Die Investigativjournalistin und Dokumentarfilmerin Gaby Weber erforscht seit den 1980er Jahren die Beziehungen zwischen Nazis und südamerikanischen Regierungen und lebt zwischen Uruguay, Argentinien und Deutschland. Im Oktober gewann sie eine Klage gegen das argentinische Außenministerium wegen Schwärzungen von Dokumenten über den Naziverbrecher Adolf Eichmann. Die offizielle Geschichte besagt, dass Eichmann, der in den 1950er Jahren nach Buenos Aires floh, am 11. Mai 1960 nach langer und hartnäckiger Suche von Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad gefangen genommen wurde. Nach Jerusalem gebracht, wurde er 1962 vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt.
Nach einer langen Untersuchung haben Sie entdeckt, dass die Gefangennahme Eichmanns durch den Mossad, die als eine der kühnsten Operationen des Geheimdienstes nach dem Krieg in die Geschichte einging, eine falsche Geschichte ist. Seit 2005 haben Sie Los Expedientes Eichmann veröffentlicht und Dokumentarfilme über diesen Fall gedreht. Wann haben Sie mit der Untersuchung begonnen?
Seit 1999 arbeite ich an einer Untersuchung über die Gewerkschafter der Firma Mercedes Benz in Argentinien (desaparecidos). Im Jahr 1976, während der Militärdiktatur, ließen die Unternehmer, darunter ehemalige deutsche Nazis, sie verschwinden und ermordeten sie und prangerten sie als Subversive an. Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich, dass Adolf Eichmann bis Mai 1960 in der gleichen Firma gearbeitet hatte. Ich beschloss, mich eingehender mit der Nazi-Mercedes-Benz-Frage zu befassen, und ich verstand sofort, dass die offizielle Version der Entführung, die des Mossad, aus mehreren Gründen nicht stimmen konnte.
Welches sind die Elemente, die Ihre Aufmerksamkeit erregt und den ersten Verdacht geweckt haben?
Es gibt klare Dinge und historische Interpretationen. Erstens: Das Flugzeug der israelischen Firma El Al, das Eichmann nach der offiziellen Version von Buenos Aires direkt nach Dakar brachte, wäre wegen Treibstoffmangels am Boden abgestürzt, wenn er nicht noch einen Zwischenstopp in Brasilien eingelegt hätte. Die Reichweite des Flugzeugs ist kein Geheimnis. Er machte einen Zwischenstopp in Brasilien, in Natal, und dort wurde Eichmann an Bord genommen. Zweitens müssen wir den historischen Kontext betrachten: Zu dieser Zeit verhandelte die israelische Regierung von Premierminister Ben Gurion mit der Regierung von Konrad Adenauer über eine riesige Summe Geldes, um sein Atomprogramm zu bekommen, und eine Entführung hätte dieses Geschäft gefährdet. Drittens hat der Mossad nie die Nazis in der Welt aufgesucht, nicht einmal für eine Minute, und die Verbindungen zwischen Zionismus und Nationalsozialismus waren nicht die, die in der offiziellen Geschichte dargestellt wurden. Und dann, in den 60er Jahren, war der Mossad eine Gruppe von Amateuren, keine Profis oder Mörder, wie sie es heute sind.
Eichmann wurde 1960 nicht vom Mossad entdeckt, sondern Jahre zuvor von Lothar Hermann, dem nach Argentinien emigrierten Überlebenden eines Konzentrationslagers, der vergeblich versucht hatte, die israelische Regierung und die jüdische Gemeinde in Buenos Aires davon zu überzeugen, ihn vor Gericht zu stellen.
An diesem Punkt suchen Sie nach Beweisen.
Ich begann zu recherchieren, forschte in Deutschland beim BND (Informationsdienst der Bundesrepublik Deutschland). Um Zugang zu den geheimen Dokumenten zu erhalten, musste ich klagen: Während des Prozesses argumentierte das Bundeskanzleramt, es wolle sie geheim halten, um den Mossad nicht zu stören, der auf Geheimhaltung besteht und sich auf Gründe der nationalen Sicherheit beruft. Ich hatte Zugang zu viertausend Seiten über Eichmann im Jahr 2011, nach drei Jahren des Rechtsstreits, aber viele waren völlig geschwärzt, um das Geheimnis zu wahren.
Die Durchsuchung in den USA verlief so: 2010 wurde ich auf dem Washingtoner Flughafen auf dem Weg zum Nationalarchiv verhaftet und hinausgeworfen. Ich kann nicht mehr in die Vereinigten Staaten einreisen. Die Archivare haben mir immer noch geholfen, aber die CIA-Dokumente, die bei der NLE in Abilene aufbewahrt werden, sind immer noch geheim, auch wenn sie laut Gesetz offen sein sollten.
Wie steht es mit der Suche in den argentinischen Archiven?
In Argentinien ist die gesamte Dokumentation über die Nazis seit den 90er Jahren, seit der Zeit von Carlos Menem, geöffnet. Aber nur in der Theorie, denn die einzigen Dokumente, die öffentlich gemacht werden, sind Kopien von Zeitungsartikeln. Bei der Durchsuchung der Archive des Außenministeriums fand ich eine Liste von noch geheimen Kabeln des argentinischen Konsulats in Tel Aviv an das Ministerium, datiert auf Mai und Juni 1960. Ich habe einen Prozess gegen das Ministerium eingeleitet, um sie zu entmachten, und ich habe den Prozess gerade gewonnen, aber ich habe sie immer noch nicht in den Händen. Die argentinische Regierung hat Berufung eingelegt, wahrscheinlich auf Druck Israels.
Reichen die Beweise, die Sie gesammelt haben, aus, um den offiziellen Rahmen/Lüge zu Fall zu bringen?
Die Dokumente des BND (Deutschland), die ich in meiner Hand halte, zeigen, dass der Prozess in Israel eine Show war. Die israelischen Behörden standen in ständigem Kontakt mit den Deutschen, unterdrückten die Beweise und schützten die wichtigen Nazis, die sich der Adenauer-Regierung angeschlossen hatten. Eichmann wurde von Argentiniern entführt, Männern, die Präsident Arturo Frondizi nahe standen und sich gegenüber den Sowjets verpflichtet hatten, die Präsenz der Nazis in Argentinien zu beenden. Zumindest diejenigen mit einem Haftbefehl. Interpol leistete damals Widerstand gegen die Verfolgung der Nazis, weil sie Kriegsverbrechen als "politische" Akte betrachtete.
In Ihrem Buch und Ihren Dokumentarfilmen erzählen Sie Geschichten von Komplizenschaft und internationalem Austausch zwischen Regierungen, Industrien, Geheimdiensten. Wir befinden uns mitten im Kalten Krieg, welches Interesse hatten die Russen und Amerikaner?
1959 forderte der sowjetische Führer Nikita Chruschtschow ein Ende des Wettrüstens und der Atomtests in den Vereinten Nationen und bot einen Friedensvertrag für ein vereintes und neutrales Deutschland an, das keinem Militärpakt angehört. Diese Vorschläge sollten auf einer Gipfelkonferenz im Mai 1960 in Paris von den siegreichen Verbündeten des Zweiten Weltkriegs diskutiert und abgeschlossen werden. Die US-Regierung und der militärisch-industrielle Komplex waren gegen dieses Angebot. Das Ende des Kalten Krieges würde ihre Vormachtstellung erschüttern. Und der Gipfel ist gescheitert.
Wie haben sie es geschafft, sie zum Scheitern zu bringen?
Nach der offiziellen Geschichte scheiterte sie an Chruschtschow und den Sowjets. Die offizielle Geschichte leugnet die Existenz von Atomtests in Patagonien, erfindet die "heldenhafte Entführung" eines Nazi-Kriegsverbrechers durch israelische Agenten und beschreibt das Erdbeben in Chile als ein Naturereignis. Eine echte Geheimdienststruktur wurde von der CIA und dem Pentagon aufgebaut. Während Eisenhower am Gipfel zur nuklearen Abrüstung teilnahm, trafen seine Generäle in Argentinien mit vier Flugzeugträgern voller Sprengstoff ein, um Atomtests durchzuführen, die damals durch das Moratorium der US-Sowjetunion und das US-Atomenergiegesetz verboten waren. Die Vereinigten Staaten hatten sich mit Frondizi und dem argentinischen Militär geeinigt. Unmittelbar nach den Tests, am 22. Mai, ereignete sich in Chile das große Erdbeben von Valdivia, das schlimmste aller Zeiten mit einer Stärke von 9,5, eine Katastrophe mit Tausenden von Toten. Sie mussten alles vertuschen. Dazu drehte ich den Dokumentarfilm Krater für den Frieden im Jahr 2016. Das Problem bei dieser ganzen nuklearen Sache ist, dass sie verrückt klingt, und sie ist sehr verrückt.
Die Gefangennahme Eichmanns und die mediale Nutzung des Jerusalem-Prozesses sind daher eine Falschdarstellung.
Das ist die Erklärung für den Fall Eichmann, ich weiß, es klingt sehr "verschwörerisch", aber es gibt Dokumente in den Archiven der Vereinigten Staaten, Deutschlands, Argentiniens und der argentinischen katholischen Kirche. Es ist wahrscheinlich, dass die Entführung von der Entdeckung der unterirdischen und geheimen Atomtests ablenkte, die durch das Erdbeben bekannt zu werden drohten. Eichmann war von einigen Argentiniern entführt worden, aber Israelis waren gekommen, um ihn gefangen zu halten, so unprofessionell, dass sie im Mai in Sommerkleidung und ohne ein Wort Spanisch zu können nach Argentinien einreisten. Die Koordination der argentinischen Bundespolizei verhaftete sie und Eichmann als Gefangene. Meiner Meinung nach war es der 14. Mai.
Deshalb war Chruschtschow auf dem Pariser Gipfel so wütend, weil er begriffen hatte, dass die Amerikaner einen Nazi-Kriegsverbrecher zur Durchführung ihres Plans benutzten. Als Eisenhower am 16. Mai sah, dass der Gipfel zur nuklearen Abrüstung gescheitert war, war er glücklich und ging. Die Argentinier mussten eine Lösung für Eichmann und die inhaftierten Israelis finden. Kanzler Abba Ebba traf für die Israelis ein und handelte ihre Freilassung aus. Eichmann haette per Gesetz nach Deutschland geschickt werden muessen, da in Frankfurt ein Haftbefehl ueber ihn hing. Dies war der Punkt, an dem Eichmann verhandeln konnte und sich für Israel entschied, wo er viele zionistische Freunde hatte, darunter Rudolf Kastzner. Der BND hat mir ein Dokument zu dieser Verhandlung ausgehändigt: Der Staat Israel hat ihm für den Prozess eine Verteidigung versprochen.
Unterdessen gab Premierminister Ben Gurion vor dem Parlament bekannt, dass Adolf Eichmann in Israel festgehalten wird...
Ja, Ben Gurion erklärte schnell, dass er am 23. Mai, genau am Tag nach dem Erdbeben in Südamerika ankam. Er tut dies, um die Aufmerksamkeit der Welt von den Prüfungen und Konsequenzen abzulenken. Es wird nicht gesagt, wie Eichmann in Israel ankam. Die offizielle Version wurde zuerst von den Medien unter Berufung auf anonyme Quellen erfunden. Bisher haben Journalisten viel Geld erhalten, um Bücher zu schreiben, und Hollywood produziert jedes Jahr einen Film über "heldenhafte Entführungen". Die Täuschung geht weiter.
Vor seiner Gefangennahme hatte Eichmann dem ehemaligen SS-Offizier Willem Sassen Interviews gegeben.
Eichmann fühlte sich in Argentinien sicher. Er gab mehrere Jahre lang aufgezeichnete Interviews. Er behauptete, stolz auf seine "Heldentaten" zu sein und Bitterkeit zu empfinden, weil er, einst Herr über Millionen von Leben, nun in Armut ohne jede Macht lebte und als Mercedes Benz-Arbeiter nur ein wenig Almosen erhielt - während seine Genossen in der SS und der Nazi-Partei Karriere machten. Sassen versuchte, das Interview an die Presse zu verkaufen, es war nur eine Frage der Zeit, bis ein Journalist an Eichmanns Tür klingelte. Es war nicht vorhersehbar, worüber und über wen ein redseliger Kriegsverbrecher sprechen würde. Über Hans Globke, Autor der Nürnberger Rassengesetze, der Staatssekretär bei Bundeskanzler Konrad Adenauer wurde? Von ehemaligen SS-Genossen, die leitende Angestellte in der deutschen Industrie wurden? Es ist möglich, aber ich glaube nicht, dass Eichmann etwas mit Geldwäsche zu tun hatte, er war keine sehr wichtige Figur im nationalsozialistischen Exil. Und im Interview mit Sassen wird deutlich, dass die SS und die Nazi-Armee ihn verachtete, weil er nicht an der militärischen Front kämpfte.
Es lässt fast vermuten, dass er, nachdem er um sein Leben verhandelt hat, obwohl er zum Tode verurteilt wurde...
Nein, er wurde wahrscheinlich gehängt, um für immer zum Schweigen gebracht zu werden.
Hannah Arendt hatte die "spektakuläre" Dimension des Prozesses gesehen und prägte für Eichmann die Definition "Banalität des Bösen". Diese Überlegungen und die Aufmerksamkeit für die Kollaboration der jüdischen Ältestenräte kosteten sie wütende Kritik und den Vorwurf des Antisemitismus.
Ja, Hannah wird in Israel von zionistischen Kreisen gehasst. In Israel warf man ihr auch die Episode mit Heidegger, dem pro-nazistischen Philosophen, vor. Was für eine machistische Haltung! Heidegger wurde nie für seine Beziehung zu einem seiner Schüler getadelt. Man muss die Dinge im Zusammenhang sehen.
Ihre Untersuchung befreit die Erzählung über Eichmann von rhetorischen, heroischen, grandiosen Elementen. Es entsteht eine Verflechtung von wirtschaftlichen, politischen und medialen Motiven. Im Gefolge von Arendt haben Sie die Banalität der Macht offenbart. Welche Beziehung haben Sie Ihrer Meinung nach zu ihr?
Ich bewundere Hannah Arendt als Philosophin, ich liebe sie. Ich bin überzeugt, dass sie, wenn sie die wahren Fakten der Eichmann-Affäre gekannt hätte, ihr Grab getreten hätte und die israelischen Behörden empört wären!
Welche Reaktion erwarten Sie, abgesehen von der mühsamen Verteidigung der Geheimhaltung, insbesondere von Israel?
Haben wir die Beweise aus Israel? Nein, nichts. Ruhig. Nun, es ist gut, dass sie mich nicht angreifen oder angreifen, nur... die Fakten ignorieren. Aber es ist eine Sache für die Regierung, eine andere für die öffentliche Meinung. Ich bin ein wenig enttäuscht, dass sie nicht reagiert. Der Fall Eichmann ist in Israel ein echter Mythos, sie sind stolz darauf, mindestens einen Nazi gejagt zu haben, und jetzt müssen sie erkennen, dass alles nur ein Märchen war. Ich glaube an die Macht der Wahrheit.
Über die Angriffe auf ihr Buch schrieb Hannah Arendt 1963 an ihre Freundin Mary McCarthy: Die ganze Wut, die erregt wurde, dreht sich um Fakten, nicht um Theorien oder Ideen. Feindseligkeit gegen mich ist Feindseligkeit gegen eine Person, die die Wahrheit über Fakten sagt, und nicht gegen jemanden, der Ideen unterstützt, die im Widerspruch zu den gängigen stehen.
Seine Worte gelten noch heute. Wenn wir uns die Methoden und die Vulgarität ansehen, mit denen die Protagonisten jener Zeit - Eisenhower, Adenauer - handelten, ist das Wort "Banalität" wenig. Tief im Inneren gelang es ihnen nicht, die Massen von ihren Ideen zu überzeugen, aber sie erreichten ihre Ziele durch Macht und Lügen. Sie sind unglücklich und ebenso unglücklich sind diejenigen, die auch heute noch die Wahrheit verbergen.
Gaby Weber, Los Expedientes Eichmann (ed. South American)
Krater für den Frieden. Wie der militärisch-industrielle Komplex die Entwaffnung überlebte
Alle Filme anschauen: gabyweber.com
Hannah Arendt, Die Banalität des Bösen (Feltrinelli)
Unter Freunden. Die Korrespondenz von H.Arendt und M. McCarthy 1949-1975 (Sellerio)
Quelle: https://www.erbacce.org/la-banalita-del-potere/ übersetzt aus dem italienischen.
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