Donnerstag, 27. August 2015

Lob der Sklaverei

Friedrich Nietzsche
Politische Demaskierung eines radikal-aristokratischen Philosophen: Domenico Losurdo hat mit seinem Zweibänder über Nietzsche eine Forschungsarbeit vorgelegt, die neue Maßstäbe setzt

Lob der Sklaverei

Das alles ist für Nietzsche-Kundige nicht neu. Neu ist gleichwohl der von Domenico Losurdo in seinem gewaltigen Rekonstruktionswerk geleistete Nachweis, daß es sich zum einen um eine allen (wie immer unterschiedlichen) Entwicklungsetappen des Nietzscheschen Denkens zugrunde liegende Matrix handelt, zum anderen aber – und das dürfte gravierender sein –, daß es Nietzsche todernst ist mit seiner normativ gerechtfertigten, zutiefst repressiven Weltschau.
Bekannt ist sein Postulat, daß die niederen Massen (letztlich der allergrößte Teil der Gesellschaft) schuften sollen, damit eine auserwählte Herrenelite ohne Arbeit und mit Muße Kultur schaffen und herrschen kann. Weniger bekannt ist hingegen, daß er dabei der Sklaverei mit dezidierter begrifflicher Verve das Wort redete; daß er zur radikalen Eugenik, bis hin zum partiellen Genozid aufrief; daß er dabei mitnichten nur kulturell argumentierte, sondern teilweise einem kruden Biologismus verfiel, und vieles mehr, das man, selbst als erprobter Nietzsche-Leser, mit einiger Bestürzung zur Kenntnis nimmt.

Die Leistung Losurdos liegt indes nicht nur im bestens dokumentierten Nachweis all seiner schockierenden Behauptungen, sondern vor allem darin, daß er stets auf den kulturell-politischen Kontext des jeweiligen Nietzscheschen Ideologems insistiert. So erweist sich etwa der frühe Nietzsche als ein deutschtümelnder Nationalchauvinist, der sich späterhin zum übernationalen Europäer läutert. Aber sein Europäertum versteht sich als ein dem Kolonialismus mit Begeisterung beipflichtender Auftrag der Weltbeherrschung – eine Ideologie, mit der er zu seiner Zeit nicht allein steht.

Er läßt zwar von seinem ursprünglichen (von Richard Wagner mitgeprägten) Antisemitismus ab, um sich zum rigorosen Anti-Antisemiten zu verwandeln – nicht aber etwa, weil er zur Erkenntnis gelangt wäre, daß man sich der Diskriminierung und Verfolgung von Rassen, Ethnien und anderer Opfergruppen der Gesellschaft zu entledigen hätte, sondern weil er die eugenische Vorstellung einer Verschmelzung des finanzstarken bürgerlichen Judentums Deutschlands mit der herrschenden Junkerkaste Preußens verfolgte, eine Vorstellung, die mit einem höchst realen, nach der Reichsgründung herrschenden praktischen Opportunismus korrespondierte.

Die armen osteuropäischen Juden waren Nietzsche (wie jeder »Pöbel« und alle »Mißratenen«) zuwider. Diese und viele andere, das gängige Nietzsche-Bild wesentlich dunkler als gewohnt einfärbende Befunde belegt Losurdos erster Band mit unerschütterlicher Stringenz, wobei nicht nur seine fundierte Quellenkenntnis und allgemeine Belesenheit zutiefst beeindrucken, sondern vor allem die Brillanz seines dialektisch-analytischen und hermeneutischen Vermögens.

Quelle

1 Kommentar:

  1. na ja, das ist auch nichts neues. solche vorwurfe hagelt es seit nietzsche sein erstes buch veröffentlicht hatte. und sicher sind das fehler im nietzsches denken.

    allerdingst, und alleine das zählt, hatte nietzsche eine idee, die es seit 2000 jahre nicht gab: die idee, wie man den menschen auf eine neue entwicklungsstufe hieven könnte.

    und diese idee wiegt alle fehler, die es im nietzsches denken ansonsten gibt, mühelos auf.

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