Donnerstag, 5. Dezember 2024

Die Geschichte wiederholt sich - nur diesmal im Gewand der "sozialen Marktwirtschaft"

 


Von der Zwangsarbeit zur Leiharbeit - Eine historische Kontinuität

Ich möchte an einige historische Eckdaten deutscher Sozialgeschichte erinnern, die beizeiten von staatlich-gesellschaftlicher Verbrechensgeschichte nicht zu trennen sind: Ab 1940/1 konnte sich jeder deutsche Betrieb beim Reichswirtschaftsverwaltungshauptamt der NSDAP 'günstige' Zwangsarbeiter aller Nationalitäten ausleihen, gegen eine Gebühr, die die SS einstrich. Zwangsarbeit im Deutschen Reichsgebiet bedeutete für die Opfer zumeist: Ausbeutung der letzten Kraftreserven unter Mißachtung humaner Mindeststandards, Inhaftierung und Lebensbedrohung - nicht selten bis zum Tod.

Heutzutage hat sich eine blühende Zeit- und Leiharbeiterbranche unter gezielter staatlicher Förderung und Bezuschussung durch die Arbeitsämter entfaltet, in der die Verwalter der billigen Arbeitskraft (das Management von Zeitarbeitsfirmen und Arbeitsämtern) profitieren, nicht aber die oft unter dem Druck der Verhältnisse zwangsweise verliehenen Arbeitskräfte, die Opfer eines neoliberalen Menschenhandels sind. Die Hartz IV-Reform hat dieses System der Zwangsarbeit perfektioniert: Wer sich weigert, auch die unwürdigste Arbeit anzunehmen, dem wird durch Sanktionen die Lebensgrundlage systematisch entzogen - der Regelbedarf wird gekürzt, bis zur völligen Existenzvernichtung. Die Parallelen zur NS-Zeit sind frappierend: Wie damals werden Unternehmen, die Langzeitarbeitslose einstellen, vom Staat großzügig subventioniert. Die Löhne werden über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren von 100% bis auf null herunter gestaffelt - finanziert aus Steuergeldern. Die Menschen werden über sogenannte 'Eingliederungsvereinbarungen' - in Wahrheit Zwangskontrakte - in diese Betriebe gepresst. Die Wahl haben sie nicht: Entweder sie nehmen die Arbeit an, oder sie werden durch radikale Sozialkürzungen in die absolute Verelendung getrieben.

Die Sprache der Ausgrenzung - Von 'Arbeitsscheuen' zu 'Hartzern

Ab 1934 begann die systematische Entrechtung ganzer Bevölkerungsgruppen: Juden, Sinti und Roma, aber auch Vagabunden, Obdachlose und als 'arbeitsscheu' gebrandmarkte Deutsche wurden zu Ausgestoßenen erklärt. Die NS-Propaganda hämmerte sprachlich geschickt das Bild vom 'Schmarotzer' und 'Parasiten' in die Köpfe der Bevölkerung. Wer zur definierten Mehrheitsgesellschaft gehörte, durfte sich aufgewertet fühlen - allein wegen seiner Zugehörigkeit zum 'richtigen' Teil der Gesellschaft. So ähnlich wurde, sozial gestuft, auch mit anderen Gruppen von 'Volksfeinden' verfahren (Christen, Homosexuelle, Sozialisten und Kommunisten, 'Asoziale' und 'Arbeitsscheue', Kranke und andere 'Lebensunwerte', Widerständige), wenn auch anders begründet.

Heutzutage sprechen Jugendliche in Deutschland von 'hartzen', damit meinen sie: abhängen, faulenzen, schmarotzen. Die Saat der Polit-Rhetoriker quer durch die Parteienlandschaft, die im WORDING das Bild vom schmarotzenden und überflüssigen H4-Parasiten zu Lasten der 'braven und guten', weil 'arbeitenden' Allgemeinheit propagiert haben, ist voll und ganz aufgegangen. Die Sprache der Verachtung kennt keine Grenzen mehr: Alleinerziehende werden als 'Sozialhilfemütter' diffamiert, denen unterstellt wird, ihr Geld lieber im Schnapsladen zu lassen als für Verhütung zu sorgen. In zynischer Menschenverachtung wird offen davon gesprochen, dieser 'Unterschicht den Hahn abzudrehen', denn - so die perfide Logik - 'nur ein ungeborenes Kind aus diesem Milieu ist ein gutes Kind'. Selbst Politiker scheuen sich nicht, öffentlich vorzuschlagen, Arbeitslose sollten in Berlin 'wenigstens Ratten fangen' - eine Entmenschlichung, die erschreckend an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte erinnert.

Der Hartzer ist der neue Ausgestoßene, der neue 'Asoziale', der neue 'Arbeitsscheue' - er übernimmt die Rolle all jener, die das NS-System als 'lebensunwert' definierte. Als 'bildungsfern' gebrandmarkt, als 'Schmarotzer' und 'Parasit' beschimpft, dient er der massenpsychologischen Aufwertung der Bürger, die (noch) Arbeit haben - und sei diese noch so bescheiden - lohnmäßig und/oder sinnhaft, nach dem Prinzip: Gottlob, ich bin kein Hartzer. Wenigstens das. Die gleiche perfide Logik der Ausgrenzung, nur in neuem Gewand: Wer nicht 'produktiv' ist, wird zum Untermenschen erklärt, dessen bloße Existenz als Belastung für die Gesellschaft dargestellt wird.

Die Bürokratie der Vernichtung - Von Görings Willkür zum Jobcenter-Terror

Die Behörden sind zu Vollstreckern dieser neuen sozialen Apartheid geworden. Münteferings zynischer Satz "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" ist zum ungeschriebenen Gesetz geworden. Wie einst die NS-Bürokratie bestimmte, wer als 'asozial', 'arbeitsscheu' oder 'gemeinschaftsfremd' galt, entscheiden heute Sachbearbeiter nach Gutdünken, wer 'faul', 'bildungsfern' oder 'arbeitsunwillig' ist - mit ähnlich existenziellen Folgen.

Die Kontrolle greift bis ins Intimste:

  • Behördenmitarbeiter durchsuchen die Schlafzimmer alleinerziehender Mütter, zählen Zahnbürsten, inspizieren Nachttische - auf der Suche nach Beweisen für einen heimlichen Partner, der eine 'Bedarfsgemeinschaft' begründen und damit Kürzungen rechtfertigen würde
  • Fotos aus sozialen Medien werden systematisch durchforstet - wer auf einem Bild neue Kleidung trägt oder in einem Café sitzt, dem wird "verschwiegenes Einkommen" unterstellt
  • Selbst im Müll der "Verdächtigen" wühlen Jobcenter-Mitarbeiter nach Kassenbons als "Beweise" für nicht angegebene Einkünfte
  • Handyverträge und Einzelverbindungsnachweise müssen offengelegt werden
  • Nachbarn werden systematisch ausgehorcht: Wer kommt wann zu Besuch? Welches Auto steht vor dem Haus?
  • Bei Krankmeldungen drohen unangekündigte "Hausbesuche"
  • Sogar Kinderbesuche bei getrennt lebenden Eltern werden überwacht
  • "Sozialdetektive" observieren Menschen tagelang, fotografieren sie heimlich, folgen ihnen - alles auf bloßen Verdacht hin

Ein anonymer Anruf genügt, und der vermeintliche 'Schmarotzer' wird wie ein Schwerverbrecher überwacht - nur weil jemand behauptet, er würde irgendwo schwarz arbeiten. Kontoauszüge müssen bis ins letzte Detail offengelegt werden, das ganze Leben wird durchleuchtet. Wer sich nicht völlig nackt macht vor der Behörde, bekommt keinen Cent.

Selbst bei einer kaputten Waschmaschine, für die man ein mickriges Darlehen braucht, wird ein ganzer Kontrollapparat in Gang gesetzt - Behördenmitarbeiter rücken an, um zu prüfen, ob das Gerät wirklich defekt ist. Die bürokratische Maschinerie der Entwürdigung läuft wie geschmiert, nur dass heute nicht mehr biologistische Rassenideologie, sondern vermeintliche charakterliche Mängel wie 'mangelnde Arbeitsmoral', 'fehlende Bildungsbereitschaft' oder 'soziale Defizite' über den Wert eines Menschen entscheiden.

Von der 'Volksgemeinschaft' zur 'Leistungsgesellschaft' - Die Tarnung bleibt, die Vernichtung geht weiter

Die perfide Ironie dabei: Während der Begriff der 'Volksgemeinschaft' heute als historisch belastet gilt und von Politikern wie Habeck sogar die bloße Existenz eines 'Volkes' geleugnet wird, feiert man ungeniert die 'Leistungsgesellschaft'. Dabei zeigt sich ein erschreckendes Muster: Die 'Volksgemeinschaft' grenzte nach vermeintlich biologischen Kriterien aus, die 'Leistungsgesellschaft' sortiert nach ökonomischer Verwertbarkeit - das Resultat bleibt das gleiche. Der Begriff hat sich geändert, die Mechanismen der Ausgrenzung und Vernichtung von Existenzen sind geblieben. So wie einst die 'Volksgemeinschaft' Menschen in 'wertvoll' und 'unwert' einteilte, kategorisiert heute die 'Leistungsgesellschaft' in 'Leistungsträger' und vermeintliche 'Versager': Die Sozialhilfemütter, die angeblich zu dumm zur Verhütung sind, die als 'bildungsfern' abgestempelten Arbeitslosen, die 'Minderleister' und 'Schmarotzer' - sie alle werden zu Ausgestoßenen einer Gesellschaft, die nur noch ökonomische Verwertbarkeit als Maßstab des Menschseins kennt.

Die neue Form der Vernichtung - Systematische Mangelernährung als Staatsprogramm

Nein, heute werden Menschen nicht mehr erschossen - die Methoden sind subtiler, aber in ihrer langfristigen Wirkung nicht weniger vernichtend: Wissenschaftliche Studien belegen, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien durch systematische Mangelernährung in ihrer körperlichen und kognitiven Entwicklung dauerhaft geschädigt werden. Die verfügbaren Mittel reichen nachweislich nicht für eine gesunde Ernährung. Die Folgen sind erschreckend: Wachstumsverzögerungen, die nicht mehr aufholbar sind, 15-fach erhöhtes Risiko für Sprachentwicklungsstörungen, nachweisbare Schädigungen der Hirnentwicklung. Es ist derselbe Mechanismus der Selektion und Vernichtung von Lebenschancen, nur anders verpackt: Wo die Nazis ihre Vernichtungspolitik mit rassistischer Ideologie rechtfertigten, wird heute die ökonomische "Leistungsfähigkeit" zum Selektionskriterium erhoben - während man die Opfer systematisch ihrer Entwicklungschancen beraubt.

Die "Leistungsgesellschaft" ist nichts anderes als ein perfides Vermarktungskonzept für die gleichen menschenverachtenden Praktiken - nur dass sie heute nicht mehr im braunen, sondern im neoliberalen Gewand daherkommen und von denselben Politikern bejubelt werden, die sich als Mahner gegen rechts inszenieren. Statt schneller physischer Vernichtung setzt man auf langsame Verelendung durch Mangelernährung, die schon im Mutterleib beginnt und sich über Generationen fortsetzt.

Die Pflicht zur Analyse - Warum wir den Faschismusvergleich nicht scheuen dürfen

Wer diese Parallelen als überzogen abtut, verkennt die grundlegende Lehre aus der Geschichte: Die Fixierung des Faschismusbegriffs auf Auschwitz sperrt all jene Entwicklungen aus unserem Denken aus, die gestern zu Auschwitz führten und morgen zu neuen Formen der systematischen Vernichtung führen können. So aberwitzig es klingen mag: Wer eine Wiederholung der Geschichte verhindern will, muss auch das scheinbar Harmlose auf seine möglichen Konsequenzen hin untersuchen.

Daher ist der Vergleich zwischen Hartz IV und faschistischen Strukturen nicht nur legitim, sondern zwingend notwendig. Wer beim Anblick systematischer Mangelernährung von Kindern, bei der gezielten Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen, bei der bürokratischen Kategorisierung in "Leistungswillige" und "Arbeitsscheue" nicht die strukturellen Parallelen zu faschistischen Selektionsmechanismen erkennt, hat nichts aus der Geschichte gelernt.

Die Analyse vermeintlicher "Bagatellen" gehört ausdrücklich zu diesem Programm der Prävention. Wir müssen aushalten, dass damit die Schrecken der Vergangenheit aus dem sicheren "Dämonisierungsabstand" in unsere Gegenwart rücken. Es gibt keinen legitimen Sicherheitsabstand zur Geschichte. Der Begriff "Faschismus" darf dabei nicht als polemische Totschlagvokabel missbraucht werden - aber wir dürfen ihn auch nicht scheuen, wenn eine sorgfältige Analyse seiner Verwendung Berechtigung gibt. Die systematische Vernichtung von Lebenschancen durch Hartz IV, die generationenübergreifende Schädigung durch Mangelernährung, die bürokratische Maschinerie der Entwürdigung - all das rechtfertigt die Verwendung des Faschismusbegriffs als Resultat einer sorgfältig-differenzierenden Analyse. Wer diese Analyse als "Stilfrage" abtut, flüchtet in Wahrheit vor der Realität.

Die Gefahr der 'primitiven Endlösungen' - Eine Gesellschaft auf dem Weg in den Abgrund

Eine Gesellschaft, die sozialpolitisch ihre seit Jahrzehnten immer dringlicher werdenden strukturellen Probleme der Massenarbeitslosigkeit und Ungleichverteilung von Arbeit, Profit und auch individueller Anerkennung/Sinnhaftigkeit nicht bewältigen kann oder will, verfällt allzuleicht primitiven 'Endlösungen': Überwachung, Ausgrenzung, Erniedrigung, Zwang, Ausbeutung und Entrechtung bis zur Existenzverweigerung. In einer Gesellschaft, die ohnehin auf dem Weg in die Entdemokratisierung durch die Einschränkung/Abschaffung bürgerlicher Grundrechte ist, was sich alltäglich in der Schule, am Arbeitsplatz und im Internet als Kontrollwahn und Überwachungswut in strengen Sozialhierarchien und Staatsobrigkeit immer stärker bemerkbar macht, fällt die Demütigung und Bestrafung derjenigen, die 'ganz unten' sind, kaum noch auf, bzw. wird als Kompensation eigener Frustration und Abstiegsängste freudig beklatscht.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen