Peter Sloterdijk kennt den sublimen Schmerz. Von der eigenen Zunft nicht
ernstgenommen, von Rezensenten als Scharlatan verlacht, konnte der
Philosoph und Medienexperte einem manchmal schon leid tun. Mit seiner
"Kritik der zynischen Vernunft" (erschienen 1983) landete Sloterdijk
einen einmaligen Coup, einen philosophischen Bestseller. Das haben ihm
etliche akademisch geschulte Denker anscheinend nie verziehen.
Quelle: http://www.tantejolesch.at/tjbigstat.php?bild=slo2.jpg&href1file=slo3
Zugegeben, wer seriöse Kost sucht, wer Kant, Hegel oder Wittgenstein von
Grund auf verstehen will, sollte Habermas, Rentsch, Vossenkuhl oder
wenigstens Safranski lesen. Doch immerhin hat Sloterdijk die Philosophie
auch für Porschefahrer zugänglich gemacht. Thomas Gottschalk, Boris
Becker und Lothar Matthäus zählen zu seinen Lesern.
Und die erfreut er auch mit seinem jüngsten FAZ-Interview, "Die Revolution der gebenden Hand". Seither wissen wir: Nicht die Anfeindungen seiner Kollegen gehen Sloterdijk an
die Nieren, nicht der spröde fachliche Diskurs, nein, es ist die
fiskalische Hexenjagd des Staates gegen die Leistungsträger im Lande. Zu
denen zählt Sloterdijk natürlich auch sich selbst. Schliesslich verfügt
er über ein stattlich-staatliches Einkommen und über Vermögen. Daran
allein lässt sich nicht erst seit Calvin und Bhagwan die Auserwähltheit
und das transzendente Leistungspotential eines Menschen ablesen.
Obwohl der Spitzensteuersatz unter Schröder um mehr als 20 Prozent
abgesenkt wurde, leidet Sloterdijk immer noch unter seinen
Steuerbescheiden. Den "antifiskalischen Bürgerkrieg" hält er deshalb für
die "plausibelste Reaktion". Er führe "zur Abschaffung der
Zwangssteuern und zu deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit -
ohne dass der öffentliche Bereich deswegen verarmen müsste."
Eine schöne neue Welt taucht da vor uns auf, und sie mag manchem
vielleicht reichlich utopisch vorkommen. Mit seinem Plädoyer für totale
Steuerbefreiung spricht Sloterdijk jedenfalls vielen Wertpapierberatern
und Managern, vielen Apothekern, Chefärzten und -redakteuren aus dem
Herzen. Wir Normalsterbliche können das Ungemach, das man dieser
leidgeprüften Klientel alljährlich antut, nicht nachempfinden. Was
wissen wir schon davon, wie es sich anfühlt, wenn ein sechsstelliger
Steuerbescheid im Briefkasten liegt, während die Geliebte ein grösseres
Studio braucht, der Jaguar neue Winterreifen, der Pool im Garten längst
saniert werden müsste?
Sloterdijk frisst solchen Kummer nicht in sich hinein, hüllt sich zu
solchen Tragödien nicht in pseudo-philosophisches Schweigen. Der
Karlsruher Hochschulrektor bietet, wie schon so oft, Rezepte, Lösungen.
Gegen die ererbte Defizienz der menschlichen Gattung hatte Sloterdijk
1999 für ein globales Züchtungsprojekt geworben, den "Menschenpark".
Warum allerdings eine nach Sloterdijks eigener Auffassung so irrationale
Spezies wie der Mensch ein so einschneidendes Instrument wie die
Gentechnik vernünftig zum Besseren anwenden soll, darauf blieb der
Denker die Antwort schuldig.
Doch die Niederungen technischer Details sind wahrlich nicht Sache der
Philosophie. Wichtig war und ist: Die Heideggersche Sorge treibt
Sloterdijk um. Gerade jetzt, da der Fiskus weltweit das Finanz- und
Wirtschaftssystem vor dem Kollaps bewahrt hat, droht die Gefahr, dass
viele den Staat wieder für eine sinnvolle und notwendige Sache halten.
Dabei hatte vor zehn Jahren die Entstaatlichung doch so verheissungsvoll begonnen.
Rot-Grün unter Schröder, Clement, Fischer hatte erste Schritte unternommen,
damit die Grosszügigkeit der Reichsten in Deutschland wieder eine Chance
bekam. Die radikale Senkung der Vermögenssteuern und Spitzensteuersätze
hatten bei den Betuchten wahrlich eine Welle der Zuwendung ausgelöst.
Sie floss zunächst zwar ab in die Dot-Com-Blase, den Zertifikatehandel
und die Immobilienspekulation, doch das muss ja nicht so bleiben. Wenn erst wieder mehr Menschen in härenem Gewand durch die Strassen wandeln, wenn malerische Blech- und Bambushütten die
Vorstädte zieren, dann wird auch den steuerlich befreiten Reichen wieder
wärmer ums Herz.
Merkel und Westerwelle haben schon die Weichen für mehr Barmherzigkeit
gestellt. Dass weniger Steuern mehr Geld auf dem Konto bedeutet,
leuchtete den davon Begünstigten immer schon ein, doch regte sichn bei
einigen Bürgern immer noch die kritische Ratio und ein Reste von
sozialem Gewissen. Es fehlte den lukrativen Steuerstreichungsplänen die
tiefere ethische und philosophische Begründung. Für die sorgt nun
Sloterdijk.
Zurecht beklagt der Karlsruher Hochschulpofessor die zunehmende
Gefühllosigkeit der Menschen. Schuld sind laut Sloterdijk jedoch nicht
etwa die Bildungsmisere, der Medienzirkus, schlechte Vorbilder, Protz-
und Konsumsucht oder eine pausenlos angestachelte Gier, sondern, so der
Steuerphilosoph, schuld an diesem Sittenverfall ist der Staats- und
Gleichheitsgedanke. Ohne Staat, ohne das Prinzip der Chancengleichheit
und ohne Steuerbescheide könnten blühende Landschaften wahrer Humanität
entstehen. Vom Steuerjoch befreit werden Geldhyänen zu Mäzenen,
Geizhälse zu Samaritern.
Und in der Tat. Rühren nicht heute schon die Obdachlosen in den
Hauseingängen, die Menschenschlangen vor den Tafeln unsere Herzen? Sitzt
beim Anblick der wachsenden Schar an Bettlern auf unseren Strassen die
Brieftasche nicht viel lockerer als früher? Welche Unternehmenserbin,
welcher Bankmanager, Zahnarzt oder Ministerialdirigent hätte nicht schon
einmal seinen Skiurlaub storniert, um das veramte, kranke
Rentnerehepaar um die Ecke zu pflegen? Wieviele Meisterwerke sind
letztlich nur dadurch entstanden, dass Armut und Elend nicht so einfach
staatlich weichgezeichnet wurden? "David Copperfield", Dostojewskijs
Romane, "La Traviata", sie alle wären ungeschrieben, unkomponiert
geblieben, hätte sich damals im 19. Jahrundert schon der
Sozialstaatsgedanke in Europa breitgmacht.
Leider versucht Barack Obama jenseits des Atlantik sich dem Steuer- und
Staatsboykott entgegenzustellen, indem er anstelle barmherziger
Zuwendung den Anspruch auf gesundheitliche Grundversorgung in den USA
verankern will. Doch davon sollte die Bundesregierung sich nicht beirren
lassen. Sloterdijk, Russland und Moldawien weisen den Weg zurück in
eine helle Zukunft. Erst als die Alten, Kranken und nicht mehr
Leistungsfähigen ihr Hab und Gut, erst als die Abeitslosen - nicht
zuletzt die weiblichen - ihre Haut in diesen Ländern kostengünstig zu
Markte trugen, kam wieder echter Luxus ins Land. Bei wenigen vorerst
nur. Aber aller Anfang ist nun einmal schwer. Die Entwicklung dort geht
in Sloterdijks Richtung. Steuern zahlt von den Leistungsträgern dort
jedenfalls niemand mehr. Bei einer Auswanderungsquote von 15 bis 20% und
einer um 10 Jahre gesunkenen Lebenserwartung spielen in diesen Ländern
die Sozialausgaben und die leidige Rentendebatte keine Rolle mehr. Der
Osten Deutschlands hat erst eine Auswanderungsquote von 10% erreicht,
von der Lebenserwartung ganz zu schweigen. Das zeigt, dass Schwarz-Gelb
noch viel zu tun hat, bis die moldawischen Vorgaben erreicht sind.
Sloterdijk weiss: Wer Aufmerksamkeit erregen und Auflage machen will,
muss provozieren, muss Tabus antasten. Und so stellt er seit Jahren eine
Reihe anderer, gärender Fragen. Wozu brauchen wir überhaupt noch
Institutionen? Wozu noch eine Verfassung, wozu einen Sozalstaat, wozu
Demokratie, dieses aufgeblähte Gebilde aus Ansprüchen und angeblich
unveräusserlichen Menschen- und Bürgerrechten? Wozu die Illusion
prinzipeller Chancengleichheit? Hat die Menschheit nicht Jahrtausende
nach ganz anderen Prinzipien gelebt und überlebt? Haben die
Sklavengesellschaften Babylons, Ägyptens, Roms, das Kastensystem
Indiens, das China der Kaiser und Mandarine nicht bewundernswerte
kulturelle Leistungen hervorgebracht? Sind der Escorial in Spanien, der
Petersdom in Rom nicht steinerne unwiderlegbare Zeugen einer
leistungsträgerfreundlichen Welt ganz ohne Steuern?
Etliche mögen Sloterdijks Steuer- und Staatsallergie für übertrieben
halten, doch in einem Punkt muss man ihm recht geben. Während in der
freien Wirtschaft Leistung wenigstens hin und wieder überprüft wird,
während ein Fritz J. Raddatz aus dem Zentrum der ZEIT-Redaktion
hinauskomplimentiert wurde, weil er nachweislich baren Unfug
daherschrieb, darf ein staatlich bestallter, praktisch unkündbarer
Karlsruher Hochschulrektor mit Pensionsberechtigung heute jede Art von
Schwachsinn als philosophische Weisheit verkünden, ohne Sanktionen
fürchten zu müssen. Vielleicht sollte man da mit dem weiteren
Staatsabbau beginnen und die Steuerzahler entlasten.
Quelle: http://www.tantejolesch.at/tjbigstat.php?bild=slo2.jpg&href1file=slo3
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