Was zum Teufel läuft hier schief?
Ich saß gestern Abend mit einem Kaffee da und bin über einen Artikel bei Esquire Deutschland gestolpert, der mich ehrlich gesagt sprachlos gemacht hat. Der Titel? „Die absurdesten Mafia-Klischees aus Hollywood-Filmen". Klingt erstmal harmlos. Bis ich angefangen habe zu lesen.
Da erzählt mir jemand allen Ernstes, dass Filme wie Goodfellas, Casino oder The Sopranos übertrieben seien. Dass die Mafia eigentlich gar nicht so brutal war. Dass Hollywood uns alle angelogen hat. Das hat mich richtig sauer gemacht. Nicht nur, weil es faktisch komplett falsch ist, sondern weil hier eine der brutalsten Verbrecherorganisationen der Geschichte verharmlost wird – und das auch noch als „Aufklärung" verkauft.
Warum mich das so aufregt
Ich schaue mir diese Filme schon länger an und hab irgendwann mal gegoogelt, wie sie entstanden sind. Was dabei rauskommt, ist ziemlich eindeutig: Die meisten basieren auf echten Geschichten.
Henry Hill war kein Schauspieler. Er war ein echter Gangster, der 25 Jahre lang für die Lucchese-Familie gearbeitet hat. Als Martin Scorsese „Goodfellas" gedreht hat, saß Hill neben ihm und hat jede einzelne Szene abgesegnet. „Das ist passiert", hat er gesagt. „Genau so." Die berüchtigte Szene mit Joe Pesci – „Wie bin ich lustig?" – das war Hills eigene Erinnerung an Tommy DeSimone.
Das steht alles in Nicholas Pileggis Buch „Wiseguy", auf dem der Film basiert. Hill hat nicht übertrieben – eher das Gegenteil.
Casino und die Vegas-Connection
„Casino" funktioniert genauso. Der Film basiert auf Frank „Lefty" Rosenthal, einem echten Casino-Manager, der für die Mafia in Vegas gearbeitet hat. Tony Spilotro – im Film „Nicky Santoro" – war wirklich ein Killer der Chicago Outfit.
Das Krasseste: Die Autobombe, die im Film fast Ace Rothstein tötet? Die ist 1982 wirklich explodiert. Unter Rosenthals Auto. Er hat nur überlebt, weil sein Cadillac eine Stahlplatte unter dem Fahrersitz hatte. Das ist alles dokumentiert.
Wenn mir jemand erzählt, Hollywood hätte übertrieben – welchen Teil? Den Mord? Die Folter? Die Bomben? Das ist alles passiert.
Donnie Brasco war echt
Auch „Donnie Brasco" ist keine Fiktion. Joseph Pistone war ein echter FBI-Agent, der sechs Jahre undercover in der Bonanno-Familie gearbeitet hat. Seine Memoiren sind die Grundlage für den Film. Sechs Jahre lang wusste dieser Mann: Wenn sie herausfinden, wer ich wirklich bin, bin ich tot.
Pistone hat später in Interviews gesagt, dass sie vieles gar nicht erzählt haben, weil es zu brutal war. Ein Mann, der sechs Jahre lang zugeschaut hat, wie Menschen gefoltert und ermordet wurden. Und jetzt soll ich glauben, dass das alles übertrieben war?
Die nackten Zahlen
Ein bisschen googeln reicht, um die Dimensionen zu verstehen. Allein in New York: über 1.000 dokumentierte Mafia-Morde zwischen 1930 und 1980. In Sizilien hat Richter Giovanni Falcone – bevor sie ihn 1992 in die Luft gejagt haben – über 5.000 Mafia-Morde seit 1963 dokumentiert. Fünftausend Menschen. Tot.
Das ist nur das, was bekannt wurde. Wie viele sind einfach verschwunden? „Lupara Bianca" nennen sie das in Italien – Menschen, die einfach weg sind. Für immer.
Was mich richtig wütend macht
Das Schlimmste an diesem Esquire-Artikel ist die Arroganz. Da sitzt jemand in seinem Büro, tippt ein paar oberflächliche Gedanken in seinen Laptop und erklärt der Welt, dass FBI-Agenten, Mafia-Aussteiger und Historiker alle gelogen haben.
Henry Hill hat gelogen? Der Mann, der ins Zeugenschutzprogramm musste, weil die Mafia ihn umbringen wollte?
Joseph Pistone hat gelogen? Der Agent, der seine Ehe fast zerstört hat, um die Bonanno-Familie zu infiltrieren?
Giovanni Falcone hat gelogen? Der Richter, der dafür mit einer Autobombe ermordet wurde?
Das ist nicht nur respektlos – das ist beleidigend gegenüber jedem Opfer.
Die brutale Wahrheit über Totò Riina
Hier eine Geschichte, die kein Hollywood-Film je zeigen würde, weil sie zu brutal ist. Totò Riina, der „Boss der Bosse" in Sizilien, hatte eine Methode, um Verräter zu beseitigen: Er hat sie in Säurefässern aufgelöst. Langsam. Bei lebendigem Leib.
Ein Kronzeuge hat ausgesagt, dass Riina einmal die elfjährige Tochter eines Konkurrenten entführen und strangulieren ließ – als „Botschaft". Das Kind wurde zwei Monate gefangen gehalten, bevor sie ermordet wurde.
Das ist die Realität der Mafia. Nicht die romantisierte Version, die uns der Esquire-Artikel verkaufen will.
Warum das gefährlich ist
Der Esquire-Artikel ist im Grunde Greenwashing für Kriminelle. Er nimmt eine der brutalsten Verbrecherorganisationen der Geschichte und macht sie zu harmlosen Geschäftsleuten, die von Hollywood missverstanden wurden.
Wenn wir anfangen, die Geschichte umzuschreiben und organisierte Kriminalität zu verharmlosen, dann vergessen wir die Opfer. Wir vergessen die Familien, die zerstört wurden. Die Geschäfte, die erpresst wurden. Die Richter, die ermordet wurden, weil sie ihren Job gemacht haben.
Das ist nicht nur falsch – das ist gefährlich.
Was Hollywood wirklich getan hat
Scorsese hat nicht übertrieben. Coppola hat nicht übertrieben. Sie haben dokumentiert. Sie haben mit Historikern, FBI-Agenten und Aussteigern gesprochen. Sie haben Archive durchforstet und Gerichtsakten gelesen.
In Wahrheit haben sie die Realität erträglicher gemacht. Sie haben die schlimmsten Geschichten weggelassen, weil das Publikum sie nicht verkraftet hätte.
Die echte Mafia war brutaler als alles, was jemals auf der Leinwand zu sehen war.
Mein Appell
Die Mafia war genau so brutal, wie Hollywood sie gezeigt hat. Vielleicht sogar brutaler. Die Filme, die wir lieben, basieren auf echten Ereignissen, echten Menschen und echten Verbrechen.
Das zu leugnen ist nicht nur ignorant – es ist eine Beleidigung für jeden, der unter dieser Brutalität gelitten hat.
Und das finde ich zum Kotzen.
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