Mittwoch, 28. Oktober 2015

Sloterdijk, der Philosoph unter der Steuerlast

Peter Sloterdijk kennt den sublimen Schmerz. Von der eigenen Zunft nicht ernstgenommen, von Rezensenten als Scharlatan verlacht, konnte der Philosoph und Medienexperte einem manchmal schon leid tun. Mit seiner "Kritik der zynischen Vernunft" (erschienen 1983) landete Sloterdijk einen einmaligen Coup, einen philosophischen Bestseller. Das haben ihm etliche akademisch geschulte Denker anscheinend nie verziehen.
Quelle: http://www.tantejolesch.at/tjbigstat.php?bild=slo2.jpg&href1file=slo3

Zugegeben, wer seriöse Kost sucht, wer Kant, Hegel oder Wittgenstein von Grund auf verstehen will, sollte Habermas, Rentsch, Vossenkuhl oder wenigstens Safranski lesen. Doch immerhin hat Sloterdijk die Philosophie auch für Porschefahrer zugänglich gemacht. Thomas Gottschalk, Boris Becker und Lothar Matthäus zählen zu seinen Lesern.

Und die erfreut er auch mit seinem jüngsten FAZ-Interview, "Die Revolution der gebenden Hand". Seither wissen wir: Nicht die Anfeindungen seiner Kollegen gehen Sloterdijk an die Nieren, nicht der spröde fachliche Diskurs, nein, es ist die fiskalische Hexenjagd des Staates gegen die Leistungsträger im Lande. Zu denen zählt Sloterdijk natürlich auch sich selbst. Schliesslich verfügt er über ein stattlich-staatliches Einkommen und über Vermögen. Daran allein lässt sich nicht erst seit Calvin und Bhagwan die Auserwähltheit und das transzendente Leistungspotential eines Menschen ablesen.

Obwohl der Spitzensteuersatz unter Schröder um mehr als 20 Prozent abgesenkt wurde, leidet Sloterdijk immer noch unter seinen Steuerbescheiden. Den "antifiskalischen Bürgerkrieg" hält er deshalb für die "plausibelste Reaktion". Er führe "zur Abschaffung der Zwangssteuern und zu deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit - ohne dass der öffentliche Bereich deswegen verarmen müsste."

Eine schöne neue Welt taucht da vor uns auf, und sie mag manchem vielleicht reichlich utopisch vorkommen. Mit seinem Plädoyer für totale Steuerbefreiung spricht Sloterdijk jedenfalls vielen Wertpapierberatern und Managern, vielen Apothekern, Chefärzten und -redakteuren aus dem Herzen. Wir Normalsterbliche können das Ungemach, das man dieser leidgeprüften Klientel alljährlich antut, nicht nachempfinden. Was wissen wir schon davon, wie es sich anfühlt, wenn ein sechsstelliger Steuerbescheid im Briefkasten liegt, während die Geliebte ein grösseres Studio braucht, der Jaguar neue Winterreifen, der Pool im Garten längst saniert werden müsste?

Sloterdijk frisst solchen Kummer nicht in sich hinein, hüllt sich zu solchen Tragödien nicht in pseudo-philosophisches Schweigen. Der Karlsruher Hochschulrektor bietet, wie schon so oft, Rezepte, Lösungen. Gegen die ererbte Defizienz der menschlichen Gattung hatte Sloterdijk 1999 für ein globales Züchtungsprojekt geworben, den "Menschenpark". Warum allerdings eine nach Sloterdijks eigener Auffassung so irrationale Spezies wie der Mensch ein so einschneidendes Instrument wie die Gentechnik vernünftig zum Besseren anwenden soll, darauf blieb der Denker die Antwort schuldig.

Doch die Niederungen technischer Details sind wahrlich nicht Sache der Philosophie. Wichtig war und ist: Die Heideggersche Sorge treibt Sloterdijk um. Gerade jetzt, da der Fiskus weltweit das Finanz- und Wirtschaftssystem vor dem Kollaps bewahrt hat, droht die Gefahr, dass viele den Staat wieder für eine sinnvolle und notwendige Sache halten.

Dabei hatte vor zehn Jahren die Entstaatlichung doch so verheissungsvoll begonnen.
Rot-Grün unter Schröder, Clement, Fischer hatte erste Schritte unternommen,
damit die Grosszügigkeit der Reichsten in Deutschland wieder eine Chance bekam. Die radikale Senkung der Vermögenssteuern und Spitzensteuersätze hatten bei den Betuchten wahrlich eine Welle der Zuwendung ausgelöst. Sie floss zunächst zwar ab in die Dot-Com-Blase, den Zertifikatehandel und die Immobilienspekulation, doch das muss ja nicht so bleiben. Wenn erst wieder mehr Menschen in härenem Gewand durch die Strassen wandeln, wenn malerische Blech- und Bambushütten die Vorstädte zieren, dann wird auch den steuerlich befreiten Reichen wieder wärmer ums Herz.

Merkel und Westerwelle haben schon die Weichen für mehr Barmherzigkeit gestellt. Dass weniger Steuern mehr Geld auf dem Konto bedeutet, leuchtete den davon Begünstigten immer schon ein, doch regte sichn bei einigen Bürgern immer noch die kritische Ratio und ein Reste von sozialem Gewissen. Es fehlte den lukrativen Steuerstreichungsplänen die tiefere ethische und philosophische Begründung. Für die sorgt nun Sloterdijk.

Zurecht beklagt der Karlsruher Hochschulpofessor die zunehmende Gefühllosigkeit der Menschen. Schuld sind laut Sloterdijk jedoch nicht etwa die Bildungsmisere, der Medienzirkus, schlechte Vorbilder, Protz- und Konsumsucht oder eine pausenlos angestachelte Gier, sondern, so der Steuerphilosoph, schuld an diesem Sittenverfall ist der Staats- und Gleichheitsgedanke. Ohne Staat, ohne das Prinzip der Chancengleichheit und ohne Steuerbescheide könnten blühende Landschaften wahrer Humanität entstehen. Vom Steuerjoch befreit werden Geldhyänen zu Mäzenen, Geizhälse zu Samaritern.

Und in der Tat. Rühren nicht heute schon die Obdachlosen in den Hauseingängen, die Menschenschlangen vor den Tafeln unsere Herzen? Sitzt beim Anblick der wachsenden Schar an Bettlern auf unseren Strassen die Brieftasche nicht viel lockerer als früher? Welche Unternehmenserbin, welcher Bankmanager, Zahnarzt oder Ministerialdirigent hätte nicht schon einmal seinen Skiurlaub storniert, um das veramte, kranke Rentnerehepaar um die Ecke zu pflegen? Wieviele Meisterwerke sind letztlich nur dadurch entstanden, dass Armut und Elend nicht so einfach staatlich weichgezeichnet wurden? "David Copperfield", Dostojewskijs Romane, "La Traviata", sie alle wären ungeschrieben, unkomponiert geblieben, hätte sich damals im 19. Jahrundert schon der Sozialstaatsgedanke in Europa breitgmacht.

Leider versucht Barack Obama jenseits des Atlantik sich dem Steuer- und Staatsboykott entgegenzustellen, indem er anstelle barmherziger Zuwendung den Anspruch auf gesundheitliche Grundversorgung in den USA verankern will. Doch davon sollte die Bundesregierung sich nicht beirren lassen. Sloterdijk, Russland und Moldawien weisen den Weg zurück in eine helle Zukunft. Erst als die Alten, Kranken und nicht mehr Leistungsfähigen ihr Hab und Gut, erst als die Abeitslosen - nicht zuletzt die weiblichen - ihre Haut in diesen Ländern kostengünstig zu Markte trugen, kam wieder echter Luxus ins Land. Bei wenigen vorerst nur. Aber aller Anfang ist nun einmal schwer. Die Entwicklung dort geht in Sloterdijks Richtung. Steuern zahlt von den Leistungsträgern dort jedenfalls niemand mehr. Bei einer Auswanderungsquote von 15 bis 20% und einer um 10 Jahre gesunkenen Lebenserwartung spielen in diesen Ländern die Sozialausgaben und die leidige Rentendebatte keine Rolle mehr. Der Osten Deutschlands hat erst eine Auswanderungsquote von 10% erreicht, von der Lebenserwartung ganz zu schweigen. Das zeigt, dass Schwarz-Gelb noch viel zu tun hat, bis die moldawischen Vorgaben erreicht sind.

Sloterdijk weiss: Wer Aufmerksamkeit erregen und Auflage machen will, muss provozieren, muss Tabus antasten. Und so stellt er seit Jahren eine Reihe anderer, gärender Fragen. Wozu brauchen wir überhaupt noch Institutionen? Wozu noch eine Verfassung, wozu einen Sozalstaat, wozu Demokratie, dieses aufgeblähte Gebilde aus Ansprüchen und angeblich unveräusserlichen Menschen- und Bürgerrechten? Wozu die Illusion prinzipeller Chancengleichheit? Hat die Menschheit nicht Jahrtausende nach ganz anderen Prinzipien gelebt und überlebt? Haben die Sklavengesellschaften Babylons, Ägyptens, Roms, das Kastensystem Indiens, das China der Kaiser und Mandarine nicht bewundernswerte kulturelle Leistungen hervorgebracht? Sind der Escorial in Spanien, der Petersdom in Rom nicht steinerne unwiderlegbare Zeugen einer leistungsträgerfreundlichen Welt ganz ohne Steuern?

Etliche mögen Sloterdijks Steuer- und Staatsallergie für übertrieben halten, doch in einem Punkt muss man ihm recht geben. Während in der freien Wirtschaft Leistung wenigstens hin und wieder überprüft wird, während ein Fritz J. Raddatz aus dem Zentrum der ZEIT-Redaktion hinauskomplimentiert wurde, weil er nachweislich baren Unfug daherschrieb, darf ein staatlich bestallter, praktisch unkündbarer Karlsruher Hochschulrektor mit Pensionsberechtigung heute jede Art von Schwachsinn als philosophische Weisheit verkünden, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Vielleicht sollte man da mit dem weiteren Staatsabbau beginnen und die Steuerzahler entlasten.

Quelle: http://www.tantejolesch.at/tjbigstat.php?bild=slo2.jpg&href1file=slo3

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