Eine kürzlich geführte Online-Diskussion offenbarte exemplarisch, wie tief verwurzelt fundamentale Missverständnisse über unser Steuersystem sind. Was als simple mathematische Widerlegung eines populären Mythos begann, entwickelte sich zu einer aufschlussreichen Demonstration ideologischer Denkmuster und wirtschaftlicher Fehlschlüsse.
Der Ausgangspunkt: Eine simple Rechnung
Alles begann mit der oft wiederholten Behauptung, dass "17 Millionen Leistungsträger" den deutschen Staat finanzieren würden. Eine einfache mathematische Überlegung zeigt bereits die Absurdität dieser Aussage:
- Steuereinnahmen des Staates: ca. 1 Billion Euro
- Angebliche "Leistungsträger": 17 Millionen
- Notwendige Steuerleistung pro Person: 58.824 Euro
Schon diese simple Division macht deutlich: Die Behauptung kann nicht stimmen. Kein realistisches Durchschnittseinkommen dieser 17 Millionen Menschen könnte eine solche Steuerlast tragen.
Die aufschlussreichen Abwehrreaktionen
Die Reaktionen auf diese mathematische Widerlegung waren höchst aufschlussreich. Statt das offensichtliche Rechenexempel anzuerkennen, folgten typische Ausweichmanöver:
1. Das "Top 10%"-Argument
"Die Top 10% zahlen 50% der Einkommensteuer, damit bereits 25% der Gesamtsteuereinnahmen." Dieser Aussage ignoriert mehrere fundamentale Fakten:
- Die Einkommensteuer ist nur ein Teil der Staatseinnahmen
- Die Mehrwertsteuer (268,8 Mrd. €) ist der größte Einzelposten
- Diverse Verbrauchssteuern kommen hinzu
- Die Mehrfachbesteuerung wird komplett ausgeblendet
2. Das "Netto-Transfer"-Argument
"Sozialleistungsempfänger zahlen keine echten Steuern, weil das Geld ja vom Staat kommt." Dieser Fehlschluss:
- Ignoriert den Kreislaufcharakter der Wirtschaft
- Verkennt die Realität des Konsums und der Mehrwertsteuer
- Übersieht die proportional höhere Belastung niedriger Einkommen
3. Das "Mehr-Konsum"-Argument
"Höhere Einkommen konsumieren mehr und zahlen daher auch mehr Steuern." Diese Behauptung:
- Unterschlägt die relative Belastung
- Ignoriert die Sparquote höherer Einkommen
- Verkennt die Mehrfachbesteuerung bei Grundbedürfnissen
Der fundamentale Denkfehler: Unternehmenssteuern
Der größte und weitreichendste Irrtum liegt jedoch im mangelnden Verständnis dafür, wie Unternehmen tatsächlich funktionieren. Die grundlegende Wahrheit ist:
Unternehmen zahlen KEINE Steuern - sie reichen ausnahmslos ALLE Kosten weiter:
- Direkte Steuern:
- Gewerbesteuer
- Körperschaftsteuer
- Grundsteuer
- Alle weiteren Unternehmenssteuern
- Personalkosten:
- Löhne und Gehälter
- Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung
- Arbeitslosenversicherung
- Berufsgenossenschaft
- Lohnfortzahlung
- Finanzierungskosten:
- Kreditzinsen
- Bankgebühren
- Versicherungsprämien
- Weitere Abgaben:
- Rundfunkbeitrag
- IHK-Beiträge
- Umweltabgaben
Ein Unternehmen hat keine magische Geldquelle. Es kann nur das weitergeben, was es von seinen Kunden einnimmt. Jeder einzelne Cent, den ein Unternehmen ausgibt - sei es für Material, Löhne, Kredite oder eben Steuern - MUSS über die Verkaufspreise wieder hereinkommen. Sonst ist das Unternehmen früher oder später insolvent.
Die ideologische Blockade
Was diese Diskussion besonders deutlich macht: Es geht nicht um mangelnde Intelligenz oder fehlendes Bildungsniveau. Was wir hier beobachten, sind tiefverwurzelte ideologische Blockaden:
- Das Weltbild von "Leistungsträgern" versus "Empfängern" ist so fest verankert, dass selbst einfachste wirtschaftliche Zusammenhänge nicht mehr erkannt werden.
- Mathematische Beweise werden ignoriert zugunsten vorgefasster Meinungen.
- Komplexe Transfer-Argumentationen werden konstruiert, um offensichtliche Fakten zu umgehen.
- Das fundamentale Verständnis wirtschaftlicher Mechanismen wird durch ideologische Scheuklappen verhindert.
Die tatsächliche Struktur der Staatsfinanzierung
Die Realität unseres Steuersystems ist deutlich anders als der "Leistungsträger"-Mythos suggeriert:
- Größte Einnahmequelle: Mehrwertsteuer (268,8 Mrd. €)
- Wird von ALLEN Bürgern gezahlt
- Belastet niedrige Einkommen proportional stärker
- Keine Progression, keine Freibeträge
- Systematische Mehrfachbesteuerung
- Energie: Steuer + CO2-Abgabe + MwSt auf beides
- Kaffee: Kaffeesteuer + MwSt
- Benzin: Energiesteuer + MwSt auf die Steuer
- Verbrauchssteuern
- Treffen alle Bürger
- Keine Progression
- Oft mehrfache Besteuerung
- Unternehmensabgaben
- Werden vollständig an Verbraucher weitergegeben
- Erscheinen als Preisbestandteil
- Treffen wieder alle Konsumenten
Fazit: Die wahren "Leistungsträger"
Was diese Analyse eindeutig zeigt: Die Staatsfinanzierung basiert auf der Gesamtheit aller Bürger, nicht auf einer kleinen Gruppe von "Leistungsträgern". Die breite Masse der Bevölkerung trägt durch:
- Direkte Steuern (Lohnsteuer etc.)
- Indirekte Steuern (Mehrwertsteuer)
- Verbrauchssteuern
- Mehrfachbesteuerungen
- Weitergegebene Unternehmenssteuern
zur Finanzierung des Staates bei. Der Mythos der "17 Millionen Leistungsträger" ist nichts weiter als das: ein Mythos, der einer faktischen Überprüfung nicht standhält.
Die wahren Leistungsträger sind die Millionen von Bürgern, die mit ihrer Arbeit und ihrem Konsum das System am Laufen halten und durch vielfältige direkte und indirekte Steuern den Staat finanzieren. Es wird Zeit, dass wir uns von ideologischen Märchen verabschieden und die wirtschaftliche Realität anerkennen.
Anmerkung: Diese Analyse basiert auf einer realen Online-Diskussion. Alle persönlichen Details wurden anonymisiert. Die Diskussion dient als exemplarisches Beispiel für weitverbreitete Missverständnisse über unser Steuersystem.
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