
An der Oberfläche sind es erst einmal die Bilder, die stutzig machen. Zwei davon. Das Bild des ertrunkenen Kindes am Strand, und Bilder aus Budapest, die Flüchtlinge mit einem Foto von Angela Merkel zeigen und mit einer EU-Fahne. Diese Bilder verursachten ein Gefühl wie eine Gräte im Mund beim Fischessen.
Wer immer sich mit dem Thema Migration tatsächlich befasst, weiß, dass im Mittelmeer seit vielen http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11571.jpgJahren Menschen ertrinken. Eine der entsetzlichsten Geschichten ereignete sich während der Angriffe auf Libyen. Ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen trieb zwei Wochen lang steuerlos auf dem Mittelmeer, begegnete dabei zweimal Kriegsschiffen, wurde von Helikoptern überflogen und trieb dennoch weiter, bis die Überlebenden schließlich in Italien landeten. Zwei Wochen ohne jeden Versuch einer Rettung auf einer Strecke, die zum damaligen Zeitpunkt völlig überwacht war. Die Meldung schaffte es nicht in die großen Medien, und es wurde nie bekannt, welche Schiffe welcher Nationalität gegen das internationale Seerecht verstoßen haben, das zur Rettung jedes Schiffbrüchigen verpflichtet.
In all den Jahren starben Männer, Frauen und Kinder. Viele darunter nicht ertrunken, sondern verdurstet. In all den Jahren gab es nur wenige Bilder und schon gar nicht die groß angelegte Empörung, die jüngst durch die Gazetten schwappte.
Allerdings hatte das Bild des toten Kindes ein kleines Vorspiel. Die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ vor dem Bundestag. Auch hier gab es Einiges, das überrascht. Man sollte nicht glauben, dass man so einfach jederzeit vor dem Bundestag Löcher in den Rasen graben darf. Dass der milde Polizeieinsatz, der auf den Videos von dieser Aktion zu sehen ist, alles ist, was der Apparat hergibt. Nein, in Summe blieb eher der Eindruck einer mindestens geduldeten, wenn nicht gar geförderten Veranstaltung. Man könnte die Betreiber dieser Aktion für unschuldige Humanisten halten – wenn sie nicht auch schon als Befürworter eines Militäreinsatzes in Syrien aufgetreten wären. Was damals – also vor wenigen Monaten -Rätsel aufgab, ist jetzt klar zu entschlüsseln. Diese Aktion und das Bild gehören zusammen.

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Mit dem Foto von Merkel in Budapest hat sich Telepolis schon ausführlicher beschäftigt. Merkel und die Europafahne, das wirkt wie organisierte Gegenpropaganda zu den Bildern, die man aus Griechenland sieht.
Aber gehen wir doch einmal zu den Fakten.
Tatsache ist, es bewegen sich Zehntausende auf der südöstlichen Mittelmeer-Route auf Deutschland zu. Viele davon, aber nicht alle, sind Syrer (syrische Pässe dürften gerade deutlich im Preis gestiegen sein). Warum machen sie sich jetzt auf diesen Weg?
Diese Frage ist keineswegs banal. Wie am Beispiel des Vaters des ertrunkenen Jungen zu lesen war, führte die erste Fluchtetappe sie in die Türkei. Das allerdings nicht gerade eben, sondern schon vor einiger Zeit.
Fluchtbewegungen entstehen, das konnte man am Beispiel der Ukraine deutlich erkennen, am Anfang eines Konfliktes oder bei entscheidenden Umschwüngen. Der Krieg in Syrien dauert schon Jahre, und es gab in den letzten Wochen keine entscheidende Wendung. Für eine große Fluchtbewegung ist es also ein sehr ungewöhnlicher Zeitpunkt.
Die Flüchtenden orientieren sich dabei auf jene Richtung, in der sie sich sicher fühlen, sprich, die Fluchtrichtung gibt oft auch eine politische Orientierung wieder. Aus dem Donbass bewegten sich die meisten Flüchtlinge nach Russland, nicht in Richtung Kiew. Man kann also davon ausgehen, dass jene Syrer, die in die Türkei flüchteten, eher der – wie auch immer zusammengesetzten – Opposition zuneigen (Innerhalb Syriens gibt es wesentlich mehr Binnenflüchtlinge).
Es gibt Berichte, dass die großen Flüchtlingslager, die in der Türkei von der UNO betrieben werden, relativ abgeschottet waren. Die plötzliche Bewegung, die nun stattfindet, hat also mehrere Voraussetzungen. Zum einen muss auf irgendeine Weise eine Art Werbung stattgefunden haben, damit sich so große Mengen auf ein so eindeutiges Ziel hinbewegen. Fluchtbewegungen haben in der Regel einen Ausgangspunkt, es gibt einen Ort von dem geflohen wird, und eine klare Richtung, aber eher selten ein eindeutiges Ziel, schon gar keines, das so weit entfernt liegt. Zum anderen muss dafür die Abschottung der Flüchtlingslager aufgehoben werden. Sprich, ohne aktive Mitwirkung der Türkei hätte diese Bewegung nicht stattfinden können. Auf der Karte lässt sich unschwer erkennen – die gesamte südöstliche Strecke bündelt sich in Istanbul.
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Das ist ein deutliches Indiz dafür, das wir es nicht mit einem spontanen Ereignis zu tun haben.
Auf den ersten Blick scheint das ungewöhnlich. Flüchtlinge als Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen? Dieser Gedanke wird sicher sogleich mit dem Etikett „Verschwörungstheorie“ versehen.
Die bundesdeutsche Geschichte kennt dafür aber mehrere Beispiele. Das erste betrifft jene, die hier im Allgemeinen als „Vertriebene“ etikettiert werden, also deutsche Flüchtlinge, die nach dem zweiten Weltkrieg ankamen. Im Gegensatz zur offiziellen Erzählung, die immer betont, wie gut sie versorgt und integriert wurden, blieben sie in der Bundesrepublik bis Anfang der fünfziger Jahre in Lagern. Erst nachdem es 1952 zu einer großen Demonstration der KPD (!) für die sozialen Interessen dieser Flüchtlinge in Bonn kam, fing der Adenauer-Staat an, über Wohnungen und Arbeitsplätze für sie nachzudenken. Der Hintergrund für dieses befremdliche Verhalten (der Krieg war schon Jahre vorüber) war, diese Menschen nutzen zu können, wenn der Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgenommen werden sollte. Die Demonstration (die nebenbei auch zur Einführung der „Bannmeile“ ins bundesdeutsche Recht führte) ließ fürchten, dass diese bisher verlässlich antikommunistisch mobilisierbaren Internierten sich anders besinnen könnten; daher wurde daraufhin die Politik geändert.
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Im Verhältnis zum anderen deutschen Staat wurde dauerhaft auf das Abwerben der Bürger gesetzt. Vor der Schließung der Grenze lag besonderes Augenmerk darauf, ausgebildete Arbeitskräfte in die westliche Republik zu locken; das sparte die Kosten für die Ausbildung. Nachdem dieser Zustrom beendet wurde, blieb weiter die propagandistische Nutzung der DDR-Übersiedler, die man auch gerne zu halsbrecherischen Aktionen verleitete, wenn es möglich war.
Nachdem der Zufluss aus der DDR wegfiel, besorgte sich die bundesdeutsche Industrie ihren Arbeitskräftenachschub aus den Anwerbeländern. In diesem Fall konnten sie sich die Ausbildung nicht mehr sparen, aber die Aufwendungen für Kinderbetreuungseinrichtungen, die nötig gewesen wären, damit die hier lebenden Frauen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und natürlich waren die so gewonnenen Arbeitskräfte besonders billig. Sprachunkundige junge Männer ohne Familien sind relativ leicht über den Tisch zu ziehen und nach Bedarf hin- und herzuschieben.
Damit will ich nicht sagen, dass die Bundesregierung hinter diesen Ereignissen steckt. Dieser Punkt ist momentan noch nicht zu klären. Es ist aber wichtig, festzuhalten, dass es kein Novum in der deutschen Politik wäre, wenn dem so wäre.
Aber völlig abgesehen von der Tatsache, wer diese Bewegung ausgelöst hat und warum – wie damit in Deutschland umgegangen wird, dafür ist auf jeden Fall die deutsche Politik verantwortlich.
Betrachten wir einmal die Ebene der konkreten Reaktionen bisher. Ziemlich rasch wurden jetzt die Bedingungen für alle Flüchtlinge verschärft. Alles, was an Verbesserungen in den letzten Jahren erreicht wurde (wie die lang erkämpfte Aufhebung der Residenzpflicht und Geld statt Essenspakete) wurde im Handstreich, und sogar gegen bereits ergangene Urteile des Verfassungsgerichts, wieder rückgängig gemacht. Das offiziell inszenierte „Willkommen“ wird also rechtlich ins Gegenteil verkehrt.
Der Vorstandsvorsitzende von Daimler hat bereits erklärt, er wolle nach Arbeitskräften suchen. Die Forderung, für Flüchtlinge den Mindestlohn aufzuheben, ist auch bereits ausgesprochen. Wohlgemerkt, es gibt nach wie vor viele hier geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keinen Ausbildungsplatz finden. Könnte es sein, dass es gerade ihre Integration ist, die sich hier als Nachteil erweist? Weil sie sich vielleicht doch ein wenig in ihren Rechten auskennen und nicht mehr so leicht handzuhaben sind wie „frische“ Einwanderer?
Es wird oft erwähnt, das Bildungsniveau der Syrer sei so gut. Das ZDF hat ein nettes kleines Filmchen gezeigt, in dem eine syrische Biologin erklärte, sie wolle „ihr Bestes tun“. Wenn es kein deutsch organisierter Fischzug ist, um wieder einmal in anderen Ländern die ausgebildeten Kräfte abzuschöpfen (die USA tun dies bekanntlich ebenfalls gern), dann ist zumindest abzusehen, dass die Fischer reichlich aktiv werden.
Völlig unberechenbar dürften die politischen Folgen sein (bleiben wir dabei erst einmal auf der Ebene des Apparats). Es zeichnet sich ab, dass mit Hilfe der Flüchtlingskrise ein weiterer Schritt in Richtung einer europäischen Vereinheitlichung unter deutscher Kontrolle versucht werden wird; sprich, es wird zu einem weiteren Verlust an europaweiter Restdemokratie kommen. Im Inneren hat sich de Maziere höchst kryptisch geäußert: „”Wir werden uns überall auf Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei, Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall.” Dies alles müsse “sehr schnell gehen”, am besten binnen Wochen. “Für einen Teil unserer verkrusteten gesellschaftlichen Abläufe könnte das einen enormen Aufbruch bedeuten.” „ Das klingt nicht gut. Mal abgesehen davon, dass Rechtsveränderungen in den letzten Jahren gerne im Chaos endeten, weil sie schon im regulären parlamentarischen Verfahren nicht durchdacht waren – diese Äußerung riecht nach außergesetzlichem Notstand, nach Brüningschen Notverordnungen. Wir werden in den nächsten Wochen noch erleben, wozu Flüchtlinge alles gut sind, und es würde mich nicht wundern, wenn das eine oder andere demokratische Recht bei der Gelegenheit mit entsorgt wird.
Mittlerweile ist die euphorische Grenzöffnung rückgängig gemacht. Und es ist an der Zeit, die Erzählung im Detail zu untersuchen.
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Der gemachte Mangel
Man muss gelegentlich darauf hinweisen – die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Erde. Auch wenn sich die Chancen der normalen arbeitenden Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren deutlich verschlechtert haben, einen auskömmlichen Lohn, eine bezahlbare Wohnung und so etwas wie eine längerfristige Perspektive zu erreichen, ist dieses Land reicher geworden. Die Produktivität ist weiter gestiegen, und die Einkommen haben sich im Durchschnitt verbessert. Es ist nur alles am oberen Zehntel (oder einem noch kleineren Teil) hängen geblieben.
Die Bundesrepublik ist auch ein Land mit einer entwickelten Infrastruktur. Wenn Katastrophenberichte veröffentlicht werden, weil im Münchner Hauptbahnhof zwanzigtausend Flüchtlinge mit dem Zug eintreffen, sollte man nicht vergessen, dass dieser Bahnhof als einer der bedeutendsten in Europa jeden Tag von einer halben Million Menschen genutzt wird, und dass München als Stadt des Oktoberfestes durchaus im Stande ist, hunderttausend und mehr Menschen vorübergehendes Quartier zu bieten. Es sind die gesetzlichen Regeln, die diese Unterbringung so kompliziert machen, weil die Betroffenen in Lagern untergebracht werden müssen.
Die gesetzlichen Regelungen, wo und wie Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden, sind Bundesrecht. Auch die Entscheidung, die Dublin-Regeln (die dem ersten von einem Flüchtling betretenen EU-Land die Zuständigkeit zuweisen) für Syrer aufzuheben, erfolgte auf Bundesebene. Die Verteilung registrierter Flüchtlinge auf die Bundesländer erfolgt ebenfalls durch den Bund. Wie viele Flüchtlinge in einem Bundesland eintreffen, können also weder das Land noch die Kommunen entscheiden.
Die genauere Ausgestaltung der Regeln und die Entscheidung über die Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht werden, geschieht auf Landesebene. Die Versorgung und die Qualität der Unterbringung können von Bundesland zu Bundesland sehr stark differieren. Zu den Regeln zählt beispielsweise die Frage, ob es eine Residenzpflicht gibt (die bedeuten kann, dass ein Flüchtling den Landkreis, in dem er untergebracht wird, nur auf Genehmigung verlassen kann, die aber ebenso gut sich auf das ganze Bundesland erstrecken kann), ob es Essenspakete gibt oder sich die Menschen selbst ihre Nahrungsmittel besorgen können, das alles ist Länderrecht. In diesen Bereichen gab es in den letzten Jahren einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die etwas mehr Freiheiten verschafften; im Handstreich wurden von der Bundesregierung diese Verbesserungen jetzt wieder aufgehoben.
Im Falle eines plötzlichen Eintreffens einer großen Zahl Menschen (vor Beginn des Aufnahme- und Verteilungsverfahrens) sind erst einmal die Kommunen zuständig, weil die Verhinderung von Wohnungslosigkeit ihre Zuständigkeit ist. Die Kommunen sind allerdings die politische Ebene, die in den letzten Jahrzehnten relativ gezielt ausgeblutet wurde; in manchen Bundesländern stehen zwei Drittel der Kommunen unter Zwangsverwaltung, sprich, sie müssen ihre Haushalte genehmigen lassen und haben im Grunde keinen politischen Entscheidungsspielraum mehr, ganz zu schweigen von irgendwelchen Reserven für Notlagen. Vor diesem Hintergrund ist es ein schlechter Witz, wenn die Bundesregierung den Kommunen zinsfreie Kredite anbietet, um Flüchtlinge unterbringen zu können – eine Kommune unter Zwangsverwaltung kann diese zusätzlichen Kredite gar nicht aufnehmen.
Der mit den öffentlichen Sicherheitsaufgaben eigentlich eng verbundene Zivilschutz ist eigenartigerweise gar nicht einbezogen worden. Die Bundeswehr, die sonst an jeden Damm zum Säckewerfen geschickt wird, blieb in ihren Kasernen. Das bedeutet, es wurde eine Katastrophe behauptet, aber die im Umgang mit Katastrophen üblichen Mittel wurden nicht eingesetzt.
Hätte es sich um eine wirkliche Katastrophe gehandelt, es hätte eine einfache, der Bundesregierung jederzeit mögliche Maßnahme gegeben – Teile der Bundeswehr in einen vorübergehenden Urlaub schicken und die Kasernen zur Aufnahme nutzen. Hier wäre die Infrastruktur zur Versorgung größerer Menschenmengen bereits vorhanden, und es wäre sogar im Regelfall ein abgetrenntes Gelände. Die katholische Kirche verfügt übrigens über einige hundert nicht mehr besetzte Klöster, die ebenfalls über alle zur Versorgung erforderlichen Einrichtungen wie Speisesäle und Großküchen verfügen. Auch diese Option wurde nicht einmal erwähnt.
Stattdessen wurden große Mengen Menschen in die Kommunen geschaufelt, die von der Aufgabe überfordert sein mussten. Mehr noch, wenn mancherorts mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als ein Ort Einwohner hat, dann handelt es sich dabei um Absicht. Während von Regierungsseite lauthals verkündet wird, jetzt sei „Willkommenskultur“ angesagt, und vor dem inneren Auge schon hawaiianische Blumenketten erstehen, ist der tatsächliche Ablauf von einer subtilen Bösartigkeit beherrscht. In der Psychologie nennt man so etwas „Doublebind“ – die sichtbare Botschaft ist das Gegenteil dessen, was gemeint ist. Bösartigkeit ist übrigens eine Art Leitmotiv in der ganzen Geschichte.
Propaganda der Tat
Die Behauptung, man könne sich in Deutschland keinen Sozialstaat mehr leisten, zieht sich durch die Politik der letzten Jahrzehnte wie ein dauernder Klagegesang. Die Trennung der unterschiedlichen politischen Ebenen ist hier ein vielfach genutztes Mittel. Während es auf Bundesebene kein Problem ist, das mehrfache eines Jahreshaushalts in den Rachen der Banken zu werfen, werden in den Kommunen Schwimmbäder, Bibliotheken und Jugendzentren geschlossen, weil das Geld fehlt. Gesamtwirtschaftlich ist das eine Fiktion; vor Ort aber unerbittliche Realität.
Dennoch, es ist über die Jahre hinweg aufgefallen, wohin die großen Geldströme fließen, und eine solch wunderbare Gelegenheit, die Fiktion der Verarmung zu bestätigen, konnte nicht ungenutzt bleiben. Schließlich ist ein halbwegs überzeugendes „dafür ist kein Geld da“ die einfachste Methode, soziale Wünsche und mögliche Gegenwehr auszubremsen. So wird im Wohnungsbau verfahren, der seit Jahren völlig dem Markt ausgeliefert ist und längst bereits massive Wohnungslosigkeit und mancherorts (wie in München) durch die hohen Mieten echte Versorgungsprobleme auslöst (in Münchner Kliniken stehen ganze Stationen leer, weil kein Personal zu finden ist – weil das Personal die Mieten nicht bezahlen kann). So wird im Bereich von Hartz IV verfahren, bei den Renten, die immer weiter gekürzt werden (eine Erhöhung des Rentenalters ist tatsächlich vor allem eine Rentenkürzung), und zur besonderen Erbauung gibt es obendrein noch die deutliche Botschaft, Menschen, die keine verwertbare Arbeitskraft anzubieten hätten, wären eigentlich überflüssig.
Wenn eine Diskussion eröffnet wird, ob Kommunen nicht Wohnraum für Flüchtlinge beschlagnahmen könnten (dieses Recht haben Kommunen, hatten sie die ganze Zeit), ist es nicht verwunderlich, wenn sich Menschen fragen, warum dieser Schritt angesichts der zunehmenden Wohnungslosigkeit nicht auch für Einheimische möglich ist. An diesem Beispiel zeigt sich, wie politische Schachzüge dramatisiert werden. Denn die Debatte zielt mitnichten darauf ab, dieses kommunale Recht tatsächlich anzuwenden, weder für Flüchtlinge noch für sonst jemanden; Ziel des Spiels ist es vielmehr, an diesem Beispiel genau diesen Schritt für verwerflich zu erklären. Letzten Endes bleiben beide Gruppen, die Einheimischen wie die Flüchtlinge, ohne Zugang zu Wohnungen, aber es wurde vorgeführt, dass die Politik nun einmal nichts an der Lage ändern könne. In der Redensart nennt man das den Sack schlagen, aber den Esel meinen.
Ein Nicht-Wollen wird so als Nicht-Können maskiert. Und Schritt für Schritt, Beispiel für Beispiel wird Not inszeniert, Überforderung, Mangel. Schließlich hat die Betonung, Deutschland ginge es wirtschaftlich gut, in den letzten Monaten dazu geführt, dass wieder erste Forderungen nach leichten Verbesserungen gestellt werden. Im Streik im Erziehungsdienst beispielsweise. Die ungeheure Anstrengung, die vielen Flüchtlinge aufzunehmen, kommt gerade recht; von einer Aushöhlung des ohnehin schwindsüchtigen Mindestlohns bis hin zu Rentenkürzungen (von Lohnforderungen im öffentlichen Dienst ganz zu schweigen) kann man Wetten darüber abschließen, wie oft von der schweren Belastung durch die vielen Flüchtlinge die Rede sein wird. Und da Flüchtlinge eine durch den politischen Apparat nach Belieben verschiebbare Menschengruppe sind, wird auch noch die eine oder andere Inszenierung folgen, um dieser Darstellung Glaubwürdigkeit und mediale Präsenz zu verschaffen.
(Eine der Informationen, die durch das Flüchtlingsdrama verschüttet wurde, betrifft übrigens die Vermögensverteilung in Deutschland. Jedes Mal, wenn diese genauer betrachtet wird, ist sie bizarrer, ungerechter, eigentlich längst unhaltbar. Wie praktisch, dass diesmal kaum jemand hingesehen hat. Und wie ungeheuer günstig, dass seit Abschaffung der Vermögensteuer unter Helmut Kohl zwar die Armut im Lande immer sichtbarer wird, der Reichtum aber gar nicht mehr erfasst wird.)
Das große Drama am Münchner Hauptbahnhof, die Aufrufe an die Bevölkerung, zu helfen – das Alles ist propagandistische Handlung. Mit solcher Verve inszeniert, dass niemand innehält, um sich zu fragen, ob es wirklich Freiwillige braucht, um zwanzigtausend Menschen mit Nahrung, Wasser und ein paar Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Die entsprechenden Entscheidungen vorausgesetzt, hätten sich diese Fragen geräuschlos lösen lassen. Auf dem Oktoberfest werden an manchen Tagen 500 000 Menschen bespaßt, ernährt und abgefüllt. Wie kann es dann sein, dass eine solch doch recht überschaubare Zahl von Personen, die weit unter der Besucherzahl eines Bundesligaspiels liegt, nur mit Hilfe von Freiwilligen versorgt werden kann? Nein, das war keine technische Notwendigkeit. Und mit Sicherheit weder die kostengünstigste noch die effizienteste Lösung der realen Probleme. Eine Lösung, die den wirklichen logistischen Möglichkeiten entspricht, hätte aber keine Bilder und keine Rührung geliefert. Das Ziel war hier nicht die bestmögliche Hilfe, sondern das Theater, die Propaganda der Tat.
Wie praktisch und angenehm, dass dieses Stück ein von vorneherein festgelegtes Ende hatte. Schließlich war die Kehrtwende rechtzeitig vor Beginn der Wiesn abseh- und in aller vermeintlicher Unschuld vollziehbar. Denn wenn die Maßkrüge unter der Bavaria befüllt werden müssen, ist kein Platz mehr für Flüchtlingsströme, und da die Besucher auch Fremde sind, können Bahnhof und Grenzen wieder geschlossen werden, ohne dass der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit möglich wäre.
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Menschenrechte und Menschenfeinde
Kommen wir zu den Untertönen der Geschichte. „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“, wie das so genannt wurde. Oder der Raum zwischen Heidenau und den Teddybären am Münchner Hauptbahnhof.
Heidenau war der notwendige Kontrast, um das Münchner Drama zur Geltung zu bringen. Hätte es nicht stattgefunden, es hätte erfunden werden müssen. Es ist ja bereits etablierter Konsens, dass die Ablehnung von Flüchtlingen rassistisch ist. Und jegliche soziale Frage ist gründlich genug aus der politischen Wahrnehmung exorziert, dass der Unterton der sozialen Verachtung in der Inszenierung ins Unbewusste verbannt bleibt.
Denn „Lichtdeutschland“ ist sozial eindeutig verortet, es ist die Heimat des (noch) gut abgesicherten Spießbürgers, während „Dunkeldeutschland“ der proletarische Mob ist, der misstrauisch und naserümpfend betrachtet wird. Natürlich wird nicht vergessen, die Spaltung unseres angeblich wiedervereinigten Landes bei dieser Gelegenheit mitzuzelebrieren – es sind schließlich die bösen sozialistisch sozialisierten Ossis, die „Dunkeldeutschland“ liefern, und es sind die gutbürgerlichen Wessis, die für das Licht stehen.
Unbestritten, die tatsächliche Lage von Flüchtlingen ist nicht gut, und viele derjenigen, die, von wem auch immer, mit diesem Strom hierher gelockt wurden, werden sehr schnell feststellen, dass dieses Land alles andere als freundlich ist. Das große Pathos, mit dem an Hilfsbereitschaft appelliert wurde, kann aber auf mehrfache Weise durchaus legitime Wut erzeugen.
Das beginnt mit der Selektivität. Warum, um Himmels willen, haben syrische Flüchtlinge mehr Entgegenkommen verdient als Flüchtlinge aus dem Jemen, aus Somalia, aus Afghanistan, aus dem Irak oder einem der vielen anderen Länder, die in den letzten Jahren aus dem einen oder anderen Grund von westlichen Mächten ins Chaos gebombt oder zu Grunde gerichtet wurden? Warum sollen sie willkommener sein als Flüchtlinge aus dem Kosovo, den die Bundesregierung in jahrelanger Bemühung und innigster Kooperation mit den USA in eine Mischung aus Mafiakolonie und Flugzeugträger verwandelt hat? Diese saubere Teilung in jene Flüchtlinge, deren Land man gerade noch ruinieren will und die daher noch einen propagandistischen Nutzen abwerfen, und jene, deren Land man bereits ruiniert hat und die daher bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, ist zutiefst zynisch. Aber die Linke ist ja gerade mit dem Verteilen von Teddybären beschäftigt und kommt nicht dazu, auf diese Heuchelei aufmerksam zu machen.
Aber wie klingt die Aufforderung zu einer „Willkommenskultur“ in den Ohren all jener, denen dieses ihr eigenes Land vorwiegend feindselig gegenübertritt? Ist es wirklich notwendigerweise Rassismus, wenn diese plötzlich verordnete Freundlichkeit jenen sauer aufstößt, die unter Kuratel des Jobcenters stehen oder sich im Niedriglohnsektor von Monatsanfang zu Monatsanfang hangeln? Denen obendrein ständig von den „Leistungsträgern“ vorgesäuselt wird, die zu Parasiten erklärt werden, in deren Wohnungen man die Zahnbürsten zählt und deren Zukunftsperspektive Altersarmut heißt? Komme da jetzt keiner mit Solidarität; die besteht zwischen denen unten gegen die oben, das ist etwas anderes als staatlich verordnete „Willkommenskultur“. Wir leben in einem Land, das nur sein oberstes Hundertstel willkommen heißt, und die untere Hälfte (die, nebenbei bemerkt, all die wirklich notwendige Arbeit verrichtet) am liebsten auf Wasser und Brot setzen würde. Das Versprechen des irdischen Paradieses, das der Kapitalismus in der Phase des Waffenstillstands gegeben hat, hat sich längst in Luft aufgelöst, das Zuckerbrot ist gestrichen, übrig ist die Peitsche. „Willkommenskultur“? Wenn das ähnliche Empfindungen auslöst wie mittlerweile das Wort „Reform“, nämlich düstere Befürchtungen einer weiteren Verschlechterung der eigenen Lage, so ist das nur nüchterner Realismus. Ja, der Zorn richtet sich auf die falschen Ziele, aber sein Quell ist nicht eine rassistische Einstellung, sondern eine ganz wirkliche soziale Finsternis.
Und „Lichtdeutschland“? Das ist politisch so edelmütig wie der Einkauf im Bio-Supermarkt. Eine bürgerliche Linke, die ein neues Ablassobjekt entdeckt (oder angeboten bekommen) hat. Nachdem die Frage des naturgerechten Ackerbaus über den Einkauf von durch marokkanische Arbeitssklaven geernteten spanischen Bioerdbeeren gelöst und die Frage gerechter Handelsbeziehungen in Fair-Trade-Schokolade versenkt wurde, kann man jetzt den Ablass für imperialistische Kriege durch Übergabe von Teddybären erhalten. Gibt es eine massive Bewegung für die Beendigungen der Sanktionen gegen Syrien? Gibt es nicht. Wie viele Politiker sprechen sich für sofortigen Austritt aus der NATO aus? Eben. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Aber es gibt „Willkommenskultur.“
Nicht zu vergessen, dass diese Ablasshandlung (wie all die anderen Ablasshandlungen übrigens) einen guten Anteil dessen enthält, was auf Englisch mittlerweile „classism“ genannt wird, analog zu Rassismus und Sexismus also Klassismus, auf Deutsch als Klassenhass bekannt (auch wenn wir hier marxistisch formuliert nicht von einer Klasse reden, sondern von den „Zwischenschichten“). Es handelt sich nämlich wieder einmal um eine Handlung zur Distinktion, zur Abgrenzung, die nicht zufällig, sondern aus gutem Grund letztlich in Übereinstimmung mit der imperialistischen Politik mündet. Der deutsche Spießbürger erkennt in dem vielzitierten syrischen Arzt (lassen wir einmal dahingestellt, ob es letzteren wirklich in dieser Menge gibt) Fleisch von seinem Fleische; es käme ihm nicht in den Sinn, seine Teddybären in Obdachlosenunterkünfte zu tragen oder „Willkommenskultur“ vor dem Jobcenter zu zelebrieren; jede wohltätige Handlung beinhaltet ihr Quäntchen Verachtung für die Besitzlosen.
Ja, es gibt ein klein wenig Gegrummel über die Politik der USA. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Erbarmungslosigkeit, mit der gegenwärtig jedes Bestreben nach Unabhängigkeit seitens der Länder quittiert wird, die in den kolonialen Kosmos gehören, zwar von den Vereinigten Staaten exekutiert wird, aber nicht nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient (respektive, um es korrekt zu formulieren, den Interessen des US-Kapitals). Auch die bundesdeutsche Industrie zieht Gewinne daraus, dass andere Länder in der Rolle von Rohstofflieferanten bleiben, die die Preise ihrer Waren nicht bestimmen können. Die berühmten Bananen, die zum Symbol der Überlegenheit der BRD über die DDR wurden, waren hier vor allem deshalb billiger, weil die Bananenpflücker der Westkolonien gewaltsam daran gehindert wurden (und werden), vernünftige Entlohnung zu erkämpfen. Es ist nicht nur die Frage, wie weit die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik aktiv an den diversen Schweinereien beteiligt sind. Sie profitieren von ihnen. Am Beispiel Griechenlands konnte man sehen, dass diese Interessen durchaus eine eigene Blutspur ziehen können; auch wenn in diesem Falle die Toten nicht durch den Einsatz von Bombenflugzeugen, sondern beispielsweise durch die Zerstörung des Gesundheitswesens erzeugt wurden. Die ganze Struktur, die große Teile des Planeten im Würgegriff hält, mit IWF und Weltbank und dem NATO-Militär, ist keineswegs grundsätzlich gegen die Interessen des deutschen Kapitals gerichtet, und wie bei einer Bande von Schutzgelderpressern ist der Schläger, der den unwilligen „Kunden“ vermöbelt, nicht der einzige Beteiligte des Spiels. Augenblicklich werden koloniale Kriege mit einer Erbarmungslosigkeit geführt, die einige Jahrzehnte lang undenkbar war, und sie stürzen halbe Kontinente ins Chaos. Auf jeden Muckser in die falsche Richtung folgen Drohung mit und Durchführung von „Regimewechseln“. Aber solange hier die Bananen billig sind, gibt es keinen Grund, die Hände in Unschuld zu waschen. Und dass die Interessen des deutschen Kapitals gelegentlich mit jenen des US-amerikanischen kollidieren, sollte nicht dazu führen, zu übersehen, dass sich beide herzlich einig sind, wenn es darum geht, die Länder, die unten sind, auch dort zu halten.
Das Verhältnis des deutschen Spießbürgers zum Imperialismus an sich, wie er sich momentan in dem halbgaren Unbehagen an der US-amerikanischen Kriegspolitik ausdrückt, ist eher ein ästhetisches. Der grobe Ami möge doch bitte seine Stiefel ordentlich am Fußabtreter abputzen, damit es keine Blutflecken auf dem Teppich gibt. Zwischen einem Teddybären am Bahnhof und einer Ablehnung kolonialer Kriege liegen Welten.
(Nebenbei – wenn man sich die Moden imperialistischer Legitimationserzählungen betrachtet, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis das erste Land wegen Rassismus bombardiert wird).
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Die karitative Linke
Was die bundesdeutsche Gesamtlinke betrifft, ist festzustellen, dass sie weit mehr Einsatz auf Flüchtlingsbetreuung und eifriges Gegendemonstrieren verwendet als auf Proteste gegen imperialistische Kriegsführung (letzteres steht bei einigen vermeintlich Linken mittlerweile ja im Ruch des „Antisemitismus“). Weder die manipulative Medienarbeit wie etwa mit dem Foto des toten Jungen (das eine ganze Reihe von Fragen aufwirft) noch die zelebrierte „Willkommenskultur“ werden in Frage gestellt. Im Gegenteil, man macht eifrig mit und verbucht diesen Ausbruch bundesdeutscher Wohltätigkeitsheuchelei als Fortschritt gegen den Rassismus.
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Es gibt ja einige einfache Faustregeln im politischen Leben. Eine davon lautet, wenn die BILD-Zeitung etwas gut findet, das ich gut finde, sollte ich darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.
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Allerdings ist diese Reaktion alles andere als unschuldig und zeigt – wieder einmal – dass wir es hier mit einer zutiefst bürgerlichen Linken zu tun haben, mit einer bürgerlichen Moral. Kann es denn angehen, dass man (wohl wissend, wie sozial selektiv Fluchtwege nach Europa sind) sich einzig dafür einsetzt, diejenigen, die die darwinsche Lotterie bis hierher überstanden haben, möglichst freundlich zu empfangen, und die anderen, die sich diese Luxusflucht nicht leisten können, völlig zu ignorieren? Solidarität ist etwas anderes als Mildtätigkeit. Solidarität ist Beistand im Kampf. Wie ist die Aufnahme eines Bruchteils relativ wohlhabender und relativ gebildeter Flüchtlinge in Deutschland eine Unterstützung im Kampf um eine bessere Zukunft für die syrische Bevölkerung? Es überrascht nicht, dass die deutsche Industrie gerne ausgebildetes Personal anderer Länder abschöpft. Es überrascht allerdings schon, wenn in Deutschland keine andere linke Antwort mehr denkbar scheint als „Bleiberecht für Alle.“
Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erklärt, die Mittel für dieses Jahr seien aufgebraucht (was gerade die Flüchtlinge in ernste Gefahr bringt, die sich die teure Europatour nicht leisten können), wird die Auseinandersetzung nicht darum geführt, den vor Ort angerichteten Schaden auch vor Ort wieder gut zu machen (also nicht nur die Sanktionen gegen Syrien einzustellen, sondern Wiederaufbauhilfe zu leisten), sondern man kümmert sich um jene, die es bis hierher geschafft haben.
Das ist weder im Interesse der syrischen Arbeiterklasse noch im Interesse des Widerstands gegen den Imperialismus (man muss hier das „klassische“ Vokabular verwenden, damit das Problem sichtbar wird). Es ist eine individualistische „Lösung“ für ein kollektives Problem; als würde man eine klaffende Wunde am Bein mit einem Heftpflaster behandeln wollen, allerdings auf der Nase…
Jeder Flüchtling ist gut? Wirklich? Und wenn die ukrainischen Faschisten eines Tages eins auf die Nase kriegen und dann massenweise dort aufschlagen, wo man sie schon einmal aufbewahrt hatte, hier in Deutschland nämlich, ist das dann immer noch gut? Offene Grenzen auch für Ukronazis?Weil kein Land weltweit mehr Erfahrung in der Resozialisierung von Kriegsverbrechern hat als Deutschland?
Migration ist oft ein stabilisierender Faktor für unerträgliche Zustände. Wäre die irische Unabhängigkeit ohne die massive Auswanderung im 19. Jahrhundert früher gekommen? Wie hätte sich die deutsche Geschichte entwickelt ohne die massenhafte Auswanderung nach der Niederlage 1848 (Deutschland war bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Auswanderungs-, kein Einwanderungsland)? Kann man wirklich behaupten, jede Migration, wann und wo auch immer, wäre im Interesse gesellschaftlichen Fortschritts? (Nebenbei, in den letzten Jahren gab es beträchtliche Auswanderung aus Griechenland, Portugal, Spanien, auch hierher. Ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung hier, aber sicher mit Folgen für die politische Auseinandersetzung dort).
Und ist nicht eine Haltung, die nicht mehr in Frage stellt, wer wann warum wohin migriert, sondern es implizit voraussetzt, jeder Mensch auf der Welt wolle so leben wie wir in der Bundesrepublik, oder genauer, in der Bundesrepublik leben, zutiefst affirmativ, systemkonform, nur eine andere Spielart arroganter kolonialistischer Überheblichkeit? Sozusagen amerikanischer Suprematismus auf deutsch?
Ja, es lebt sich im Herzen der Finsternis meist besser als in der Peripherie. Aber man sollte nicht vergessen, dass es eben das Herz der Finsternis ist und kein gelobtes Land.
Ein neuer Glaube
Das Unheimlichste am Flüchtlingstheater ist, dass es sich in eine ganze Kette ähnlich makaberer Inszenierungen einreiht. Das begann spätestens mit der Bewerbung des Maidan und Herrn Klitschko, setzte sich fort mit MH17 und erreichte einen schaurigen Höhepunkt Anfang des Jahres mit „Ich bin Charlie“. All diese Ereignisse wirkten gemacht, wurden bis zur Überwältigung emotional aufgeladen und massiv medial verwertet.
In allen Fällen gab es eine offizielle Erzählung, die nicht kritisiert werden durfte. In allen Fällen war insbesondere die Erwähnung von Interessen tabuisiert, während gleichzeitig ein ganzer Schwall von „Werten“ über das verblüffte Publikum ergossen wurde. Seit „Ich bin Charlie“ werden zudem noch ganze Massen zu öffentlichen Bekenntnissen mit einbezogen.
Diese „Werte“ bewegen sich weitgehend im Bereich reiner Behauptung. Niemand, der sich je mit den Eigentumsverhältnissen der Medien befasst hat, würde ernstlich erklären, bei uns herrsche Meinungsfreiheit. Niemand, der die perfide Szene mit Angela Merkel und dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen gesehen hat („Ich möchte sie einmal streicheln“), kann an die „Willkommenskultur“ von „Lichtdeutschland“ glauben. Aber die Inszenierung wird von Mal zu Mal verstärkt.
Die Erzählung von den syrischen Flüchtlingen folgt auch geopolitischen Interessen. Wolfgang Ischinger, das außenpolitische Sprachrohr der Allianz, hat, wie German Foreign Policy akkurat wie immer berichtet, schon den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gefordert; gegen Assad, versteht sich. Ähnliches ist sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich geschehen. Aber es steckt mehr in der Geschichte.
Der Umgang mit all diesen Momenten ist betont antirational. Ich hatte zu „Ich bin Charlie“ schon geschrieben, das ganze gemahne an eine Volksgemeinschaft der „europäischen Werte“; „Lichtdeutschland“ verstärkt diesen Eindruck noch einmal. Gleichzeitig war es noch nie so leicht, als Staatsfeind angesehen zu werden – ein wenig Widerspruch gegen eine dieser Erzählungen reicht dafür aus. Es handelt sich um eine parteiunabhängige und parteiübergreifende Formierung im Inneren mit einer aggressiven Position nach Außen, mit starken irrationalen und emotional manipulativen Anteilen. Ich hoffe sehr, mich zu irren, aber mir scheint, wir erleben gerade in Raten die Entstehung der Ideologie des europäischen Faschismus im 21. Jahrhundert.
Im Verlauf des letzten Jahres wurde deutlich, dass es durchaus mächtige Kräfte in Europa gibt, die auf Kriegskurs sind, aber zugleich wurde klar, dass die „normale“ propagandistische Bearbeitung nicht ausreicht, um die Bevölkerung für diese Zwecke einsetzbar zu machen. Seitdem erleben wir eine ganze Kette von Ereignissen, die jedesmal einen kleinen Schubs in die „richtige“ Richtung versetzen, immer in einer Verpackung, die den Inhalt bis in die kleinbürgerlich-linken Kreise hinein verdaulich hält. Gleichzeitig wird der politische Diskurs konsequent nicht nur von geopolitischen, sondern auch von ökonomischen und sozialen Inhalten entleert, und eine Botschaft immer wieder wiederholt: all diese Inhalte sind Nichts im Vergleich mit den „Werten“. Und in langsamer Steigerung wird diese Seelenmassage mit der Aussage gewürzt, für die „Werte“ müsse man bereit sein, Opfer zu bringen.
Es gibt unterschiedliche Theorien, wer den Flüchtlingsstrom in die Bundesrepublik ausgelöst haben könnte. Mag sein, es war ursprünglich ein freundlicher Gruß der Vereinigten Staaten. Oder von Herrn Erdogan, der gerne ungestört weiter mit ISIS spielen möchte. Aber er wurde hier schnell und wirkungsvoll instrumentalisiert und bis an die Grenze des Notstands ausgespielt, und mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie er noch genutzt werden könnte, um diese Grenze zu überschreiten (der Gedanke, es könnten ISIS-Anhänger mit im Strom geschwommen sein, ist ja bereits gesetzt). Angesichts der Euphorie, mit der weite Teile der Linken sowohl bei „Ich bin Charlie“ als auch bei „Lichtdeutschland“ mitspielen, möchte ich darüber eigentlich nicht länger nachdenken.
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Syntagmaplatz, Athen, 9. Oktober 2012




Danke  The Vineyard Saker – Deutsche Version
Quelle: http://vineyardsaker.de/analyse/finsternis-ist-licht/#more-4129
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 16/09/2015
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974
- See more at: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974#sthash.Ik4oafE7.dpuf
Finsternis ist Licht: was steckt hinter der von oben verordneten „Willkommenskultur“?

Dagmar Henn



Wir leben gerade in einem deutschem Märchen. Die Geschichte von „Goldmarie und Pechmarie“ hat ein neues Gewand erhalten; die aktuelle Überschrift lautet „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“. Frau Merkel predigt „Willkommenskultur“, und brave deutsche Bürger überschütten syrische Flüchtlinge mit Teddybären.

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Wenn es einem gelingt, in der emotionalen Flut noch Atem zu holen, kommt man sich vor wie in einem schlechten Theaterstück. Oder beim Hören eines Musikstücks, das auf einem verstimmten Instrument gespielt wird.
Erst einmal ist das nur eine Art Schmerz, der schwer zu lokalisieren ist. Als vor einigen Jahren das Münchner Glockenspiel renoviert wurde, klang es über ein Jahr lang falsch, tagtäglich; bis dann endlich einige Musiker genau genug hörten, um zu erkennen, dass die Glocken für c´´ und cis´´ vertauscht waren… Noch ist der Quell des Schmerzes beim augenblicklichen Drama nicht genau zu orten; aber dass es falsch klingt, das ist sicher.
Versuchen wir einmal, das Stück in seine Bestandteile zu zergliedern und das eine oder andere Mal die berühmte Frage nach dem „cui bono“ zu stellen.
An der Oberfläche sind es erst einmal die Bilder, die stutzig machen. Zwei davon. Das Bild des ertrunkenen Kindes am Strand, und Bilder aus Budapest, die Flüchtlinge mit einem Foto von Angela Merkel zeigen und mit einer EU-Fahne. Diese Bilder verursachten ein Gefühl wie eine Gräte im Mund beim Fischessen.
Wer immer sich mit dem Thema Migration tatsächlich befasst, weiß, dass im Mittelmeer seit vielen http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11571.jpgJahren Menschen ertrinken. Eine der entsetzlichsten Geschichten ereignete sich während der Angriffe auf Libyen. Ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen trieb zwei Wochen lang steuerlos auf dem Mittelmeer, begegnete dabei zweimal Kriegsschiffen, wurde von Helikoptern überflogen und trieb dennoch weiter, bis die Überlebenden schließlich in Italien landeten. Zwei Wochen ohne jeden Versuch einer Rettung auf einer Strecke, die zum damaligen Zeitpunkt völlig überwacht war. Die Meldung schaffte es nicht in die großen Medien, und es wurde nie bekannt, welche Schiffe welcher Nationalität gegen das internationale Seerecht verstoßen haben, das zur Rettung jedes Schiffbrüchigen verpflichtet.
In all den Jahren starben Männer, Frauen und Kinder. Viele darunter nicht ertrunken, sondern verdurstet. In all den Jahren gab es nur wenige Bilder und schon gar nicht die groß angelegte Empörung, die jüngst durch die Gazetten schwappte.
Allerdings hatte das Bild des toten Kindes ein kleines Vorspiel. Die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ vor dem Bundestag. Auch hier gab es Einiges, das überrascht. Man sollte nicht glauben, dass man so einfach jederzeit vor dem Bundestag Löcher in den Rasen graben darf. Dass der milde Polizeieinsatz, der auf den Videos von dieser Aktion zu sehen ist, alles ist, was der Apparat hergibt. Nein, in Summe blieb eher der Eindruck einer mindestens geduldeten, wenn nicht gar geförderten Veranstaltung. Man könnte die Betreiber dieser Aktion für unschuldige Humanisten halten – wenn sie nicht auch schon als Befürworter eines Militäreinsatzes in Syrien aufgetreten wären. Was damals – also vor wenigen Monaten -Rätsel aufgab, ist jetzt klar zu entschlüsseln. Diese Aktion und das Bild gehören zusammen.

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Mit dem Foto von Merkel in Budapest hat sich Telepolis schon ausführlicher beschäftigt. Merkel und die Europafahne, das wirkt wie organisierte Gegenpropaganda zu den Bildern, die man aus Griechenland sieht.
Aber gehen wir doch einmal zu den Fakten.
Tatsache ist, es bewegen sich Zehntausende auf der südöstlichen Mittelmeer-Route auf Deutschland zu. Viele davon, aber nicht alle, sind Syrer (syrische Pässe dürften gerade deutlich im Preis gestiegen sein). Warum machen sie sich jetzt auf diesen Weg?
Diese Frage ist keineswegs banal. Wie am Beispiel des Vaters des ertrunkenen Jungen zu lesen war, führte die erste Fluchtetappe sie in die Türkei. Das allerdings nicht gerade eben, sondern schon vor einiger Zeit.
Fluchtbewegungen entstehen, das konnte man am Beispiel der Ukraine deutlich erkennen, am Anfang eines Konfliktes oder bei entscheidenden Umschwüngen. Der Krieg in Syrien dauert schon Jahre, und es gab in den letzten Wochen keine entscheidende Wendung. Für eine große Fluchtbewegung ist es also ein sehr ungewöhnlicher Zeitpunkt.
Die Flüchtenden orientieren sich dabei auf jene Richtung, in der sie sich sicher fühlen, sprich, die Fluchtrichtung gibt oft auch eine politische Orientierung wieder. Aus dem Donbass bewegten sich die meisten Flüchtlinge nach Russland, nicht in Richtung Kiew. Man kann also davon ausgehen, dass jene Syrer, die in die Türkei flüchteten, eher der – wie auch immer zusammengesetzten – Opposition zuneigen (Innerhalb Syriens gibt es wesentlich mehr Binnenflüchtlinge).
Es gibt Berichte, dass die großen Flüchtlingslager, die in der Türkei von der UNO betrieben werden, relativ abgeschottet waren. Die plötzliche Bewegung, die nun stattfindet, hat also mehrere Voraussetzungen. Zum einen muss auf irgendeine Weise eine Art Werbung stattgefunden haben, damit sich so große Mengen auf ein so eindeutiges Ziel hinbewegen. Fluchtbewegungen haben in der Regel einen Ausgangspunkt, es gibt einen Ort von dem geflohen wird, und eine klare Richtung, aber eher selten ein eindeutiges Ziel, schon gar keines, das so weit entfernt liegt. Zum anderen muss dafür die Abschottung der Flüchtlingslager aufgehoben werden. Sprich, ohne aktive Mitwirkung der Türkei hätte diese Bewegung nicht stattfinden können. Auf der Karte lässt sich unschwer erkennen – die gesamte südöstliche Strecke bündelt sich in Istanbul.
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Das ist ein deutliches Indiz dafür, das wir es nicht mit einem spontanen Ereignis zu tun haben.
Auf den ersten Blick scheint das ungewöhnlich. Flüchtlinge als Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen? Dieser Gedanke wird sicher sogleich mit dem Etikett „Verschwörungstheorie“ versehen.
Die bundesdeutsche Geschichte kennt dafür aber mehrere Beispiele. Das erste betrifft jene, die hier im Allgemeinen als „Vertriebene“ etikettiert werden, also deutsche Flüchtlinge, die nach dem zweiten Weltkrieg ankamen. Im Gegensatz zur offiziellen Erzählung, die immer betont, wie gut sie versorgt und integriert wurden, blieben sie in der Bundesrepublik bis Anfang der fünfziger Jahre in Lagern. Erst nachdem es 1952 zu einer großen Demonstration der KPD (!) für die sozialen Interessen dieser Flüchtlinge in Bonn kam, fing der Adenauer-Staat an, über Wohnungen und Arbeitsplätze für sie nachzudenken. Der Hintergrund für dieses befremdliche Verhalten (der Krieg war schon Jahre vorüber) war, diese Menschen nutzen zu können, wenn der Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgenommen werden sollte. Die Demonstration (die nebenbei auch zur Einführung der „Bannmeile“ ins bundesdeutsche Recht führte) ließ fürchten, dass diese bisher verlässlich antikommunistisch mobilisierbaren Internierten sich anders besinnen könnten; daher wurde daraufhin die Politik geändert.
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Im Verhältnis zum anderen deutschen Staat wurde dauerhaft auf das Abwerben der Bürger gesetzt. Vor der Schließung der Grenze lag besonderes Augenmerk darauf, ausgebildete Arbeitskräfte in die westliche Republik zu locken; das sparte die Kosten für die Ausbildung. Nachdem dieser Zustrom beendet wurde, blieb weiter die propagandistische Nutzung der DDR-Übersiedler, die man auch gerne zu halsbrecherischen Aktionen verleitete, wenn es möglich war.
Nachdem der Zufluss aus der DDR wegfiel, besorgte sich die bundesdeutsche Industrie ihren Arbeitskräftenachschub aus den Anwerbeländern. In diesem Fall konnten sie sich die Ausbildung nicht mehr sparen, aber die Aufwendungen für Kinderbetreuungseinrichtungen, die nötig gewesen wären, damit die hier lebenden Frauen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und natürlich waren die so gewonnenen Arbeitskräfte besonders billig. Sprachunkundige junge Männer ohne Familien sind relativ leicht über den Tisch zu ziehen und nach Bedarf hin- und herzuschieben.
Damit will ich nicht sagen, dass die Bundesregierung hinter diesen Ereignissen steckt. Dieser Punkt ist momentan noch nicht zu klären. Es ist aber wichtig, festzuhalten, dass es kein Novum in der deutschen Politik wäre, wenn dem so wäre.
Aber völlig abgesehen von der Tatsache, wer diese Bewegung ausgelöst hat und warum – wie damit in Deutschland umgegangen wird, dafür ist auf jeden Fall die deutsche Politik verantwortlich.
Betrachten wir einmal die Ebene der konkreten Reaktionen bisher. Ziemlich rasch wurden jetzt die Bedingungen für alle Flüchtlinge verschärft. Alles, was an Verbesserungen in den letzten Jahren erreicht wurde (wie die lang erkämpfte Aufhebung der Residenzpflicht und Geld statt Essenspakete) wurde im Handstreich, und sogar gegen bereits ergangene Urteile des Verfassungsgerichts, wieder rückgängig gemacht. Das offiziell inszenierte „Willkommen“ wird also rechtlich ins Gegenteil verkehrt.
Der Vorstandsvorsitzende von Daimler hat bereits erklärt, er wolle nach Arbeitskräften suchen. Die Forderung, für Flüchtlinge den Mindestlohn aufzuheben, ist auch bereits ausgesprochen. Wohlgemerkt, es gibt nach wie vor viele hier geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keinen Ausbildungsplatz finden. Könnte es sein, dass es gerade ihre Integration ist, die sich hier als Nachteil erweist? Weil sie sich vielleicht doch ein wenig in ihren Rechten auskennen und nicht mehr so leicht handzuhaben sind wie „frische“ Einwanderer?
Es wird oft erwähnt, das Bildungsniveau der Syrer sei so gut. Das ZDF hat ein nettes kleines Filmchen gezeigt, in dem eine syrische Biologin erklärte, sie wolle „ihr Bestes tun“. Wenn es kein deutsch organisierter Fischzug ist, um wieder einmal in anderen Ländern die ausgebildeten Kräfte abzuschöpfen (die USA tun dies bekanntlich ebenfalls gern), dann ist zumindest abzusehen, dass die Fischer reichlich aktiv werden.
Völlig unberechenbar dürften die politischen Folgen sein (bleiben wir dabei erst einmal auf der Ebene des Apparats). Es zeichnet sich ab, dass mit Hilfe der Flüchtlingskrise ein weiterer Schritt in Richtung einer europäischen Vereinheitlichung unter deutscher Kontrolle versucht werden wird; sprich, es wird zu einem weiteren Verlust an europaweiter Restdemokratie kommen. Im Inneren hat sich de Maziere höchst kryptisch geäußert: „”Wir werden uns überall auf Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei, Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall.” Dies alles müsse “sehr schnell gehen”, am besten binnen Wochen. “Für einen Teil unserer verkrusteten gesellschaftlichen Abläufe könnte das einen enormen Aufbruch bedeuten.” „ Das klingt nicht gut. Mal abgesehen davon, dass Rechtsveränderungen in den letzten Jahren gerne im Chaos endeten, weil sie schon im regulären parlamentarischen Verfahren nicht durchdacht waren – diese Äußerung riecht nach außergesetzlichem Notstand, nach Brüningschen Notverordnungen. Wir werden in den nächsten Wochen noch erleben, wozu Flüchtlinge alles gut sind, und es würde mich nicht wundern, wenn das eine oder andere demokratische Recht bei der Gelegenheit mit entsorgt wird.
Mittlerweile ist die euphorische Grenzöffnung rückgängig gemacht. Und es ist an der Zeit, die Erzählung im Detail zu untersuchen.
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Der gemachte Mangel
Man muss gelegentlich darauf hinweisen – die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Erde. Auch wenn sich die Chancen der normalen arbeitenden Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren deutlich verschlechtert haben, einen auskömmlichen Lohn, eine bezahlbare Wohnung und so etwas wie eine längerfristige Perspektive zu erreichen, ist dieses Land reicher geworden. Die Produktivität ist weiter gestiegen, und die Einkommen haben sich im Durchschnitt verbessert. Es ist nur alles am oberen Zehntel (oder einem noch kleineren Teil) hängen geblieben.
Die Bundesrepublik ist auch ein Land mit einer entwickelten Infrastruktur. Wenn Katastrophenberichte veröffentlicht werden, weil im Münchner Hauptbahnhof zwanzigtausend Flüchtlinge mit dem Zug eintreffen, sollte man nicht vergessen, dass dieser Bahnhof als einer der bedeutendsten in Europa jeden Tag von einer halben Million Menschen genutzt wird, und dass München als Stadt des Oktoberfestes durchaus im Stande ist, hunderttausend und mehr Menschen vorübergehendes Quartier zu bieten. Es sind die gesetzlichen Regeln, die diese Unterbringung so kompliziert machen, weil die Betroffenen in Lagern untergebracht werden müssen.
Die gesetzlichen Regelungen, wo und wie Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden, sind Bundesrecht. Auch die Entscheidung, die Dublin-Regeln (die dem ersten von einem Flüchtling betretenen EU-Land die Zuständigkeit zuweisen) für Syrer aufzuheben, erfolgte auf Bundesebene. Die Verteilung registrierter Flüchtlinge auf die Bundesländer erfolgt ebenfalls durch den Bund. Wie viele Flüchtlinge in einem Bundesland eintreffen, können also weder das Land noch die Kommunen entscheiden.
Die genauere Ausgestaltung der Regeln und die Entscheidung über die Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht werden, geschieht auf Landesebene. Die Versorgung und die Qualität der Unterbringung können von Bundesland zu Bundesland sehr stark differieren. Zu den Regeln zählt beispielsweise die Frage, ob es eine Residenzpflicht gibt (die bedeuten kann, dass ein Flüchtling den Landkreis, in dem er untergebracht wird, nur auf Genehmigung verlassen kann, die aber ebenso gut sich auf das ganze Bundesland erstrecken kann), ob es Essenspakete gibt oder sich die Menschen selbst ihre Nahrungsmittel besorgen können, das alles ist Länderrecht. In diesen Bereichen gab es in den letzten Jahren einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die etwas mehr Freiheiten verschafften; im Handstreich wurden von der Bundesregierung diese Verbesserungen jetzt wieder aufgehoben.
Im Falle eines plötzlichen Eintreffens einer großen Zahl Menschen (vor Beginn des Aufnahme- und Verteilungsverfahrens) sind erst einmal die Kommunen zuständig, weil die Verhinderung von Wohnungslosigkeit ihre Zuständigkeit ist. Die Kommunen sind allerdings die politische Ebene, die in den letzten Jahrzehnten relativ gezielt ausgeblutet wurde; in manchen Bundesländern stehen zwei Drittel der Kommunen unter Zwangsverwaltung, sprich, sie müssen ihre Haushalte genehmigen lassen und haben im Grunde keinen politischen Entscheidungsspielraum mehr, ganz zu schweigen von irgendwelchen Reserven für Notlagen. Vor diesem Hintergrund ist es ein schlechter Witz, wenn die Bundesregierung den Kommunen zinsfreie Kredite anbietet, um Flüchtlinge unterbringen zu können – eine Kommune unter Zwangsverwaltung kann diese zusätzlichen Kredite gar nicht aufnehmen.
Der mit den öffentlichen Sicherheitsaufgaben eigentlich eng verbundene Zivilschutz ist eigenartigerweise gar nicht einbezogen worden. Die Bundeswehr, die sonst an jeden Damm zum Säckewerfen geschickt wird, blieb in ihren Kasernen. Das bedeutet, es wurde eine Katastrophe behauptet, aber die im Umgang mit Katastrophen üblichen Mittel wurden nicht eingesetzt.
Hätte es sich um eine wirkliche Katastrophe gehandelt, es hätte eine einfache, der Bundesregierung jederzeit mögliche Maßnahme gegeben – Teile der Bundeswehr in einen vorübergehenden Urlaub schicken und die Kasernen zur Aufnahme nutzen. Hier wäre die Infrastruktur zur Versorgung größerer Menschenmengen bereits vorhanden, und es wäre sogar im Regelfall ein abgetrenntes Gelände. Die katholische Kirche verfügt übrigens über einige hundert nicht mehr besetzte Klöster, die ebenfalls über alle zur Versorgung erforderlichen Einrichtungen wie Speisesäle und Großküchen verfügen. Auch diese Option wurde nicht einmal erwähnt.
Stattdessen wurden große Mengen Menschen in die Kommunen geschaufelt, die von der Aufgabe überfordert sein mussten. Mehr noch, wenn mancherorts mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als ein Ort Einwohner hat, dann handelt es sich dabei um Absicht. Während von Regierungsseite lauthals verkündet wird, jetzt sei „Willkommenskultur“ angesagt, und vor dem inneren Auge schon hawaiianische Blumenketten erstehen, ist der tatsächliche Ablauf von einer subtilen Bösartigkeit beherrscht. In der Psychologie nennt man so etwas „Doublebind“ – die sichtbare Botschaft ist das Gegenteil dessen, was gemeint ist. Bösartigkeit ist übrigens eine Art Leitmotiv in der ganzen Geschichte.
Propaganda der Tat
Die Behauptung, man könne sich in Deutschland keinen Sozialstaat mehr leisten, zieht sich durch die Politik der letzten Jahrzehnte wie ein dauernder Klagegesang. Die Trennung der unterschiedlichen politischen Ebenen ist hier ein vielfach genutztes Mittel. Während es auf Bundesebene kein Problem ist, das mehrfache eines Jahreshaushalts in den Rachen der Banken zu werfen, werden in den Kommunen Schwimmbäder, Bibliotheken und Jugendzentren geschlossen, weil das Geld fehlt. Gesamtwirtschaftlich ist das eine Fiktion; vor Ort aber unerbittliche Realität.
Dennoch, es ist über die Jahre hinweg aufgefallen, wohin die großen Geldströme fließen, und eine solch wunderbare Gelegenheit, die Fiktion der Verarmung zu bestätigen, konnte nicht ungenutzt bleiben. Schließlich ist ein halbwegs überzeugendes „dafür ist kein Geld da“ die einfachste Methode, soziale Wünsche und mögliche Gegenwehr auszubremsen. So wird im Wohnungsbau verfahren, der seit Jahren völlig dem Markt ausgeliefert ist und längst bereits massive Wohnungslosigkeit und mancherorts (wie in München) durch die hohen Mieten echte Versorgungsprobleme auslöst (in Münchner Kliniken stehen ganze Stationen leer, weil kein Personal zu finden ist – weil das Personal die Mieten nicht bezahlen kann). So wird im Bereich von Hartz IV verfahren, bei den Renten, die immer weiter gekürzt werden (eine Erhöhung des Rentenalters ist tatsächlich vor allem eine Rentenkürzung), und zur besonderen Erbauung gibt es obendrein noch die deutliche Botschaft, Menschen, die keine verwertbare Arbeitskraft anzubieten hätten, wären eigentlich überflüssig.
Wenn eine Diskussion eröffnet wird, ob Kommunen nicht Wohnraum für Flüchtlinge beschlagnahmen könnten (dieses Recht haben Kommunen, hatten sie die ganze Zeit), ist es nicht verwunderlich, wenn sich Menschen fragen, warum dieser Schritt angesichts der zunehmenden Wohnungslosigkeit nicht auch für Einheimische möglich ist. An diesem Beispiel zeigt sich, wie politische Schachzüge dramatisiert werden. Denn die Debatte zielt mitnichten darauf ab, dieses kommunale Recht tatsächlich anzuwenden, weder für Flüchtlinge noch für sonst jemanden; Ziel des Spiels ist es vielmehr, an diesem Beispiel genau diesen Schritt für verwerflich zu erklären. Letzten Endes bleiben beide Gruppen, die Einheimischen wie die Flüchtlinge, ohne Zugang zu Wohnungen, aber es wurde vorgeführt, dass die Politik nun einmal nichts an der Lage ändern könne. In der Redensart nennt man das den Sack schlagen, aber den Esel meinen.
Ein Nicht-Wollen wird so als Nicht-Können maskiert. Und Schritt für Schritt, Beispiel für Beispiel wird Not inszeniert, Überforderung, Mangel. Schließlich hat die Betonung, Deutschland ginge es wirtschaftlich gut, in den letzten Monaten dazu geführt, dass wieder erste Forderungen nach leichten Verbesserungen gestellt werden. Im Streik im Erziehungsdienst beispielsweise. Die ungeheure Anstrengung, die vielen Flüchtlinge aufzunehmen, kommt gerade recht; von einer Aushöhlung des ohnehin schwindsüchtigen Mindestlohns bis hin zu Rentenkürzungen (von Lohnforderungen im öffentlichen Dienst ganz zu schweigen) kann man Wetten darüber abschließen, wie oft von der schweren Belastung durch die vielen Flüchtlinge die Rede sein wird. Und da Flüchtlinge eine durch den politischen Apparat nach Belieben verschiebbare Menschengruppe sind, wird auch noch die eine oder andere Inszenierung folgen, um dieser Darstellung Glaubwürdigkeit und mediale Präsenz zu verschaffen.
(Eine der Informationen, die durch das Flüchtlingsdrama verschüttet wurde, betrifft übrigens die Vermögensverteilung in Deutschland. Jedes Mal, wenn diese genauer betrachtet wird, ist sie bizarrer, ungerechter, eigentlich längst unhaltbar. Wie praktisch, dass diesmal kaum jemand hingesehen hat. Und wie ungeheuer günstig, dass seit Abschaffung der Vermögensteuer unter Helmut Kohl zwar die Armut im Lande immer sichtbarer wird, der Reichtum aber gar nicht mehr erfasst wird.)
Das große Drama am Münchner Hauptbahnhof, die Aufrufe an die Bevölkerung, zu helfen – das Alles ist propagandistische Handlung. Mit solcher Verve inszeniert, dass niemand innehält, um sich zu fragen, ob es wirklich Freiwillige braucht, um zwanzigtausend Menschen mit Nahrung, Wasser und ein paar Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Die entsprechenden Entscheidungen vorausgesetzt, hätten sich diese Fragen geräuschlos lösen lassen. Auf dem Oktoberfest werden an manchen Tagen 500 000 Menschen bespaßt, ernährt und abgefüllt. Wie kann es dann sein, dass eine solch doch recht überschaubare Zahl von Personen, die weit unter der Besucherzahl eines Bundesligaspiels liegt, nur mit Hilfe von Freiwilligen versorgt werden kann? Nein, das war keine technische Notwendigkeit. Und mit Sicherheit weder die kostengünstigste noch die effizienteste Lösung der realen Probleme. Eine Lösung, die den wirklichen logistischen Möglichkeiten entspricht, hätte aber keine Bilder und keine Rührung geliefert. Das Ziel war hier nicht die bestmögliche Hilfe, sondern das Theater, die Propaganda der Tat.
Wie praktisch und angenehm, dass dieses Stück ein von vorneherein festgelegtes Ende hatte. Schließlich war die Kehrtwende rechtzeitig vor Beginn der Wiesn abseh- und in aller vermeintlicher Unschuld vollziehbar. Denn wenn die Maßkrüge unter der Bavaria befüllt werden müssen, ist kein Platz mehr für Flüchtlingsströme, und da die Besucher auch Fremde sind, können Bahnhof und Grenzen wieder geschlossen werden, ohne dass der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit möglich wäre.
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Menschenrechte und Menschenfeinde
Kommen wir zu den Untertönen der Geschichte. „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“, wie das so genannt wurde. Oder der Raum zwischen Heidenau und den Teddybären am Münchner Hauptbahnhof.
Heidenau war der notwendige Kontrast, um das Münchner Drama zur Geltung zu bringen. Hätte es nicht stattgefunden, es hätte erfunden werden müssen. Es ist ja bereits etablierter Konsens, dass die Ablehnung von Flüchtlingen rassistisch ist. Und jegliche soziale Frage ist gründlich genug aus der politischen Wahrnehmung exorziert, dass der Unterton der sozialen Verachtung in der Inszenierung ins Unbewusste verbannt bleibt.
Denn „Lichtdeutschland“ ist sozial eindeutig verortet, es ist die Heimat des (noch) gut abgesicherten Spießbürgers, während „Dunkeldeutschland“ der proletarische Mob ist, der misstrauisch und naserümpfend betrachtet wird. Natürlich wird nicht vergessen, die Spaltung unseres angeblich wiedervereinigten Landes bei dieser Gelegenheit mitzuzelebrieren – es sind schließlich die bösen sozialistisch sozialisierten Ossis, die „Dunkeldeutschland“ liefern, und es sind die gutbürgerlichen Wessis, die für das Licht stehen.
Unbestritten, die tatsächliche Lage von Flüchtlingen ist nicht gut, und viele derjenigen, die, von wem auch immer, mit diesem Strom hierher gelockt wurden, werden sehr schnell feststellen, dass dieses Land alles andere als freundlich ist. Das große Pathos, mit dem an Hilfsbereitschaft appelliert wurde, kann aber auf mehrfache Weise durchaus legitime Wut erzeugen.
Das beginnt mit der Selektivität. Warum, um Himmels willen, haben syrische Flüchtlinge mehr Entgegenkommen verdient als Flüchtlinge aus dem Jemen, aus Somalia, aus Afghanistan, aus dem Irak oder einem der vielen anderen Länder, die in den letzten Jahren aus dem einen oder anderen Grund von westlichen Mächten ins Chaos gebombt oder zu Grunde gerichtet wurden? Warum sollen sie willkommener sein als Flüchtlinge aus dem Kosovo, den die Bundesregierung in jahrelanger Bemühung und innigster Kooperation mit den USA in eine Mischung aus Mafiakolonie und Flugzeugträger verwandelt hat? Diese saubere Teilung in jene Flüchtlinge, deren Land man gerade noch ruinieren will und die daher noch einen propagandistischen Nutzen abwerfen, und jene, deren Land man bereits ruiniert hat und die daher bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, ist zutiefst zynisch. Aber die Linke ist ja gerade mit dem Verteilen von Teddybären beschäftigt und kommt nicht dazu, auf diese Heuchelei aufmerksam zu machen.
Aber wie klingt die Aufforderung zu einer „Willkommenskultur“ in den Ohren all jener, denen dieses ihr eigenes Land vorwiegend feindselig gegenübertritt? Ist es wirklich notwendigerweise Rassismus, wenn diese plötzlich verordnete Freundlichkeit jenen sauer aufstößt, die unter Kuratel des Jobcenters stehen oder sich im Niedriglohnsektor von Monatsanfang zu Monatsanfang hangeln? Denen obendrein ständig von den „Leistungsträgern“ vorgesäuselt wird, die zu Parasiten erklärt werden, in deren Wohnungen man die Zahnbürsten zählt und deren Zukunftsperspektive Altersarmut heißt? Komme da jetzt keiner mit Solidarität; die besteht zwischen denen unten gegen die oben, das ist etwas anderes als staatlich verordnete „Willkommenskultur“. Wir leben in einem Land, das nur sein oberstes Hundertstel willkommen heißt, und die untere Hälfte (die, nebenbei bemerkt, all die wirklich notwendige Arbeit verrichtet) am liebsten auf Wasser und Brot setzen würde. Das Versprechen des irdischen Paradieses, das der Kapitalismus in der Phase des Waffenstillstands gegeben hat, hat sich längst in Luft aufgelöst, das Zuckerbrot ist gestrichen, übrig ist die Peitsche. „Willkommenskultur“? Wenn das ähnliche Empfindungen auslöst wie mittlerweile das Wort „Reform“, nämlich düstere Befürchtungen einer weiteren Verschlechterung der eigenen Lage, so ist das nur nüchterner Realismus. Ja, der Zorn richtet sich auf die falschen Ziele, aber sein Quell ist nicht eine rassistische Einstellung, sondern eine ganz wirkliche soziale Finsternis.
Und „Lichtdeutschland“? Das ist politisch so edelmütig wie der Einkauf im Bio-Supermarkt. Eine bürgerliche Linke, die ein neues Ablassobjekt entdeckt (oder angeboten bekommen) hat. Nachdem die Frage des naturgerechten Ackerbaus über den Einkauf von durch marokkanische Arbeitssklaven geernteten spanischen Bioerdbeeren gelöst und die Frage gerechter Handelsbeziehungen in Fair-Trade-Schokolade versenkt wurde, kann man jetzt den Ablass für imperialistische Kriege durch Übergabe von Teddybären erhalten. Gibt es eine massive Bewegung für die Beendigungen der Sanktionen gegen Syrien? Gibt es nicht. Wie viele Politiker sprechen sich für sofortigen Austritt aus der NATO aus? Eben. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Aber es gibt „Willkommenskultur.“
Nicht zu vergessen, dass diese Ablasshandlung (wie all die anderen Ablasshandlungen übrigens) einen guten Anteil dessen enthält, was auf Englisch mittlerweile „classism“ genannt wird, analog zu Rassismus und Sexismus also Klassismus, auf Deutsch als Klassenhass bekannt (auch wenn wir hier marxistisch formuliert nicht von einer Klasse reden, sondern von den „Zwischenschichten“). Es handelt sich nämlich wieder einmal um eine Handlung zur Distinktion, zur Abgrenzung, die nicht zufällig, sondern aus gutem Grund letztlich in Übereinstimmung mit der imperialistischen Politik mündet. Der deutsche Spießbürger erkennt in dem vielzitierten syrischen Arzt (lassen wir einmal dahingestellt, ob es letzteren wirklich in dieser Menge gibt) Fleisch von seinem Fleische; es käme ihm nicht in den Sinn, seine Teddybären in Obdachlosenunterkünfte zu tragen oder „Willkommenskultur“ vor dem Jobcenter zu zelebrieren; jede wohltätige Handlung beinhaltet ihr Quäntchen Verachtung für die Besitzlosen.
Ja, es gibt ein klein wenig Gegrummel über die Politik der USA. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Erbarmungslosigkeit, mit der gegenwärtig jedes Bestreben nach Unabhängigkeit seitens der Länder quittiert wird, die in den kolonialen Kosmos gehören, zwar von den Vereinigten Staaten exekutiert wird, aber nicht nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient (respektive, um es korrekt zu formulieren, den Interessen des US-Kapitals). Auch die bundesdeutsche Industrie zieht Gewinne daraus, dass andere Länder in der Rolle von Rohstofflieferanten bleiben, die die Preise ihrer Waren nicht bestimmen können. Die berühmten Bananen, die zum Symbol der Überlegenheit der BRD über die DDR wurden, waren hier vor allem deshalb billiger, weil die Bananenpflücker der Westkolonien gewaltsam daran gehindert wurden (und werden), vernünftige Entlohnung zu erkämpfen. Es ist nicht nur die Frage, wie weit die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik aktiv an den diversen Schweinereien beteiligt sind. Sie profitieren von ihnen. Am Beispiel Griechenlands konnte man sehen, dass diese Interessen durchaus eine eigene Blutspur ziehen können; auch wenn in diesem Falle die Toten nicht durch den Einsatz von Bombenflugzeugen, sondern beispielsweise durch die Zerstörung des Gesundheitswesens erzeugt wurden. Die ganze Struktur, die große Teile des Planeten im Würgegriff hält, mit IWF und Weltbank und dem NATO-Militär, ist keineswegs grundsätzlich gegen die Interessen des deutschen Kapitals gerichtet, und wie bei einer Bande von Schutzgelderpressern ist der Schläger, der den unwilligen „Kunden“ vermöbelt, nicht der einzige Beteiligte des Spiels. Augenblicklich werden koloniale Kriege mit einer Erbarmungslosigkeit geführt, die einige Jahrzehnte lang undenkbar war, und sie stürzen halbe Kontinente ins Chaos. Auf jeden Muckser in die falsche Richtung folgen Drohung mit und Durchführung von „Regimewechseln“. Aber solange hier die Bananen billig sind, gibt es keinen Grund, die Hände in Unschuld zu waschen. Und dass die Interessen des deutschen Kapitals gelegentlich mit jenen des US-amerikanischen kollidieren, sollte nicht dazu führen, zu übersehen, dass sich beide herzlich einig sind, wenn es darum geht, die Länder, die unten sind, auch dort zu halten.
Das Verhältnis des deutschen Spießbürgers zum Imperialismus an sich, wie er sich momentan in dem halbgaren Unbehagen an der US-amerikanischen Kriegspolitik ausdrückt, ist eher ein ästhetisches. Der grobe Ami möge doch bitte seine Stiefel ordentlich am Fußabtreter abputzen, damit es keine Blutflecken auf dem Teppich gibt. Zwischen einem Teddybären am Bahnhof und einer Ablehnung kolonialer Kriege liegen Welten.
(Nebenbei – wenn man sich die Moden imperialistischer Legitimationserzählungen betrachtet, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis das erste Land wegen Rassismus bombardiert wird).
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Die karitative Linke
Was die bundesdeutsche Gesamtlinke betrifft, ist festzustellen, dass sie weit mehr Einsatz auf Flüchtlingsbetreuung und eifriges Gegendemonstrieren verwendet als auf Proteste gegen imperialistische Kriegsführung (letzteres steht bei einigen vermeintlich Linken mittlerweile ja im Ruch des „Antisemitismus“). Weder die manipulative Medienarbeit wie etwa mit dem Foto des toten Jungen (das eine ganze Reihe von Fragen aufwirft) noch die zelebrierte „Willkommenskultur“ werden in Frage gestellt. Im Gegenteil, man macht eifrig mit und verbucht diesen Ausbruch bundesdeutscher Wohltätigkeitsheuchelei als Fortschritt gegen den Rassismus.
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Es gibt ja einige einfache Faustregeln im politischen Leben. Eine davon lautet, wenn die BILD-Zeitung etwas gut findet, das ich gut finde, sollte ich darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.
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Allerdings ist diese Reaktion alles andere als unschuldig und zeigt – wieder einmal – dass wir es hier mit einer zutiefst bürgerlichen Linken zu tun haben, mit einer bürgerlichen Moral. Kann es denn angehen, dass man (wohl wissend, wie sozial selektiv Fluchtwege nach Europa sind) sich einzig dafür einsetzt, diejenigen, die die darwinsche Lotterie bis hierher überstanden haben, möglichst freundlich zu empfangen, und die anderen, die sich diese Luxusflucht nicht leisten können, völlig zu ignorieren? Solidarität ist etwas anderes als Mildtätigkeit. Solidarität ist Beistand im Kampf. Wie ist die Aufnahme eines Bruchteils relativ wohlhabender und relativ gebildeter Flüchtlinge in Deutschland eine Unterstützung im Kampf um eine bessere Zukunft für die syrische Bevölkerung? Es überrascht nicht, dass die deutsche Industrie gerne ausgebildetes Personal anderer Länder abschöpft. Es überrascht allerdings schon, wenn in Deutschland keine andere linke Antwort mehr denkbar scheint als „Bleiberecht für Alle.“
Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erklärt, die Mittel für dieses Jahr seien aufgebraucht (was gerade die Flüchtlinge in ernste Gefahr bringt, die sich die teure Europatour nicht leisten können), wird die Auseinandersetzung nicht darum geführt, den vor Ort angerichteten Schaden auch vor Ort wieder gut zu machen (also nicht nur die Sanktionen gegen Syrien einzustellen, sondern Wiederaufbauhilfe zu leisten), sondern man kümmert sich um jene, die es bis hierher geschafft haben.
Das ist weder im Interesse der syrischen Arbeiterklasse noch im Interesse des Widerstands gegen den Imperialismus (man muss hier das „klassische“ Vokabular verwenden, damit das Problem sichtbar wird). Es ist eine individualistische „Lösung“ für ein kollektives Problem; als würde man eine klaffende Wunde am Bein mit einem Heftpflaster behandeln wollen, allerdings auf der Nase…
Jeder Flüchtling ist gut? Wirklich? Und wenn die ukrainischen Faschisten eines Tages eins auf die Nase kriegen und dann massenweise dort aufschlagen, wo man sie schon einmal aufbewahrt hatte, hier in Deutschland nämlich, ist das dann immer noch gut? Offene Grenzen auch für Ukronazis?Weil kein Land weltweit mehr Erfahrung in der Resozialisierung von Kriegsverbrechern hat als Deutschland?
Migration ist oft ein stabilisierender Faktor für unerträgliche Zustände. Wäre die irische Unabhängigkeit ohne die massive Auswanderung im 19. Jahrhundert früher gekommen? Wie hätte sich die deutsche Geschichte entwickelt ohne die massenhafte Auswanderung nach der Niederlage 1848 (Deutschland war bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Auswanderungs-, kein Einwanderungsland)? Kann man wirklich behaupten, jede Migration, wann und wo auch immer, wäre im Interesse gesellschaftlichen Fortschritts? (Nebenbei, in den letzten Jahren gab es beträchtliche Auswanderung aus Griechenland, Portugal, Spanien, auch hierher. Ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung hier, aber sicher mit Folgen für die politische Auseinandersetzung dort).
Und ist nicht eine Haltung, die nicht mehr in Frage stellt, wer wann warum wohin migriert, sondern es implizit voraussetzt, jeder Mensch auf der Welt wolle so leben wie wir in der Bundesrepublik, oder genauer, in der Bundesrepublik leben, zutiefst affirmativ, systemkonform, nur eine andere Spielart arroganter kolonialistischer Überheblichkeit? Sozusagen amerikanischer Suprematismus auf deutsch?
Ja, es lebt sich im Herzen der Finsternis meist besser als in der Peripherie. Aber man sollte nicht vergessen, dass es eben das Herz der Finsternis ist und kein gelobtes Land.
Ein neuer Glaube
Das Unheimlichste am Flüchtlingstheater ist, dass es sich in eine ganze Kette ähnlich makaberer Inszenierungen einreiht. Das begann spätestens mit der Bewerbung des Maidan und Herrn Klitschko, setzte sich fort mit MH17 und erreichte einen schaurigen Höhepunkt Anfang des Jahres mit „Ich bin Charlie“. All diese Ereignisse wirkten gemacht, wurden bis zur Überwältigung emotional aufgeladen und massiv medial verwertet.
In allen Fällen gab es eine offizielle Erzählung, die nicht kritisiert werden durfte. In allen Fällen war insbesondere die Erwähnung von Interessen tabuisiert, während gleichzeitig ein ganzer Schwall von „Werten“ über das verblüffte Publikum ergossen wurde. Seit „Ich bin Charlie“ werden zudem noch ganze Massen zu öffentlichen Bekenntnissen mit einbezogen.
Diese „Werte“ bewegen sich weitgehend im Bereich reiner Behauptung. Niemand, der sich je mit den Eigentumsverhältnissen der Medien befasst hat, würde ernstlich erklären, bei uns herrsche Meinungsfreiheit. Niemand, der die perfide Szene mit Angela Merkel und dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen gesehen hat („Ich möchte sie einmal streicheln“), kann an die „Willkommenskultur“ von „Lichtdeutschland“ glauben. Aber die Inszenierung wird von Mal zu Mal verstärkt.
Die Erzählung von den syrischen Flüchtlingen folgt auch geopolitischen Interessen. Wolfgang Ischinger, das außenpolitische Sprachrohr der Allianz, hat, wie German Foreign Policy akkurat wie immer berichtet, schon den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gefordert; gegen Assad, versteht sich. Ähnliches ist sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich geschehen. Aber es steckt mehr in der Geschichte.
Der Umgang mit all diesen Momenten ist betont antirational. Ich hatte zu „Ich bin Charlie“ schon geschrieben, das ganze gemahne an eine Volksgemeinschaft der „europäischen Werte“; „Lichtdeutschland“ verstärkt diesen Eindruck noch einmal. Gleichzeitig war es noch nie so leicht, als Staatsfeind angesehen zu werden – ein wenig Widerspruch gegen eine dieser Erzählungen reicht dafür aus. Es handelt sich um eine parteiunabhängige und parteiübergreifende Formierung im Inneren mit einer aggressiven Position nach Außen, mit starken irrationalen und emotional manipulativen Anteilen. Ich hoffe sehr, mich zu irren, aber mir scheint, wir erleben gerade in Raten die Entstehung der Ideologie des europäischen Faschismus im 21. Jahrhundert.
Im Verlauf des letzten Jahres wurde deutlich, dass es durchaus mächtige Kräfte in Europa gibt, die auf Kriegskurs sind, aber zugleich wurde klar, dass die „normale“ propagandistische Bearbeitung nicht ausreicht, um die Bevölkerung für diese Zwecke einsetzbar zu machen. Seitdem erleben wir eine ganze Kette von Ereignissen, die jedesmal einen kleinen Schubs in die „richtige“ Richtung versetzen, immer in einer Verpackung, die den Inhalt bis in die kleinbürgerlich-linken Kreise hinein verdaulich hält. Gleichzeitig wird der politische Diskurs konsequent nicht nur von geopolitischen, sondern auch von ökonomischen und sozialen Inhalten entleert, und eine Botschaft immer wieder wiederholt: all diese Inhalte sind Nichts im Vergleich mit den „Werten“. Und in langsamer Steigerung wird diese Seelenmassage mit der Aussage gewürzt, für die „Werte“ müsse man bereit sein, Opfer zu bringen.
Es gibt unterschiedliche Theorien, wer den Flüchtlingsstrom in die Bundesrepublik ausgelöst haben könnte. Mag sein, es war ursprünglich ein freundlicher Gruß der Vereinigten Staaten. Oder von Herrn Erdogan, der gerne ungestört weiter mit ISIS spielen möchte. Aber er wurde hier schnell und wirkungsvoll instrumentalisiert und bis an die Grenze des Notstands ausgespielt, und mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie er noch genutzt werden könnte, um diese Grenze zu überschreiten (der Gedanke, es könnten ISIS-Anhänger mit im Strom geschwommen sein, ist ja bereits gesetzt). Angesichts der Euphorie, mit der weite Teile der Linken sowohl bei „Ich bin Charlie“ als auch bei „Lichtdeutschland“ mitspielen, möchte ich darüber eigentlich nicht länger nachdenken.
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Syntagmaplatz, Athen, 9. Oktober 2012




Danke  The Vineyard Saker – Deutsche Version
Quelle: http://vineyardsaker.de/analyse/finsternis-ist-licht/#more-4129
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 16/09/2015
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974
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Dagmar Henn



Wir leben gerade in einem deutschem Märchen. Die Geschichte von „Goldmarie und Pechmarie“ hat ein neues Gewand erhalten; die aktuelle Überschrift lautet „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“. Frau Merkel predigt „Willkommenskultur“, und brave deutsche Bürger überschütten syrische Flüchtlinge mit Teddybären.

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Wenn es einem gelingt, in der emotionalen Flut noch Atem zu holen, kommt man sich vor wie in einem schlechten Theaterstück. Oder beim Hören eines Musikstücks, das auf einem verstimmten Instrument gespielt wird.
Erst einmal ist das nur eine Art Schmerz, der schwer zu lokalisieren ist. Als vor einigen Jahren das Münchner Glockenspiel renoviert wurde, klang es über ein Jahr lang falsch, tagtäglich; bis dann endlich einige Musiker genau genug hörten, um zu erkennen, dass die Glocken für c´´ und cis´´ vertauscht waren… Noch ist der Quell des Schmerzes beim augenblicklichen Drama nicht genau zu orten; aber dass es falsch klingt, das ist sicher.
Versuchen wir einmal, das Stück in seine Bestandteile zu zergliedern und das eine oder andere Mal die berühmte Frage nach dem „cui bono“ zu stellen.
An der Oberfläche sind es erst einmal die Bilder, die stutzig machen. Zwei davon. Das Bild des ertrunkenen Kindes am Strand, und Bilder aus Budapest, die Flüchtlinge mit einem Foto von Angela Merkel zeigen und mit einer EU-Fahne. Diese Bilder verursachten ein Gefühl wie eine Gräte im Mund beim Fischessen.
Wer immer sich mit dem Thema Migration tatsächlich befasst, weiß, dass im Mittelmeer seit vielen http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11571.jpgJahren Menschen ertrinken. Eine der entsetzlichsten Geschichten ereignete sich während der Angriffe auf Libyen. Ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen trieb zwei Wochen lang steuerlos auf dem Mittelmeer, begegnete dabei zweimal Kriegsschiffen, wurde von Helikoptern überflogen und trieb dennoch weiter, bis die Überlebenden schließlich in Italien landeten. Zwei Wochen ohne jeden Versuch einer Rettung auf einer Strecke, die zum damaligen Zeitpunkt völlig überwacht war. Die Meldung schaffte es nicht in die großen Medien, und es wurde nie bekannt, welche Schiffe welcher Nationalität gegen das internationale Seerecht verstoßen haben, das zur Rettung jedes Schiffbrüchigen verpflichtet.
In all den Jahren starben Männer, Frauen und Kinder. Viele darunter nicht ertrunken, sondern verdurstet. In all den Jahren gab es nur wenige Bilder und schon gar nicht die groß angelegte Empörung, die jüngst durch die Gazetten schwappte.
Allerdings hatte das Bild des toten Kindes ein kleines Vorspiel. Die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ vor dem Bundestag. Auch hier gab es Einiges, das überrascht. Man sollte nicht glauben, dass man so einfach jederzeit vor dem Bundestag Löcher in den Rasen graben darf. Dass der milde Polizeieinsatz, der auf den Videos von dieser Aktion zu sehen ist, alles ist, was der Apparat hergibt. Nein, in Summe blieb eher der Eindruck einer mindestens geduldeten, wenn nicht gar geförderten Veranstaltung. Man könnte die Betreiber dieser Aktion für unschuldige Humanisten halten – wenn sie nicht auch schon als Befürworter eines Militäreinsatzes in Syrien aufgetreten wären. Was damals – also vor wenigen Monaten -Rätsel aufgab, ist jetzt klar zu entschlüsseln. Diese Aktion und das Bild gehören zusammen.

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Mit dem Foto von Merkel in Budapest hat sich Telepolis schon ausführlicher beschäftigt. Merkel und die Europafahne, das wirkt wie organisierte Gegenpropaganda zu den Bildern, die man aus Griechenland sieht.
Aber gehen wir doch einmal zu den Fakten.
Tatsache ist, es bewegen sich Zehntausende auf der südöstlichen Mittelmeer-Route auf Deutschland zu. Viele davon, aber nicht alle, sind Syrer (syrische Pässe dürften gerade deutlich im Preis gestiegen sein). Warum machen sie sich jetzt auf diesen Weg?
Diese Frage ist keineswegs banal. Wie am Beispiel des Vaters des ertrunkenen Jungen zu lesen war, führte die erste Fluchtetappe sie in die Türkei. Das allerdings nicht gerade eben, sondern schon vor einiger Zeit.
Fluchtbewegungen entstehen, das konnte man am Beispiel der Ukraine deutlich erkennen, am Anfang eines Konfliktes oder bei entscheidenden Umschwüngen. Der Krieg in Syrien dauert schon Jahre, und es gab in den letzten Wochen keine entscheidende Wendung. Für eine große Fluchtbewegung ist es also ein sehr ungewöhnlicher Zeitpunkt.
Die Flüchtenden orientieren sich dabei auf jene Richtung, in der sie sich sicher fühlen, sprich, die Fluchtrichtung gibt oft auch eine politische Orientierung wieder. Aus dem Donbass bewegten sich die meisten Flüchtlinge nach Russland, nicht in Richtung Kiew. Man kann also davon ausgehen, dass jene Syrer, die in die Türkei flüchteten, eher der – wie auch immer zusammengesetzten – Opposition zuneigen (Innerhalb Syriens gibt es wesentlich mehr Binnenflüchtlinge).
Es gibt Berichte, dass die großen Flüchtlingslager, die in der Türkei von der UNO betrieben werden, relativ abgeschottet waren. Die plötzliche Bewegung, die nun stattfindet, hat also mehrere Voraussetzungen. Zum einen muss auf irgendeine Weise eine Art Werbung stattgefunden haben, damit sich so große Mengen auf ein so eindeutiges Ziel hinbewegen. Fluchtbewegungen haben in der Regel einen Ausgangspunkt, es gibt einen Ort von dem geflohen wird, und eine klare Richtung, aber eher selten ein eindeutiges Ziel, schon gar keines, das so weit entfernt liegt. Zum anderen muss dafür die Abschottung der Flüchtlingslager aufgehoben werden. Sprich, ohne aktive Mitwirkung der Türkei hätte diese Bewegung nicht stattfinden können. Auf der Karte lässt sich unschwer erkennen – die gesamte südöstliche Strecke bündelt sich in Istanbul.
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Das ist ein deutliches Indiz dafür, das wir es nicht mit einem spontanen Ereignis zu tun haben.
Auf den ersten Blick scheint das ungewöhnlich. Flüchtlinge als Instrument, um bestimmte Ziele zu erreichen? Dieser Gedanke wird sicher sogleich mit dem Etikett „Verschwörungstheorie“ versehen.
Die bundesdeutsche Geschichte kennt dafür aber mehrere Beispiele. Das erste betrifft jene, die hier im Allgemeinen als „Vertriebene“ etikettiert werden, also deutsche Flüchtlinge, die nach dem zweiten Weltkrieg ankamen. Im Gegensatz zur offiziellen Erzählung, die immer betont, wie gut sie versorgt und integriert wurden, blieben sie in der Bundesrepublik bis Anfang der fünfziger Jahre in Lagern. Erst nachdem es 1952 zu einer großen Demonstration der KPD (!) für die sozialen Interessen dieser Flüchtlinge in Bonn kam, fing der Adenauer-Staat an, über Wohnungen und Arbeitsplätze für sie nachzudenken. Der Hintergrund für dieses befremdliche Verhalten (der Krieg war schon Jahre vorüber) war, diese Menschen nutzen zu können, wenn der Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufgenommen werden sollte. Die Demonstration (die nebenbei auch zur Einführung der „Bannmeile“ ins bundesdeutsche Recht führte) ließ fürchten, dass diese bisher verlässlich antikommunistisch mobilisierbaren Internierten sich anders besinnen könnten; daher wurde daraufhin die Politik geändert.
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Im Verhältnis zum anderen deutschen Staat wurde dauerhaft auf das Abwerben der Bürger gesetzt. Vor der Schließung der Grenze lag besonderes Augenmerk darauf, ausgebildete Arbeitskräfte in die westliche Republik zu locken; das sparte die Kosten für die Ausbildung. Nachdem dieser Zustrom beendet wurde, blieb weiter die propagandistische Nutzung der DDR-Übersiedler, die man auch gerne zu halsbrecherischen Aktionen verleitete, wenn es möglich war.
Nachdem der Zufluss aus der DDR wegfiel, besorgte sich die bundesdeutsche Industrie ihren Arbeitskräftenachschub aus den Anwerbeländern. In diesem Fall konnten sie sich die Ausbildung nicht mehr sparen, aber die Aufwendungen für Kinderbetreuungseinrichtungen, die nötig gewesen wären, damit die hier lebenden Frauen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und natürlich waren die so gewonnenen Arbeitskräfte besonders billig. Sprachunkundige junge Männer ohne Familien sind relativ leicht über den Tisch zu ziehen und nach Bedarf hin- und herzuschieben.
Damit will ich nicht sagen, dass die Bundesregierung hinter diesen Ereignissen steckt. Dieser Punkt ist momentan noch nicht zu klären. Es ist aber wichtig, festzuhalten, dass es kein Novum in der deutschen Politik wäre, wenn dem so wäre.
Aber völlig abgesehen von der Tatsache, wer diese Bewegung ausgelöst hat und warum – wie damit in Deutschland umgegangen wird, dafür ist auf jeden Fall die deutsche Politik verantwortlich.
Betrachten wir einmal die Ebene der konkreten Reaktionen bisher. Ziemlich rasch wurden jetzt die Bedingungen für alle Flüchtlinge verschärft. Alles, was an Verbesserungen in den letzten Jahren erreicht wurde (wie die lang erkämpfte Aufhebung der Residenzpflicht und Geld statt Essenspakete) wurde im Handstreich, und sogar gegen bereits ergangene Urteile des Verfassungsgerichts, wieder rückgängig gemacht. Das offiziell inszenierte „Willkommen“ wird also rechtlich ins Gegenteil verkehrt.
Der Vorstandsvorsitzende von Daimler hat bereits erklärt, er wolle nach Arbeitskräften suchen. Die Forderung, für Flüchtlinge den Mindestlohn aufzuheben, ist auch bereits ausgesprochen. Wohlgemerkt, es gibt nach wie vor viele hier geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keinen Ausbildungsplatz finden. Könnte es sein, dass es gerade ihre Integration ist, die sich hier als Nachteil erweist? Weil sie sich vielleicht doch ein wenig in ihren Rechten auskennen und nicht mehr so leicht handzuhaben sind wie „frische“ Einwanderer?
Es wird oft erwähnt, das Bildungsniveau der Syrer sei so gut. Das ZDF hat ein nettes kleines Filmchen gezeigt, in dem eine syrische Biologin erklärte, sie wolle „ihr Bestes tun“. Wenn es kein deutsch organisierter Fischzug ist, um wieder einmal in anderen Ländern die ausgebildeten Kräfte abzuschöpfen (die USA tun dies bekanntlich ebenfalls gern), dann ist zumindest abzusehen, dass die Fischer reichlich aktiv werden.
Völlig unberechenbar dürften die politischen Folgen sein (bleiben wir dabei erst einmal auf der Ebene des Apparats). Es zeichnet sich ab, dass mit Hilfe der Flüchtlingskrise ein weiterer Schritt in Richtung einer europäischen Vereinheitlichung unter deutscher Kontrolle versucht werden wird; sprich, es wird zu einem weiteren Verlust an europaweiter Restdemokratie kommen. Im Inneren hat sich de Maziere höchst kryptisch geäußert: „”Wir werden uns überall auf Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei, Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall.” Dies alles müsse “sehr schnell gehen”, am besten binnen Wochen. “Für einen Teil unserer verkrusteten gesellschaftlichen Abläufe könnte das einen enormen Aufbruch bedeuten.” „ Das klingt nicht gut. Mal abgesehen davon, dass Rechtsveränderungen in den letzten Jahren gerne im Chaos endeten, weil sie schon im regulären parlamentarischen Verfahren nicht durchdacht waren – diese Äußerung riecht nach außergesetzlichem Notstand, nach Brüningschen Notverordnungen. Wir werden in den nächsten Wochen noch erleben, wozu Flüchtlinge alles gut sind, und es würde mich nicht wundern, wenn das eine oder andere demokratische Recht bei der Gelegenheit mit entsorgt wird.
Mittlerweile ist die euphorische Grenzöffnung rückgängig gemacht. Und es ist an der Zeit, die Erzählung im Detail zu untersuchen.
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Der gemachte Mangel
Man muss gelegentlich darauf hinweisen – die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Erde. Auch wenn sich die Chancen der normalen arbeitenden Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren deutlich verschlechtert haben, einen auskömmlichen Lohn, eine bezahlbare Wohnung und so etwas wie eine längerfristige Perspektive zu erreichen, ist dieses Land reicher geworden. Die Produktivität ist weiter gestiegen, und die Einkommen haben sich im Durchschnitt verbessert. Es ist nur alles am oberen Zehntel (oder einem noch kleineren Teil) hängen geblieben.
Die Bundesrepublik ist auch ein Land mit einer entwickelten Infrastruktur. Wenn Katastrophenberichte veröffentlicht werden, weil im Münchner Hauptbahnhof zwanzigtausend Flüchtlinge mit dem Zug eintreffen, sollte man nicht vergessen, dass dieser Bahnhof als einer der bedeutendsten in Europa jeden Tag von einer halben Million Menschen genutzt wird, und dass München als Stadt des Oktoberfestes durchaus im Stande ist, hunderttausend und mehr Menschen vorübergehendes Quartier zu bieten. Es sind die gesetzlichen Regeln, die diese Unterbringung so kompliziert machen, weil die Betroffenen in Lagern untergebracht werden müssen.
Die gesetzlichen Regelungen, wo und wie Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden, sind Bundesrecht. Auch die Entscheidung, die Dublin-Regeln (die dem ersten von einem Flüchtling betretenen EU-Land die Zuständigkeit zuweisen) für Syrer aufzuheben, erfolgte auf Bundesebene. Die Verteilung registrierter Flüchtlinge auf die Bundesländer erfolgt ebenfalls durch den Bund. Wie viele Flüchtlinge in einem Bundesland eintreffen, können also weder das Land noch die Kommunen entscheiden.
Die genauere Ausgestaltung der Regeln und die Entscheidung über die Orte, an denen Flüchtlinge untergebracht werden, geschieht auf Landesebene. Die Versorgung und die Qualität der Unterbringung können von Bundesland zu Bundesland sehr stark differieren. Zu den Regeln zählt beispielsweise die Frage, ob es eine Residenzpflicht gibt (die bedeuten kann, dass ein Flüchtling den Landkreis, in dem er untergebracht wird, nur auf Genehmigung verlassen kann, die aber ebenso gut sich auf das ganze Bundesland erstrecken kann), ob es Essenspakete gibt oder sich die Menschen selbst ihre Nahrungsmittel besorgen können, das alles ist Länderrecht. In diesen Bereichen gab es in den letzten Jahren einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die etwas mehr Freiheiten verschafften; im Handstreich wurden von der Bundesregierung diese Verbesserungen jetzt wieder aufgehoben.
Im Falle eines plötzlichen Eintreffens einer großen Zahl Menschen (vor Beginn des Aufnahme- und Verteilungsverfahrens) sind erst einmal die Kommunen zuständig, weil die Verhinderung von Wohnungslosigkeit ihre Zuständigkeit ist. Die Kommunen sind allerdings die politische Ebene, die in den letzten Jahrzehnten relativ gezielt ausgeblutet wurde; in manchen Bundesländern stehen zwei Drittel der Kommunen unter Zwangsverwaltung, sprich, sie müssen ihre Haushalte genehmigen lassen und haben im Grunde keinen politischen Entscheidungsspielraum mehr, ganz zu schweigen von irgendwelchen Reserven für Notlagen. Vor diesem Hintergrund ist es ein schlechter Witz, wenn die Bundesregierung den Kommunen zinsfreie Kredite anbietet, um Flüchtlinge unterbringen zu können – eine Kommune unter Zwangsverwaltung kann diese zusätzlichen Kredite gar nicht aufnehmen.
Der mit den öffentlichen Sicherheitsaufgaben eigentlich eng verbundene Zivilschutz ist eigenartigerweise gar nicht einbezogen worden. Die Bundeswehr, die sonst an jeden Damm zum Säckewerfen geschickt wird, blieb in ihren Kasernen. Das bedeutet, es wurde eine Katastrophe behauptet, aber die im Umgang mit Katastrophen üblichen Mittel wurden nicht eingesetzt.
Hätte es sich um eine wirkliche Katastrophe gehandelt, es hätte eine einfache, der Bundesregierung jederzeit mögliche Maßnahme gegeben – Teile der Bundeswehr in einen vorübergehenden Urlaub schicken und die Kasernen zur Aufnahme nutzen. Hier wäre die Infrastruktur zur Versorgung größerer Menschenmengen bereits vorhanden, und es wäre sogar im Regelfall ein abgetrenntes Gelände. Die katholische Kirche verfügt übrigens über einige hundert nicht mehr besetzte Klöster, die ebenfalls über alle zur Versorgung erforderlichen Einrichtungen wie Speisesäle und Großküchen verfügen. Auch diese Option wurde nicht einmal erwähnt.
Stattdessen wurden große Mengen Menschen in die Kommunen geschaufelt, die von der Aufgabe überfordert sein mussten. Mehr noch, wenn mancherorts mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als ein Ort Einwohner hat, dann handelt es sich dabei um Absicht. Während von Regierungsseite lauthals verkündet wird, jetzt sei „Willkommenskultur“ angesagt, und vor dem inneren Auge schon hawaiianische Blumenketten erstehen, ist der tatsächliche Ablauf von einer subtilen Bösartigkeit beherrscht. In der Psychologie nennt man so etwas „Doublebind“ – die sichtbare Botschaft ist das Gegenteil dessen, was gemeint ist. Bösartigkeit ist übrigens eine Art Leitmotiv in der ganzen Geschichte.
Propaganda der Tat
Die Behauptung, man könne sich in Deutschland keinen Sozialstaat mehr leisten, zieht sich durch die Politik der letzten Jahrzehnte wie ein dauernder Klagegesang. Die Trennung der unterschiedlichen politischen Ebenen ist hier ein vielfach genutztes Mittel. Während es auf Bundesebene kein Problem ist, das mehrfache eines Jahreshaushalts in den Rachen der Banken zu werfen, werden in den Kommunen Schwimmbäder, Bibliotheken und Jugendzentren geschlossen, weil das Geld fehlt. Gesamtwirtschaftlich ist das eine Fiktion; vor Ort aber unerbittliche Realität.
Dennoch, es ist über die Jahre hinweg aufgefallen, wohin die großen Geldströme fließen, und eine solch wunderbare Gelegenheit, die Fiktion der Verarmung zu bestätigen, konnte nicht ungenutzt bleiben. Schließlich ist ein halbwegs überzeugendes „dafür ist kein Geld da“ die einfachste Methode, soziale Wünsche und mögliche Gegenwehr auszubremsen. So wird im Wohnungsbau verfahren, der seit Jahren völlig dem Markt ausgeliefert ist und längst bereits massive Wohnungslosigkeit und mancherorts (wie in München) durch die hohen Mieten echte Versorgungsprobleme auslöst (in Münchner Kliniken stehen ganze Stationen leer, weil kein Personal zu finden ist – weil das Personal die Mieten nicht bezahlen kann). So wird im Bereich von Hartz IV verfahren, bei den Renten, die immer weiter gekürzt werden (eine Erhöhung des Rentenalters ist tatsächlich vor allem eine Rentenkürzung), und zur besonderen Erbauung gibt es obendrein noch die deutliche Botschaft, Menschen, die keine verwertbare Arbeitskraft anzubieten hätten, wären eigentlich überflüssig.
Wenn eine Diskussion eröffnet wird, ob Kommunen nicht Wohnraum für Flüchtlinge beschlagnahmen könnten (dieses Recht haben Kommunen, hatten sie die ganze Zeit), ist es nicht verwunderlich, wenn sich Menschen fragen, warum dieser Schritt angesichts der zunehmenden Wohnungslosigkeit nicht auch für Einheimische möglich ist. An diesem Beispiel zeigt sich, wie politische Schachzüge dramatisiert werden. Denn die Debatte zielt mitnichten darauf ab, dieses kommunale Recht tatsächlich anzuwenden, weder für Flüchtlinge noch für sonst jemanden; Ziel des Spiels ist es vielmehr, an diesem Beispiel genau diesen Schritt für verwerflich zu erklären. Letzten Endes bleiben beide Gruppen, die Einheimischen wie die Flüchtlinge, ohne Zugang zu Wohnungen, aber es wurde vorgeführt, dass die Politik nun einmal nichts an der Lage ändern könne. In der Redensart nennt man das den Sack schlagen, aber den Esel meinen.
Ein Nicht-Wollen wird so als Nicht-Können maskiert. Und Schritt für Schritt, Beispiel für Beispiel wird Not inszeniert, Überforderung, Mangel. Schließlich hat die Betonung, Deutschland ginge es wirtschaftlich gut, in den letzten Monaten dazu geführt, dass wieder erste Forderungen nach leichten Verbesserungen gestellt werden. Im Streik im Erziehungsdienst beispielsweise. Die ungeheure Anstrengung, die vielen Flüchtlinge aufzunehmen, kommt gerade recht; von einer Aushöhlung des ohnehin schwindsüchtigen Mindestlohns bis hin zu Rentenkürzungen (von Lohnforderungen im öffentlichen Dienst ganz zu schweigen) kann man Wetten darüber abschließen, wie oft von der schweren Belastung durch die vielen Flüchtlinge die Rede sein wird. Und da Flüchtlinge eine durch den politischen Apparat nach Belieben verschiebbare Menschengruppe sind, wird auch noch die eine oder andere Inszenierung folgen, um dieser Darstellung Glaubwürdigkeit und mediale Präsenz zu verschaffen.
(Eine der Informationen, die durch das Flüchtlingsdrama verschüttet wurde, betrifft übrigens die Vermögensverteilung in Deutschland. Jedes Mal, wenn diese genauer betrachtet wird, ist sie bizarrer, ungerechter, eigentlich längst unhaltbar. Wie praktisch, dass diesmal kaum jemand hingesehen hat. Und wie ungeheuer günstig, dass seit Abschaffung der Vermögensteuer unter Helmut Kohl zwar die Armut im Lande immer sichtbarer wird, der Reichtum aber gar nicht mehr erfasst wird.)
Das große Drama am Münchner Hauptbahnhof, die Aufrufe an die Bevölkerung, zu helfen – das Alles ist propagandistische Handlung. Mit solcher Verve inszeniert, dass niemand innehält, um sich zu fragen, ob es wirklich Freiwillige braucht, um zwanzigtausend Menschen mit Nahrung, Wasser und ein paar Lebensnotwendigkeiten zu versorgen. Die entsprechenden Entscheidungen vorausgesetzt, hätten sich diese Fragen geräuschlos lösen lassen. Auf dem Oktoberfest werden an manchen Tagen 500 000 Menschen bespaßt, ernährt und abgefüllt. Wie kann es dann sein, dass eine solch doch recht überschaubare Zahl von Personen, die weit unter der Besucherzahl eines Bundesligaspiels liegt, nur mit Hilfe von Freiwilligen versorgt werden kann? Nein, das war keine technische Notwendigkeit. Und mit Sicherheit weder die kostengünstigste noch die effizienteste Lösung der realen Probleme. Eine Lösung, die den wirklichen logistischen Möglichkeiten entspricht, hätte aber keine Bilder und keine Rührung geliefert. Das Ziel war hier nicht die bestmögliche Hilfe, sondern das Theater, die Propaganda der Tat.
Wie praktisch und angenehm, dass dieses Stück ein von vorneherein festgelegtes Ende hatte. Schließlich war die Kehrtwende rechtzeitig vor Beginn der Wiesn abseh- und in aller vermeintlicher Unschuld vollziehbar. Denn wenn die Maßkrüge unter der Bavaria befüllt werden müssen, ist kein Platz mehr für Flüchtlingsströme, und da die Besucher auch Fremde sind, können Bahnhof und Grenzen wieder geschlossen werden, ohne dass der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit möglich wäre.
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Menschenrechte und Menschenfeinde
Kommen wir zu den Untertönen der Geschichte. „Lichtdeutschland“ und „Dunkeldeutschland“, wie das so genannt wurde. Oder der Raum zwischen Heidenau und den Teddybären am Münchner Hauptbahnhof.
Heidenau war der notwendige Kontrast, um das Münchner Drama zur Geltung zu bringen. Hätte es nicht stattgefunden, es hätte erfunden werden müssen. Es ist ja bereits etablierter Konsens, dass die Ablehnung von Flüchtlingen rassistisch ist. Und jegliche soziale Frage ist gründlich genug aus der politischen Wahrnehmung exorziert, dass der Unterton der sozialen Verachtung in der Inszenierung ins Unbewusste verbannt bleibt.
Denn „Lichtdeutschland“ ist sozial eindeutig verortet, es ist die Heimat des (noch) gut abgesicherten Spießbürgers, während „Dunkeldeutschland“ der proletarische Mob ist, der misstrauisch und naserümpfend betrachtet wird. Natürlich wird nicht vergessen, die Spaltung unseres angeblich wiedervereinigten Landes bei dieser Gelegenheit mitzuzelebrieren – es sind schließlich die bösen sozialistisch sozialisierten Ossis, die „Dunkeldeutschland“ liefern, und es sind die gutbürgerlichen Wessis, die für das Licht stehen.
Unbestritten, die tatsächliche Lage von Flüchtlingen ist nicht gut, und viele derjenigen, die, von wem auch immer, mit diesem Strom hierher gelockt wurden, werden sehr schnell feststellen, dass dieses Land alles andere als freundlich ist. Das große Pathos, mit dem an Hilfsbereitschaft appelliert wurde, kann aber auf mehrfache Weise durchaus legitime Wut erzeugen.
Das beginnt mit der Selektivität. Warum, um Himmels willen, haben syrische Flüchtlinge mehr Entgegenkommen verdient als Flüchtlinge aus dem Jemen, aus Somalia, aus Afghanistan, aus dem Irak oder einem der vielen anderen Länder, die in den letzten Jahren aus dem einen oder anderen Grund von westlichen Mächten ins Chaos gebombt oder zu Grunde gerichtet wurden? Warum sollen sie willkommener sein als Flüchtlinge aus dem Kosovo, den die Bundesregierung in jahrelanger Bemühung und innigster Kooperation mit den USA in eine Mischung aus Mafiakolonie und Flugzeugträger verwandelt hat? Diese saubere Teilung in jene Flüchtlinge, deren Land man gerade noch ruinieren will und die daher noch einen propagandistischen Nutzen abwerfen, und jene, deren Land man bereits ruiniert hat und die daher bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, ist zutiefst zynisch. Aber die Linke ist ja gerade mit dem Verteilen von Teddybären beschäftigt und kommt nicht dazu, auf diese Heuchelei aufmerksam zu machen.
Aber wie klingt die Aufforderung zu einer „Willkommenskultur“ in den Ohren all jener, denen dieses ihr eigenes Land vorwiegend feindselig gegenübertritt? Ist es wirklich notwendigerweise Rassismus, wenn diese plötzlich verordnete Freundlichkeit jenen sauer aufstößt, die unter Kuratel des Jobcenters stehen oder sich im Niedriglohnsektor von Monatsanfang zu Monatsanfang hangeln? Denen obendrein ständig von den „Leistungsträgern“ vorgesäuselt wird, die zu Parasiten erklärt werden, in deren Wohnungen man die Zahnbürsten zählt und deren Zukunftsperspektive Altersarmut heißt? Komme da jetzt keiner mit Solidarität; die besteht zwischen denen unten gegen die oben, das ist etwas anderes als staatlich verordnete „Willkommenskultur“. Wir leben in einem Land, das nur sein oberstes Hundertstel willkommen heißt, und die untere Hälfte (die, nebenbei bemerkt, all die wirklich notwendige Arbeit verrichtet) am liebsten auf Wasser und Brot setzen würde. Das Versprechen des irdischen Paradieses, das der Kapitalismus in der Phase des Waffenstillstands gegeben hat, hat sich längst in Luft aufgelöst, das Zuckerbrot ist gestrichen, übrig ist die Peitsche. „Willkommenskultur“? Wenn das ähnliche Empfindungen auslöst wie mittlerweile das Wort „Reform“, nämlich düstere Befürchtungen einer weiteren Verschlechterung der eigenen Lage, so ist das nur nüchterner Realismus. Ja, der Zorn richtet sich auf die falschen Ziele, aber sein Quell ist nicht eine rassistische Einstellung, sondern eine ganz wirkliche soziale Finsternis.
Und „Lichtdeutschland“? Das ist politisch so edelmütig wie der Einkauf im Bio-Supermarkt. Eine bürgerliche Linke, die ein neues Ablassobjekt entdeckt (oder angeboten bekommen) hat. Nachdem die Frage des naturgerechten Ackerbaus über den Einkauf von durch marokkanische Arbeitssklaven geernteten spanischen Bioerdbeeren gelöst und die Frage gerechter Handelsbeziehungen in Fair-Trade-Schokolade versenkt wurde, kann man jetzt den Ablass für imperialistische Kriege durch Übergabe von Teddybären erhalten. Gibt es eine massive Bewegung für die Beendigungen der Sanktionen gegen Syrien? Gibt es nicht. Wie viele Politiker sprechen sich für sofortigen Austritt aus der NATO aus? Eben. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern. Aber es gibt „Willkommenskultur.“
Nicht zu vergessen, dass diese Ablasshandlung (wie all die anderen Ablasshandlungen übrigens) einen guten Anteil dessen enthält, was auf Englisch mittlerweile „classism“ genannt wird, analog zu Rassismus und Sexismus also Klassismus, auf Deutsch als Klassenhass bekannt (auch wenn wir hier marxistisch formuliert nicht von einer Klasse reden, sondern von den „Zwischenschichten“). Es handelt sich nämlich wieder einmal um eine Handlung zur Distinktion, zur Abgrenzung, die nicht zufällig, sondern aus gutem Grund letztlich in Übereinstimmung mit der imperialistischen Politik mündet. Der deutsche Spießbürger erkennt in dem vielzitierten syrischen Arzt (lassen wir einmal dahingestellt, ob es letzteren wirklich in dieser Menge gibt) Fleisch von seinem Fleische; es käme ihm nicht in den Sinn, seine Teddybären in Obdachlosenunterkünfte zu tragen oder „Willkommenskultur“ vor dem Jobcenter zu zelebrieren; jede wohltätige Handlung beinhaltet ihr Quäntchen Verachtung für die Besitzlosen.
Ja, es gibt ein klein wenig Gegrummel über die Politik der USA. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Erbarmungslosigkeit, mit der gegenwärtig jedes Bestreben nach Unabhängigkeit seitens der Länder quittiert wird, die in den kolonialen Kosmos gehören, zwar von den Vereinigten Staaten exekutiert wird, aber nicht nur den Interessen der Vereinigten Staaten dient (respektive, um es korrekt zu formulieren, den Interessen des US-Kapitals). Auch die bundesdeutsche Industrie zieht Gewinne daraus, dass andere Länder in der Rolle von Rohstofflieferanten bleiben, die die Preise ihrer Waren nicht bestimmen können. Die berühmten Bananen, die zum Symbol der Überlegenheit der BRD über die DDR wurden, waren hier vor allem deshalb billiger, weil die Bananenpflücker der Westkolonien gewaltsam daran gehindert wurden (und werden), vernünftige Entlohnung zu erkämpfen. Es ist nicht nur die Frage, wie weit die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik aktiv an den diversen Schweinereien beteiligt sind. Sie profitieren von ihnen. Am Beispiel Griechenlands konnte man sehen, dass diese Interessen durchaus eine eigene Blutspur ziehen können; auch wenn in diesem Falle die Toten nicht durch den Einsatz von Bombenflugzeugen, sondern beispielsweise durch die Zerstörung des Gesundheitswesens erzeugt wurden. Die ganze Struktur, die große Teile des Planeten im Würgegriff hält, mit IWF und Weltbank und dem NATO-Militär, ist keineswegs grundsätzlich gegen die Interessen des deutschen Kapitals gerichtet, und wie bei einer Bande von Schutzgelderpressern ist der Schläger, der den unwilligen „Kunden“ vermöbelt, nicht der einzige Beteiligte des Spiels. Augenblicklich werden koloniale Kriege mit einer Erbarmungslosigkeit geführt, die einige Jahrzehnte lang undenkbar war, und sie stürzen halbe Kontinente ins Chaos. Auf jeden Muckser in die falsche Richtung folgen Drohung mit und Durchführung von „Regimewechseln“. Aber solange hier die Bananen billig sind, gibt es keinen Grund, die Hände in Unschuld zu waschen. Und dass die Interessen des deutschen Kapitals gelegentlich mit jenen des US-amerikanischen kollidieren, sollte nicht dazu führen, zu übersehen, dass sich beide herzlich einig sind, wenn es darum geht, die Länder, die unten sind, auch dort zu halten.
Das Verhältnis des deutschen Spießbürgers zum Imperialismus an sich, wie er sich momentan in dem halbgaren Unbehagen an der US-amerikanischen Kriegspolitik ausdrückt, ist eher ein ästhetisches. Der grobe Ami möge doch bitte seine Stiefel ordentlich am Fußabtreter abputzen, damit es keine Blutflecken auf dem Teppich gibt. Zwischen einem Teddybären am Bahnhof und einer Ablehnung kolonialer Kriege liegen Welten.
(Nebenbei – wenn man sich die Moden imperialistischer Legitimationserzählungen betrachtet, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis das erste Land wegen Rassismus bombardiert wird).
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Die karitative Linke
Was die bundesdeutsche Gesamtlinke betrifft, ist festzustellen, dass sie weit mehr Einsatz auf Flüchtlingsbetreuung und eifriges Gegendemonstrieren verwendet als auf Proteste gegen imperialistische Kriegsführung (letzteres steht bei einigen vermeintlich Linken mittlerweile ja im Ruch des „Antisemitismus“). Weder die manipulative Medienarbeit wie etwa mit dem Foto des toten Jungen (das eine ganze Reihe von Fragen aufwirft) noch die zelebrierte „Willkommenskultur“ werden in Frage gestellt. Im Gegenteil, man macht eifrig mit und verbucht diesen Ausbruch bundesdeutscher Wohltätigkeitsheuchelei als Fortschritt gegen den Rassismus.
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Es gibt ja einige einfache Faustregeln im politischen Leben. Eine davon lautet, wenn die BILD-Zeitung etwas gut findet, das ich gut finde, sollte ich darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.
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Allerdings ist diese Reaktion alles andere als unschuldig und zeigt – wieder einmal – dass wir es hier mit einer zutiefst bürgerlichen Linken zu tun haben, mit einer bürgerlichen Moral. Kann es denn angehen, dass man (wohl wissend, wie sozial selektiv Fluchtwege nach Europa sind) sich einzig dafür einsetzt, diejenigen, die die darwinsche Lotterie bis hierher überstanden haben, möglichst freundlich zu empfangen, und die anderen, die sich diese Luxusflucht nicht leisten können, völlig zu ignorieren? Solidarität ist etwas anderes als Mildtätigkeit. Solidarität ist Beistand im Kampf. Wie ist die Aufnahme eines Bruchteils relativ wohlhabender und relativ gebildeter Flüchtlinge in Deutschland eine Unterstützung im Kampf um eine bessere Zukunft für die syrische Bevölkerung? Es überrascht nicht, dass die deutsche Industrie gerne ausgebildetes Personal anderer Länder abschöpft. Es überrascht allerdings schon, wenn in Deutschland keine andere linke Antwort mehr denkbar scheint als „Bleiberecht für Alle.“
Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erklärt, die Mittel für dieses Jahr seien aufgebraucht (was gerade die Flüchtlinge in ernste Gefahr bringt, die sich die teure Europatour nicht leisten können), wird die Auseinandersetzung nicht darum geführt, den vor Ort angerichteten Schaden auch vor Ort wieder gut zu machen (also nicht nur die Sanktionen gegen Syrien einzustellen, sondern Wiederaufbauhilfe zu leisten), sondern man kümmert sich um jene, die es bis hierher geschafft haben.
Das ist weder im Interesse der syrischen Arbeiterklasse noch im Interesse des Widerstands gegen den Imperialismus (man muss hier das „klassische“ Vokabular verwenden, damit das Problem sichtbar wird). Es ist eine individualistische „Lösung“ für ein kollektives Problem; als würde man eine klaffende Wunde am Bein mit einem Heftpflaster behandeln wollen, allerdings auf der Nase…
Jeder Flüchtling ist gut? Wirklich? Und wenn die ukrainischen Faschisten eines Tages eins auf die Nase kriegen und dann massenweise dort aufschlagen, wo man sie schon einmal aufbewahrt hatte, hier in Deutschland nämlich, ist das dann immer noch gut? Offene Grenzen auch für Ukronazis?Weil kein Land weltweit mehr Erfahrung in der Resozialisierung von Kriegsverbrechern hat als Deutschland?
Migration ist oft ein stabilisierender Faktor für unerträgliche Zustände. Wäre die irische Unabhängigkeit ohne die massive Auswanderung im 19. Jahrhundert früher gekommen? Wie hätte sich die deutsche Geschichte entwickelt ohne die massenhafte Auswanderung nach der Niederlage 1848 (Deutschland war bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Auswanderungs-, kein Einwanderungsland)? Kann man wirklich behaupten, jede Migration, wann und wo auch immer, wäre im Interesse gesellschaftlichen Fortschritts? (Nebenbei, in den letzten Jahren gab es beträchtliche Auswanderung aus Griechenland, Portugal, Spanien, auch hierher. Ohne allzu große öffentliche Wahrnehmung hier, aber sicher mit Folgen für die politische Auseinandersetzung dort).
Und ist nicht eine Haltung, die nicht mehr in Frage stellt, wer wann warum wohin migriert, sondern es implizit voraussetzt, jeder Mensch auf der Welt wolle so leben wie wir in der Bundesrepublik, oder genauer, in der Bundesrepublik leben, zutiefst affirmativ, systemkonform, nur eine andere Spielart arroganter kolonialistischer Überheblichkeit? Sozusagen amerikanischer Suprematismus auf deutsch?
Ja, es lebt sich im Herzen der Finsternis meist besser als in der Peripherie. Aber man sollte nicht vergessen, dass es eben das Herz der Finsternis ist und kein gelobtes Land.
Ein neuer Glaube
Das Unheimlichste am Flüchtlingstheater ist, dass es sich in eine ganze Kette ähnlich makaberer Inszenierungen einreiht. Das begann spätestens mit der Bewerbung des Maidan und Herrn Klitschko, setzte sich fort mit MH17 und erreichte einen schaurigen Höhepunkt Anfang des Jahres mit „Ich bin Charlie“. All diese Ereignisse wirkten gemacht, wurden bis zur Überwältigung emotional aufgeladen und massiv medial verwertet.
In allen Fällen gab es eine offizielle Erzählung, die nicht kritisiert werden durfte. In allen Fällen war insbesondere die Erwähnung von Interessen tabuisiert, während gleichzeitig ein ganzer Schwall von „Werten“ über das verblüffte Publikum ergossen wurde. Seit „Ich bin Charlie“ werden zudem noch ganze Massen zu öffentlichen Bekenntnissen mit einbezogen.
Diese „Werte“ bewegen sich weitgehend im Bereich reiner Behauptung. Niemand, der sich je mit den Eigentumsverhältnissen der Medien befasst hat, würde ernstlich erklären, bei uns herrsche Meinungsfreiheit. Niemand, der die perfide Szene mit Angela Merkel und dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen gesehen hat („Ich möchte sie einmal streicheln“), kann an die „Willkommenskultur“ von „Lichtdeutschland“ glauben. Aber die Inszenierung wird von Mal zu Mal verstärkt.
Die Erzählung von den syrischen Flüchtlingen folgt auch geopolitischen Interessen. Wolfgang Ischinger, das außenpolitische Sprachrohr der Allianz, hat, wie German Foreign Policy akkurat wie immer berichtet, schon den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gefordert; gegen Assad, versteht sich. Ähnliches ist sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich geschehen. Aber es steckt mehr in der Geschichte.
Der Umgang mit all diesen Momenten ist betont antirational. Ich hatte zu „Ich bin Charlie“ schon geschrieben, das ganze gemahne an eine Volksgemeinschaft der „europäischen Werte“; „Lichtdeutschland“ verstärkt diesen Eindruck noch einmal. Gleichzeitig war es noch nie so leicht, als Staatsfeind angesehen zu werden – ein wenig Widerspruch gegen eine dieser Erzählungen reicht dafür aus. Es handelt sich um eine parteiunabhängige und parteiübergreifende Formierung im Inneren mit einer aggressiven Position nach Außen, mit starken irrationalen und emotional manipulativen Anteilen. Ich hoffe sehr, mich zu irren, aber mir scheint, wir erleben gerade in Raten die Entstehung der Ideologie des europäischen Faschismus im 21. Jahrhundert.
Im Verlauf des letzten Jahres wurde deutlich, dass es durchaus mächtige Kräfte in Europa gibt, die auf Kriegskurs sind, aber zugleich wurde klar, dass die „normale“ propagandistische Bearbeitung nicht ausreicht, um die Bevölkerung für diese Zwecke einsetzbar zu machen. Seitdem erleben wir eine ganze Kette von Ereignissen, die jedesmal einen kleinen Schubs in die „richtige“ Richtung versetzen, immer in einer Verpackung, die den Inhalt bis in die kleinbürgerlich-linken Kreise hinein verdaulich hält. Gleichzeitig wird der politische Diskurs konsequent nicht nur von geopolitischen, sondern auch von ökonomischen und sozialen Inhalten entleert, und eine Botschaft immer wieder wiederholt: all diese Inhalte sind Nichts im Vergleich mit den „Werten“. Und in langsamer Steigerung wird diese Seelenmassage mit der Aussage gewürzt, für die „Werte“ müsse man bereit sein, Opfer zu bringen.
Es gibt unterschiedliche Theorien, wer den Flüchtlingsstrom in die Bundesrepublik ausgelöst haben könnte. Mag sein, es war ursprünglich ein freundlicher Gruß der Vereinigten Staaten. Oder von Herrn Erdogan, der gerne ungestört weiter mit ISIS spielen möchte. Aber er wurde hier schnell und wirkungsvoll instrumentalisiert und bis an die Grenze des Notstands ausgespielt, und mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie er noch genutzt werden könnte, um diese Grenze zu überschreiten (der Gedanke, es könnten ISIS-Anhänger mit im Strom geschwommen sein, ist ja bereits gesetzt). Angesichts der Euphorie, mit der weite Teile der Linken sowohl bei „Ich bin Charlie“ als auch bei „Lichtdeutschland“ mitspielen, möchte ich darüber eigentlich nicht länger nachdenken.
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Syntagmaplatz, Athen, 9. Oktober 2012




Danke  The Vineyard Saker – Deutsche Version
Quelle: http://vineyardsaker.de/analyse/finsternis-ist-licht/#more-4129
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 16/09/2015
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974
- See more at: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15974#sthash.Ik4oafE7.dpuf

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