Der Kontext
Beim AfD-Bundesparteitag in Riesa gab Björn Höcke dem "DeutschlandKurier" ein Interview, das tiefe Einblicke in seine Vorstellungen von Staat und Gesellschaft gewährt. Seine Äußerungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht und zur gesellschaftlichen Rolle des Militärs offenbaren dabei ein erschreckendes Gesellschaftsbild.
Die wahre Bedeutung der "positiven Unterordnung"
In dem Interview spricht Höcke wörtlich davon, dass "die heutige junge Generation [...] niemals die Möglichkeit [hatte], auch mal eine positive Unterordnung zu leben". Er bezeichnet die Bundeswehr explizit als "Schule der Nation" und beklagt, dass junge Menschen bis zum "Eintritt ins Berufsleben" keine Chance hätten, "Gemeinschaftsorientierung zu leben".
Diese Aussagen offenbaren ein erschreckendes Programm zur staatlichen Zwangserziehung:
- Er fordert mit seinen eigenen Worten die Unterwerfung junger Menschen unter militärische Strukturen, die er euphemistisch als "positive Unterordnung" bezeichnet
- Er spricht explizit der heutigen Jugend die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Integration ab und behauptet, dies würden "auch die Arbeitgeber beklagen"
- Er propagiert wörtlich ein Jahr "Dienst für den Staat" als Zwangsmaßnahme und rechtfertigt dies mit der Behauptung "das schadet niemandem"
Rückschritt statt moderner Verteidigungsarmee
Höckes Bezeichnung der Bundeswehr als "Schule der Nation" offenbart ein fundamental falsches Verständnis moderner Streitkräfte:
- Die Bundeswehr hat sich bewusst zu einer professionellen Freiwilligenarmee entwickelt
- Die Abkehr von der Wehrpflicht war eine wichtige demokratische Errungenschaft
- Eine moderne Verteidigungsarmee basiert auf Freiwilligkeit und demokratischen Werten
- Die Bundeswehr versteht sich heute als Hilfskraft bei Katastrophen und zur Landesverteidigung, nicht als "Erziehungsanstalt"
Höckes Forderungen ignorieren diese Entwicklung vollständig:
- Er will zurück zu einem überholten Modell der Zwangsrekrutierung
- Er missversteht die Bundeswehr als Instrument zur gesellschaftlichen Formung
- Er lehnt das moderne Verständnis einer demokratischen Berufsarmee ab
Die wahren Ziele hinter der Wehrpflicht-Forderung
Seine Argumentation für die Wehrpflicht offenbart ein zutiefst autoritäres Weltbild:
- Junge Menschen werden als defizitär und formungsbedürftig diffamiert
- Die freie Persönlichkeitsentwicklung soll durch staatliche Zwangsmaßnahmen ersetzt werden
- Das Militär soll als Instrument zur gesellschaftlichen Gleichschaltung dienen
Die perfide Doppelstrategie
Höckes Rhetorik im Interview offenbart eine durchdachte Doppelstrategie:
Als scheinbar fürsorglicher Mahner:
- Er präsentiert sich als besorgter Vater ("ich bin selbst Vater von zwei Kindern")
- Er gibt vor, junge Menschen durch "positive Unterordnung" fördern zu wollen
- Er behauptet, die Wehrpflicht würde "niemandem schaden"
Als Konstrukteur von Bedrohungsszenarien:
- Er warnt vor dem "Verheizen" in "fremden Kriegen"
- Er spricht von "Kräften", die "ausländische Interessen exekutieren"
- Er suggeriert eine Bedrohung durch "politische Machtverhältnisse"
Diese Widersprüchlichkeit entlarvt:
- Es geht nicht um Landesverteidigung oder das Wohl junger Menschen
- Die Wehrpflicht soll als Instrument zur gesellschaftlichen Kontrolle dienen
- Demokratische Institutionen werden systematisch delegitimiert
Der antidemokratische Kern
Hinter der vermeintlich harmlosen Sprache steht ein demokratiefeindliches Programm:
- Die systematische Ablehnung einer freien, pluralistischen Gesellschaft
- Der Versuch, militärische Hierarchien zum gesellschaftlichen Ideal zu erheben
- Die Propagierung eines autoritären Staates als "Erzieher"
- Die fundamentale Ablehnung individueller Freiheit und Selbstbestimmung
Fundamentale Widersprüche zur demokratischen Ordnung
Die verwendeten Begriffe und Konzepte offenbaren grundlegende Probleme:
- Sie stehen im Widerspruch zu einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung
- Sie missachten das Recht auf freie Persönlichkeitsentwicklung
- Sie zielen auf autoritäre Strukturen statt demokratischer Teilhabe
Diese Rhetorik ist besonders problematisch, weil:
- Sie staatlichen Zwang als vermeintliche Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen präsentiert
- Sie die individuellen Rechte junger Menschen systematisch missachtet
- Sie demokratische Prinzipien durch autoritäre Strukturen ersetzen will
Der breitere politische Kontext
Die Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht ist keineswegs auf die AfD beschränkt:
CDU/CSU:
- Befürwortet eindeutig die Wiedereinführung einer "echten Wehrpflicht"
- Plant die schrittweise Rücknahme der Aussetzung
- Will ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr einführen
Die Grünen:
- Haben sich von ihrer pazifistischen Tradition weitgehend entfernt
- Sind zu einer der stärksten Befürworter militärischer "Lösungen" geworden
- Der Weg von "Nie wieder Krieg" zur aktiven Kriegsbefürwortung zeigt einen fundamentalen Wandel
Diese Entwicklung ist besorgniserregend:
- Die Normalisierung von Zwangsdiensten wird parteiübergreifend vorangetrieben
- Militärische "Lösungen" werden zunehmend als alternativlos dargestellt
- Die Errungenschaften der Freiwilligenarmee werden leichtfertig aufgegeben
Die wissenschaftliche Realität hinter der "positiven Unterordnung"
Während Höcke und andere von "positiver Unterordnung" und "Charakterbildung" sprechen, zeigt die Forschung ein völlig anderes Bild:
Psychologische Auswirkungen:
- Erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen wie PTBS, Depressionen und Angstzustände bei jungen Rekruten
- Besondere Vulnerabilität in der Adoleszenz für traumatische Erfahrungen
- Militärisches Training kann die normale psychologische Entwicklung junger Menschen nachhaltig stören
Soziale und wirtschaftliche Folgen:
- Unterbrechung von Bildungswegen mit langfristigen negativen Folgen
- Nachweislich erhöhte Kriminalitätsraten bei ehemaligen Wehrdienstleistenden
- Signifikante Nachteile für die berufliche Entwicklung
Langfristige Konsequenzen:
- Gehäuftes Auftreten von Alkoholmissbrauch und psychosozialen Problemen
- Erhöhtes Risiko für Arbeitslosigkeit und finanzielle Schwierigkeiten
- Dauerhafte Beeinträchtigung der sozialen Integration
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse entlarven die Propaganda von der "charakterbildenden" Wirkung des Zwangsdienstes als gefährlichen Mythos. Sie zeigen, dass gerade junge Menschen in ihrer vulnerablen Entwicklungsphase durch militärische Zwangsstrukturen besonders gefährdet sind.
Fazit
Die Analyse von Höckes Interview und der aktuellen politischen Entwicklung zeigt eine doppelte Gefahr: Einerseits wird die Rückkehr zu militärischen Zwangsdiensten parteiübergreifend propagiert, andererseits werden die wissenschaftlich belegten negativen Auswirkungen solcher Zwangsdienste auf junge Menschen völlig ignoriert.
Die Forschung zeigt eindeutig: Zwangsdienste und militärische "Erziehung" führen nicht zu positiver Charakterbildung, sondern erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen, soziale Probleme und wirtschaftliche Nachteile. Diese Erkenntnisse werden von allen Parteien, die eine Rückkehr zur Wehrpflicht fordern, bewusst ausgeblendet.
Höckes unverhohlene Forderung nach "positiver Unterordnung" und einer "Schule der Nation" macht dabei nur besonders deutlich, was auch hinter den scheinbar moderateren Forderungen anderer Parteien steht: der Versuch, junge Menschen einem autoritären System zu unterwerfen.
Eine demokratische Gesellschaft muss sowohl dieser offenen autoritären Rhetorik als auch den wissenschaftlich widerlegten Mythen von der positiven Wirkung militärischer Zwangsdienste entgegentreten. Die Freiheit und gesunde Entwicklung junger Menschen darf nicht militaristischen Fantasien geopfert werden.
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