Was als glänzendes Freiheitsversprechen daherkommt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Programm zur Errichtung einer neuen Feudalherrschaft. Niemand zeigt dies deutlicher als Dr. Markus Krall, der sich gerne als "Ökonom" und Finanzexperte inszeniert. Nach Stationen bei Beratungsunternehmen wie McKinsey, Boston Consulting Group und Roland Berger, wo er an einer gescheiterten Initiative zur Gründung einer europäischen Ratingagentur beteiligt war, hat er sich zum selbsternannten Retter des freien Marktes und Propheten eines radikalen Marktfundamentalismus aufgeschwungen. Seine extremen Forderungen offenbaren den antidemokratischen Kern des Libertarismus:
Krall will nichts weniger als die systematische Entmachtung der Mehrheitsgesellschaft: Nur wer Nettosteuern zahlt, soll wählen dürfen.
"Freie Verträge zwischen gleichen Partnern" - so das libertäre Mantra. Aber wie "frei" ist ein Vertrag, wenn die eine Seite hungert und die andere im Überfluss lebt? Wenn der eine sein Kind auf eine Privatschule schicken kann und der andere nicht mal Schulbücher kaufen kann?
Stellen Sie sich vor: Ihre Tochter ist schwer krank. Die einzige Behandlungsmöglichkeit gibt es in einer privatisierten Klinik - für 100.000 Euro. In Kralls libertärer Traumwelt ist das ein "freier Vertrag": Sie können ja "frei" entscheiden, ob Sie das bezahlen. Dass Sie das Geld gar nicht haben? Ihr Problem. Die "Freiheit des Marktes" ist wichtiger als das Leben Ihres Kindes.
Schon die alten Denker wussten um die Gefahr solch ungezügelter "Freiheit". Der Marquis de Sade zeigte mit seiner "Gesellschaft der Freunde des Verbrechens", wohin absolute Freiheit ohne Grenzen führt. Er forderte vom Gefängnis aus: "Der Geist des Aufruhrs muss jetzt Dauerzustand werden... je mehr das Volk den Mord schätzt, desto freier ist es." Thomas Hobbes warnte vor dem "Krieg aller gegen alle" - genau das Szenario, das Kralls Vorschläge heraufbeschwören würden.
John Stuart Mill formulierte dagegen das entscheidende Prinzip: "Der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds der Gesellschaft ausüben darf, ist die Schädigung anderer zu verhüten." Dies ist die Grundlage jeder zivilisierten Gesellschaft - und genau das wollen Libertäre abschaffen.
Besonders perfide ist Kralls Angriff auf die Demokratie selbst. Während Perikles vor 2500 Jahren erkannte, dass echte Demokratie die Teilhabe aller erfordert - und deshalb sogar Diäten für ärmere Bürger einführte - will Krall zurück zu einem Zensuswahlrecht, das nur Reichen politische Mitsprache gewährt. Die Athener entwickelten sogar ein Losverfahren für Richterämter, um Korruption zu verhindern - sie wussten, dass ungebändigte wirtschaftliche Macht die Demokratie zerstört.
Immanuel Kant betonte unsere moralische Pflicht, bei jeder Entscheidung zu prüfen, ob wir damit die Freiheit anderer einschränken. "Ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer nicht Abbruch tut." Von dieser ethischen Verantwortung wollen Libertäre nichts wissen.
Auch im digitalen Zeitalter zeigt sich die Gefahr libertärer Ideologie: Bill Gates' Vision einer totalen digitalen Überwachung zur Kriminalitätsbekämpfung offenbart die dystopische Endstation dieses Denkens: "Was uns heute wie digitaler Big Brother erscheint, könnte eines Tages zur Norm werden."
Was Krall und seine libertären Vordenker wie Hayek, von Mises oder Rothbard predigen, ist keine Freiheit - es ist der Versuch, eine neue Form der Klassenherrschaft zu errichten. Ihre "Freiheit" ist die Freiheit des Raubtieres, seine Beute zu reißen. Rothbard trieb diese Logik des absoluten Eigentumsrechts bis zum Äußersten: Er vertrat die Position, dass Eltern das Recht hätten, ihre Kinder verhungern zu lassen, da diese ihr "Eigentum" seien und niemand verpflichtet sei, sein Eigentum zu erhalten. Diese menschenverachtende Position zeigt, wohin die libertäre Ideologie in ihrer konsequenten Anwendung führt: zur vollständigen Auflösung aller menschlichen Bindungen und moralischen Verpflichtungen zugunsten eines absoluten Eigentumsrechts. Während echte Anarchisten für eine Gesellschaft der Gleichheit und Solidarität kämpfen (und dafür weltweit verfolgt wurden), predigen Libertäre einen extremen Egoismus im Gewand der Freiheit, der selbst vor dem Leben von Kindern nicht Halt macht.
Die historische Erfahrung zeigt: Unregulierter Kapitalismus führt zu massiver Ausbeutung, Kinderarbeit, zerstörter Umwelt und einer kleinen Schicht von Superreichen, die wie neue Feudalherren über ein Heer von modernen Leibeigenen herrschen. Genau dahin würde uns der Libertarismus wieder führen.
Wie die Politologin Hannah Arendt betonte: "Der Sinn des Politischen ist, dass Menschen in Freiheit alle Angelegenheiten durch das Miteinander regeln." Nicht durch die unsichtbare Hand des Marktes, nicht durch das Recht des Stärkeren, sondern durch demokratische Aushandlung in der Gemeinschaft.
Die moderne Definition von Freiheit ist kristallklar: Freiheit bedeutet, "ohne Zwang zu entscheiden und handeln, ohne dabei die Freiheit anderer einzuschränken." Der Libertarismus verletzt genau diesen zweiten Teil - er ignoriert die Auswirkungen ungezügelter wirtschaftlicher Freiheit auf andere.
Was wir stattdessen brauchen, ist eine Gesellschaft, die Freiheit und soziale Verantwortung verbindet. Eine Gesellschaft, die die Würde aller Menschen schützt - nicht nur die Profite weniger. Denn wahre Freiheit kann es nur geben, wo niemand so arm ist, dass er sich verkaufen muss, und niemand so reich, dass er andere kaufen kann.
Nachsatz: Die Groteske der Verblendung
Das Erschreckendste an dieser Entwicklung ist vielleicht nicht einmal Krall selbst, sondern die bizarre Tatsache, dass er ausgerechnet in "alternativen" Medien als Heilsbringer gefeiert wird. Ausgerechnet jene Portale, die sich angeblich gegen die Macht der Konzerne und des Großkapitals stemmen wollen, reichen diesen Propheten der sozialen Kälte wie Champagner herum. Die Kommentarspalten quellen über vor Begeisterung für einen Mann, der ihnen ihre demokratischen Rechte nehmen will. Mit geradezu masochistischer Freude bejubeln viele ausgerechnet jenen, der ihre eigene Entmachtung predigt.Ja bitte
Diese grenzenlose Verblendung ist mehr als nur Ignoranz - sie ist der Triumph der Ideologie über den gesunden Menschenverstand. Während der Neoliberalismus unserer Tage schon schlimm genug ist, wäre Kralls libertäre Dystopie die Hölle auf Erden - ein feudalistisches Horrorregime im Gewand der "Freiheit". Der heutige Raubtierkapitalismus erscheint dagegen wie ein zahmes Kätzchen.
Die erschreckende Begeisterung für diese menschenverachtende Ideologie offenbart einen kollektiven Realitätsverlust sondergleichen. In einer Zeit, in der jeder Zugang zu Informationen hat, in der Bildung eine Holschuld ist, jubeln ausgerechnet die vermeintlich "Aufgewachten" einem Mann zu, der ihre totale Unterwerfung unter die Macht des Kapitals fordert. Es ist eine Kapitulation des kritischen Denkens, die an Dummheit grenzt.
Der Libertarismus à la Krall ist keine harmlose Spielart des Wirtschaftsliberalismus - er ist eine totalitäre Ideologie, die bekämpft werden muss, bevor sie weiteren Schaden anrichten kann. Wer dieser Rattenfängerei hinterherläuft, hat nicht verstanden, dass hier keine Freiheit versprochen wird, sondern neue Ketten geschmiedet werden - diesmal nicht aus Eisen, sondern aus der kalten Logik des absoluten Marktes. Es ist höchste Zeit, dieser gefährlichen Ideologie die Maske vom Gesicht zu reißen und sie als das zu entlarven, was sie ist: Der Versuch, eine neue Form der Tyrannei zu errichten, schlimmer als alles, was wir bisher kannten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen