Mittwoch, 16. September 2015
Das Kapital, der Faschismus und das Böse
Der Klassenkrieg der Bourgeoisie wird in der Gegenwart weltweit geführt
Von Prof. Wolfgang Dreßen
Nach 1945 waren sich Antifaschistinnen bei allen Unterschieden einig: Der Faschismus basiert auf der bürgerlichen Gesellschaft. Ohne Kapitalismus gibt es auch keinen Faschismus. Wenn Auschwitz sich nicht wiederholen sollte, dann besteht die politische Aufgabe vor allem darin, den Kapitalismus zu überwinden.
Um die Eigentumsverhältnisse zu retten, wurde dagegen schon gleich im Sommer 1945 ein Mythos erfunden, der bis heute fortwirkt. Der Nationalsozialismus musste vom Kapitalismus getrennt werden. Die Verantwortung wurde dazu auf eine Handvoll führender Nazis verschoben und auf „Exzesstäter", denen „das Böse" gleichsam ins Gesicht geschrieben stand. Alle anderen waren terrorisiert worden. Sie konnten gar nicht anders, als sich anzupassen. Mit Profit und Kapitalismus hatte das alles nichts zu tun.
Auf diese Weise konnten die Naziprofiteure ihre Geschäfte weiterverfolgen, Nazis konnten die Geheimdienste und die Bundeswehr aufbauen, Richter-, Polizei- oder Professorenstellen besetzen. Die „anständigen" Deutschen waren schon immer anständig gewesen. Die Nazis, das waren Sadisten und Verrückte, die das arme Deutschland besetzt hatten.
Der dem Faschismus wesentliche Antikommunismus blieb allerdings aktuell, innen- wie außenpolitisch: Der Faschismus wurde in die Nähe des Kommunismus gerückt, zwei „totalitäre" Systeme aus dem Bereich des „Bösen". Es folgten die Berufsverbote, das Verbot der KPD, nach 1933 zum zweiten Mal. Die bürgerlichen Ideologen entdeckten den „Extremismus", der von rechts und der von links. Der Kapitalismus, die Bourgeoisie und ihre Parteien, das war jetzt die schon immer ordentliche Mitte, eine erneute Verfälschung der Geschichte, die wirksam bleibt. Auch viele Linke sprechen immer noch von „Rechtsextremismus", ohne zu merken, dass der Extremismusbegriff auch gegen sie selbst eingesetzt wird.
„Bereichert euch!"
Nach 1989 glaubte die Bourgeoisie, den gefährlichen linken Feind endgültig besiegt zu haben. Die Parole hieß jetzt „bereichert euch", hemmungslos. Dazu gehörten und gehören auch Kriege: Die Eroberung von Absatzmärkten, Rohstoffreserven, Transportwegen oder auch „nur" der Absatz von Kriegsgerät. Das „einige" Deutschland war dabei. Und Auschwitz erwies sich nun als ungeheuer nützlich: Der Nationalsozialismus entstammte ja dem „Bösen", so das entschuldigende Märchen, nicht etwa dem Kapitalismus. Und jetzt wurde überall in den Kriegsgebieten ein neues drohendes „Auschwitz", ein neuer „Hitler" oder zumindest die bedrohte Zivilisation des „Guten" entdeckt.
Wieder Kriege führen
Deutschland kann wieder Kriege führen, Tapferkeitskreuze verleihen, sogar mit dem alten bekannten Eichenlaub, – aber jetzt wird gegen das „Böse" gekämpft. Eine merkwürdige Wiederholung. Auch die Nazis hatten behauptet, das „Böse" zu bekämpfen, das sie in ihrem rassistischen Wahn im „Juden" sahen. Jetzt bleibt immer noch das „Böse", das zu bekämpfen ist – die „Islamisten", manchmal auch gleich die noch nicht „westlichen" Araber, auf jeden Fall der „unzivilisierte Osten", das liegt nun wieder sehr nah am NS-Feindbild.
Alltäglicher Rassismus
Dieses Drohbild begründet dann auch, warum Asylsuchende doch lieber im Mittelmeer ertrinken sollten, statt uns „Gute" hier zu bedrohen. Der alltägliche Rassismus verkleidet sich auf diese Weise als „Zivilisation", die zu retten sei. Dieser Rassimus wird von den staatlichen Institutionen praktiziert. Da gibt es allerdings noch die „Rechtsextremisten", nennen wir sie lieber richtig Neonazis. Einerseits stören sie, sie sind nicht gerade exportfördernd. Aber sie erfüllen doch verschiedene Aufgaben. Geradezu ideal verkörpern sie bis in ihr Auftreten das Bild des „Bösen". Auch die beamteten Rassisten, die gerade befohlen haben, Asylsuchende abzuschieben oder die Juristen, die gegen „Ausländer" Folteraussagen aus ihren Heimatländern benutzen oder die Kapitalisten, die am Rüstungsexport verdienen, sie alle sind sich einig im Bündnis gegen diese „Rechtsextremisten", zumindest offiziell.
Antifaschismus wird auf diese Weise in eine sozialpädagogische Aufgabe verfälscht. Faschisten sind gleichsam Drogenabhängige, denen man beim „Ausstieg" helfen muss. Wenn sie ihren Rassismus in den Institutionen, als Beamte, Juristen etc, vollstrecken würden, dann wäre alles in Ordnung.
Die italienischen Faschisten haben dies begriffen, sie haben sich gleich mit der regierenden Berlusconi-Partei vereinigt, und, schwupps, sie sind keine „Extremisten" mehr. Denn der Fachismus hat für diese Bekämpfer des „Rechtsextremismus" nichts mit dem Kapitalismus und seinen Institutionen zu tun. Bei dieser Geschichts- und Gegenwartverfälschung helfen die randalierenden Neonazis. Und sie haben die schon historische Aufgabe, die Mechanismen des Kapitalismus zu verstecken, indem sie die Ursachen der sozialen Misere rassistisch den „Ausländern" und dem „jüdischen Kapital" zuschieben.
Da ist es kein Wunder, das so viele V-Leute des „Verfassungsschutzes" gleich in der NPD sitzen, dass sie nicht verboten werden kann. Es bleibt ja unklar, was von den V-Leuten kommt und was von den „eigentlichen" Neonazis. Diese Neonazis sind zu bekämpfen, sie sind gefährlich, sie ermorden Menschen, sie verfälschen in den Köpfen die Vergangenheit und die Gegenwart. Sie sind aber zu bekämpfen als ein Teil dieser Gesellschaftsunordnung. Der Faschismus steckt auch in der Ausländerkartei des Kölner Bundesverwaltungsamtes und im alltäglichen Klasssenkampf von oben. Der Faschismus ist kein moralischer Irrtum, er fällt nicht vom Himmel, er tritt immer dann auf, wenn die Bourgeoisie ihren konterrevolutionären Klassenkrieg ausdehnt. Und dieser Klassenkrieg wird in der Gegenwart weltweit geführt. (PK)
Wolfgang Dreßen ist Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Düsseldorf und hat diesen Artikel im Landesinfo DIE.LINKE 1-2009 7 veröffentlicht.
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