"Make economy great again funktioniert ohne Migration nicht. Wir brauchen dauerhaft ca. 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte pro Jahr, nur um die negative Differenz zwischen der Anzahl der Renteneintritte und der Anzahl der Neueintritte in den Arbeitsmarkt auszugleichen. Mit steigender Tendenz ab 2030." - So fasst der selbsternannte Ökonom, Philosoph und Wirtschaftsjurist Werner Koller die gängige Position zusammen.
Diese simplifizierende Sichtweise spiegelt die aktuelle Debatte perfekt wider: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und die Wirtschaftsweise Schnitzer fordern eine jährliche Zuwanderung von 1,5 Millionen Menschen - die massivste Migrationsforderung in der Geschichte der Bundesrepublik. Bis 2040 sollen dem deutschen Arbeitsmarkt durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation 7 Millionen Arbeitskräfte verloren gehen. Ohne massive Zuwanderung, so die Prognose, würde die Zahl der Erwerbstätigen von aktuell 46,4 Millionen auf dramatische 35,1 Millionen bis 2060 sinken.
Der fundamentale Widerspruch
Diese Argumentation offenbart jedoch mehrere grundlegende Widersprüche:
Produktivität und Automatisierung:
Vor dem Mauerfall funktionierte die deutsche Wirtschaft mit nur 60-63 Millionen Einwohnern problemlos. Die Arbeitsproduktivität pro Beschäftigtem ist seither massiv gestiegen - allein seit 1991 um über 42%, in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung sogar um fast 23%. Das bedeutet: Jeder einzelne Arbeitnehmer erzeugt heute fast anderthalbmal so viel Wirtschaftsleistung wie noch vor 30 Jahren.
Ein perfektes Beispiel für diese Entwicklung liefert Adidas: Nachdem die Produktion zunächst nach Asien verlagert wurde, experimentierte der Konzern 2015 mit der Rückkehr nach Deutschland - in Form der hochautomatisierten "Speedfactory" in Ansbach. In dieser Fabrik ersetzten Roboter die traditionelle arbeitsintensive Schuhproduktion. Das Ergebnis: Drastisch verkürzte Produktionszeiten bei minimaler menschlicher Arbeitskraft.
Bezeichnenderweise wurde die Robotertechnologie später nach Asien verlagert - nicht wegen mangelnder Effizienz, sondern weil dort großzügige Steuervorteile und Subventionen lockten. Ein klarer Beleg dafür, dass nicht Arbeitskräftemangel oder technologische Faktoren, sondern reine Profitmaximierung die Standortentscheidungen bestimmt. Die Technologie selbst zeigt jedoch eindeutig die Richtung der industriellen Entwicklung: Vollautomatisierung statt Arbeitskräftemangel.
Diese Entwicklung ist kein Einzelfall. Ganze Industriezweige arbeiten heute fast vollautomatisch, Künstliche Intelligenz und Robotik ersetzen zunehmend menschliche Arbeit. Diese technologische Revolution verstärkt den Produktivitätseffekt zusätzlich - und macht die Forderung nach immer mehr Arbeitskräften noch fragwürdiger.
Das ausgehebelte Gesetz von Angebot und Nachfrage:
In den 1960er und 70er Jahren, bei echtem Arbeitskräftemangel:
- Liefen Unternehmen den Arbeitnehmern hinterher
- Boten ständig höhere Löhne und Sonderzahlungen
- Konkurrierten aktiv um Arbeitskräfte
Heute dagegen, trotz angeblichen "Mangels":
- Stagnieren oder sinken die Reallöhne
- Gibt es kaum Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte
- Werden Tarifverträge unterlaufen
Der Rentenmythos
Die oft beschworene "Rentenkrise" offenbart bei genauerer Betrachtung ein systematisches Versagen: Ein erheblicher Teil der Besserverdienenden ist aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgenommen und kocht sein eigenes Süppchen:
- Beamte mit ihrer Pension aus Steuermitteln
- Ärzte mit ihrem Versorgungswerk
- Zahnärzte mit eigenem Versorgungswerk
- Tierärzte mit separatem Versorgungswerk
- Apotheker mit ihrer Apothekerversorgung
- Architekten mit eigener Versorgungskammer
- Rechtsanwälte und Notare mit berufsständischer Versorgung
- Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mit eigenem Versorgungswerk
- Psychotherapeuten mit separatem Versorgungswerk
- Ingenieure in manchen Bundesländern mit eigener Versorgung
All diese Gruppen verweigern sich der Solidargemeinschaft und schaffen sich ihre privilegierten Parallelsysteme. Statt das System durch die Einbeziehung dieser überdurchschnittlich verdienenden Gruppen zu stärken, wurde mit der Einführung der Riester-Rente und anderen Privatisierungsmaßnahmen die gesetzliche Rente auch noch zusätzlich systematisch geschwächt.
Besonders gravierend ist die systematische Zweckentfremdung der Rentenkasse durch die Politik: Seit Jahren werden Rentenbeiträge für versicherungsfremde Leistungen zweckentfremdet. Die Dimension ist erschreckend: Experten schätzen die Summe der aus der Rentenkasse abgezweigten Gelder mittlerweile auf fast eine Billion Euro. Gelder, die eigentlich den Beitragszahlern zustehen würden, werden für politische Projekte missbraucht - von der Finanzierung der deutschen Einheit bis hin zu verschiedensten sozialpolitischen Maßnahmen, die eigentlich aus Steuermitteln finanziert werden müssten.
Diese politischen Entscheidungen - die Ausnahme der Besserverdienenden, die Privatisierung durch Riester und Co., sowie die massive Zweckentfremdung der Rentenbeiträge - und nicht die demografische Entwicklung allein haben das System systematisch destabilisiert.
Die ausgeblendete Realität
Während Politik und Wirtschaftsverbände unermüdlich den Fachkräftemangel beschwören und nach massiver Zuwanderung rufen, zeichnet die Realität ein völlig anderes Bild:
- 5,5 Millionen Menschen im Bürgergeld-System
- Etwa 10 Millionen osteuropäische Arbeitskräfte bereits im Land (Schätzung nach Dr. phil. Werner Rügemer, renommierter Publizist, Mitbegründer der "Aktion gegen Arbeitsunrecht" und Autor zahlreicher international beachteter Bücher zur Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik)
- 3 Millionen LKW-Fahrer allein aus Osteuropa
- Massive Präsenz ausländischer Arbeitskräfte in nahezu allen Wirtschaftssektoren:
- Hotelgewerbe und Gastronomie
- Baugewerbe und Handwerk
- Pflegesektor
- Fleischindustrie
- Logistik
- Landwirtschaft
Der angebliche Mangel entlarvt sich bei genauerer Betrachtung als Strategie zur systematischen Lohndrückung:
- In der Pflege, wo angeblich "händeringend" Fachkräfte gesucht werden, stagnieren die Löhne seit Jahren
- In der Fleischindustrie werden trotz "Personalnot" Dumpinglöhne gezahlt
- Leiharbeit und Zeitarbeit haben sich als Instrumente der Lohndrückung etabliert
- Die Agenda 2010 hat den Niedriglohnsektor massiv ausgeweitet
Das ökonomische Grundgesetz von Angebot und Nachfrage scheint außer Kraft gesetzt: Wo echter Mangel herrscht, müssten die Löhne steigen. Stattdessen erleben wir:
- Stagnierende oder sinkende Reallöhne
- Systematische Schwächung der Gewerkschaften durch internationales Lohndumping
- Aushöhlung von Tarifverträgen
- Entstehung eines riesigen Niedriglohnsektors
Die massive Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte dient dabei als Hebel, um gewerkschaftliche Verhandlungsmacht zu brechen und das Lohnniveau dauerhaft zu drücken - der "Fachkräftemangel" ist dabei nur der vorgeschobene Grund.
Die Betreuungsindustrie seit der Agenda 2010
Statt die vorhandenen Arbeitskräfte zu qualifizieren, hat sich ein gigantischer Verwaltungsapparat entwickelt:
- Zweistellige Milliardenbeträge fließen jährlich in die Verwaltung von Arbeitslosen
- 110.000 Mitarbeiter in der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern
- Hauptaufgabe: Überwachung und Kontrolle der Erwerbslosen bis in die Intimsphäre
- Sinnlose Maßnahmen statt echter Qualifizierung
- Ein sich selbst erhaltender Bürokratieapparat
Die globale ökonomische Agenda
Was sich hier zeigt, ist Teil einer größeren wirtschaftlichen Transformation:
Globalisierung ohne Grenzen:
- Die Finanzmärkte agieren bereits völlig unreguliert weltweit
- Jetzt soll auch die Arbeitskraft wie eine beliebige Ware global verfügbar sein
- Von China nach Deutschland, von Deutschland nach China - Hauptsache billig
- Der letzte "Standortvorteil" qualifizierter Arbeit soll geschleift werden
Systematische Kostenverlagerung:
- Deutsche Unternehmen investieren immer weniger in Ausbildung
- "Geiz ist geil" als Unternehmensstrategie
- Die Ausbildungskosten werden auf andere Länder abgewälzt
- Das erfolgreiche duale Ausbildungssystem wird ausgehöhlt
Die ignorierte Infrastrukturfrage
Die Forderung nach weiterer Massenzuwanderung ignoriert völlig die infrastrukturellen Herausforderungen:
- Bereits jetzt herrscht in Ballungsräumen akuter Wohnungsmangel
- Das Bildungssystem ist überlastet
- Das Gesundheitssystem arbeitet an der Belastungsgrenze
- Die Verkehrsinfrastruktur ist vielerorts am Limit
- Soziale Einrichtungen sind unterfinanziert
Die sozialen Folgen
Die Auswirkungen dieser Politik durchdringen mittlerweile alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens:
- Verschärfte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt
- Systematische Aushöhlung sozialer Standards
- Explodierende Mieten in den Ballungsräumen
- Verdrängung einkommensschwacher Mieter
- Wachsende soziale Ungleichheit
- Zunehmende gesellschaftliche Spaltung
Wie weit diese soziale Spaltung bereits fortgeschritten ist, zeigen erschreckende Äußerungen aus der Politik: FDP-Politiker Lars Lindemann etwa verkündete unverblümt, Sozialhilfe-Empfänger müssten aus der City ziehen - man könne schließlich nicht "Botschafter und Hartz-IV-Empfänger in einer Straße unterbringen". Jemand, der von Sozialhilfe lebe, könne "nicht denselben Anspruch haben wie jemand, der sein Geld selbst verdient."
In Potsdam wurde sogar offen darüber nachgedacht, alle Hartz-IV-Empfänger umzusiedeln und in leerstehenden Plattenbauten unterzubringen. Ulf Hahn, scheidender Vorsitzender des Vermieter-Arbeitskreises "Stadtspuren", bezeichnete solche Pläne zwar als "absurd", verteidigte aber angesichts des Wohnungsmangels durch Zuzug solches "Querdenken". Man stelle sich vor, solche Äußerungen würden über Asylsuchende fallen - der Aufschrei wäre zu Recht gewaltig. Gegenüber den eigenen Armen scheint diese Art der sozialen Säuberung dagegen bereits salonfähig geworden zu sein.
Fazit
Die aktuelle Migrationsdebatte verschleiert die eigentlichen wirtschaftlichen Interessen: Die systematische Schwächung der Arbeitnehmerposition durch ein künstlich geschaffenes Überangebot an Arbeitskräften. Was als demographische Notwendigkeit dargestellt wird, entpuppt sich bei genauerer Analyse als Strategie zur Kostensenkung und Profitmaximierung.
Statt weiter diesem Weg zu folgen, bräuchte es:
- Eine ehrliche Debatte über die wahren Zusammenhänge
- Stärkung der Arbeitnehmerrechte
- Investitionen in Ausbildung statt Import von Fachkräften
- Eine Politik, die soziale Standards schützt statt sie zu untergraben
Die Frage ist nicht, ob wir Migration brauchen, sondern wem die aktuelle Politik tatsächlich nutzt und welchen Preis die Gesellschaft dafür zahlt.
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