Am 12. Januar 2025 analysierte ich in meinem Blogbeitrag "Autoritäre Gesellschaftsvorstellungen entlarvt: Analyse eines AfD-Interviews" die erschreckenden Aussagen von Björn Höcke zur "positiven Unterordnung" und zur Bundeswehr als "Schule der Nation". Ich entlarvte seine Rhetorik als das, was sie ist: ein Programm zur staatlichen Zwangserziehung mit dem Ziel, junge Menschen einem autoritären System zu unterwerfen.
Nun, fast zwei Monate später, meldet sich Höcke erneut zum Thema Wehrpflicht - und die Parallelen zu meiner damaligen Analyse sind frappierend. Fast scheint es, als hätte der AfD-Politiker meinen Beitrag gelesen und versucht nun, seine autoritären Vorstellungen rhetorisch zu verschleiern.
Die neue Maske: Scheinbare Kritik als Tarnung
In seinem aktuellen Beitrag auf X vom 7. März 2025 gibt Höcke vor, der aktuellen Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht kritisch gegenüberzustehen. Er fragt rhetorisch: "Wofür genau sollen junge Deutsche im Ernstfall ihr Leben geben?" und erklärt als "Vater und deutscher Patriot" ein scheinbar entschiedenes "NEIN!".
Besonders entlarvend ist das begleitende Kampagnenbild, das Höcke im militärisch anmutenden Outfit zeigt. Die Bildsprache mit dem provokanten Slogan "Kanonenfutter für Landesverräter?" kombiniert mit seinem Zitat "Bevor wir über die Wehrpflicht reden, muß sich noch viel ändern!" ist ein Musterbeispiel für seine rhetorische Doppelstrategie:
- Er inszeniert sich visuell als militärnahe, entschlossene Führungspersönlichkeit
- Er nutzt den Begriff "Kanonenfutter", um sich scheinbar als Beschützer der Jugend zu positionieren
- Das "Fragezeichen" und der Nachsatz machen deutlich: Unter anderen (seinen) Bedingungen wäre die Wehrpflicht durchaus akzeptabel
Doch diese vermeintliche Ablehnung ist nichts als ein rhetorisches Täuschungsmanöver. Denn im selben Atemzug bestätigt er das "grundsätzliche" Bekenntnis der AfD zur Wehrpflicht und knüpft seine Kritik ausschließlich an die aktuellen politischen Verhältnisse, die nicht seinen nationalistischen Vorstellungen entsprechen.
Die entlarvende Parallele
In meinem Januarbeitrag hatte ich bereits Höckes "perfide Doppelstrategie" offengelegt:
"Als scheinbar fürsorglicher Mahner präsentiert er sich als besorgter Vater ("ich bin selbst Vater von zwei Kindern"), gibt vor, junge Menschen durch "positive Unterordnung" fördern zu wollen und behauptet, die Wehrpflicht würde "niemandem schaden"."
Exakt diese Strategie wendet er nun erneut an, wenn er sich als besorgter Vater inszeniert, der seine "wenigen Kinder" nicht "hergeben" will - nur um im nächsten Absatz die Wehrpflicht grundsätzlich zu bejahen, sobald sie seinen autoritären Vorstellungen entspricht.
Die wahre Agenda bleibt unverändert
Besonders aufschlussreich ist Höckes Forderung nach "Regeneration soldatischer Tugenden und Traditionspflege" als Voraussetzung für eine "schlagfertige Truppe". Hier zeigt sich unverändert das autoritäre Weltbild, das ich bereits im Januar analysiert hatte:
"Junge Menschen werden als defizitär und formungsbedürftig diffamiert, die freie Persönlichkeitsentwicklung soll durch staatliche Zwangsmaßnahmen ersetzt werden, das Militär soll als Instrument zur gesellschaftlichen Gleichschaltung dienen."
Seine Kritik an der aktuellen Bundeswehr und seine Forderung nach "Regeneration soldatischer Tugenden und Traditionspflege" unterstreicht nur, dass es ihm nicht um eine moderne, demokratische Armee geht, sondern um ein Instrument zur Durchsetzung seiner autoritären Gesellschaftsvorstellungen. Der Fokus auf vermeintlich traditionelle militärische Werte statt auf moderne Verteidigungs- und Sicherheitskonzepte zeigt seine rückwärtsgewandte Ideologie.
Die Relativierungsstrategie
Besonders perfide ist Höckes Relativierungsstrategie. Er schreibt: "Nein, bevor wir über die Wehrpflicht reden können, muß sich noch viel ändern!" und knüpft die Wehrpflicht an Bedingungen wie "Deutschland souverän werden muß und über Spitzenpolitiker verfügt, die Diener unseres Landes sind und nicht fremden Interessen folgen."
Diese Formulierung suggeriert: Unter den richtigen (sprich: AfD-geführten) Bedingungen wäre die Wehrpflicht durchaus wünschenswert. Eine klare Ablehnung des Konzepts der Zwangsrekrutierung junger Menschen sucht man vergebens.
Die wissenschaftlichen Fakten werden weiterhin ignoriert
In meinem Januarbeitrag verwies ich auf die wissenschaftliche Realität hinter der "positiven Unterordnung":
"Während Höcke und andere von 'positiver Unterordnung' und 'Charakterbildung' sprechen, zeigt die Forschung ein völlig anderes Bild: Erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen, besondere Vulnerabilität in der Adoleszenz für traumatische Erfahrungen, Unterbrechung von Bildungswegen mit langfristigen negativen Folgen..."
Auch in seinem aktuellen Beitrag ignoriert Höcke diese wissenschaftlichen Erkenntnisse vollständig und verharrt in seinem ideologischen Konstrukt einer angeblich charakterbildenden Wirkung militärischer Strukturen.
Die demokratische Alternative
Die Antwort auf die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen kann nicht in der Rückkehr zu überholten Zwangsmodellen liegen. Eine moderne Demokratie setzt auf:
- Eine professionelle Freiwilligenarmee mit hochqualifizierten Soldatinnen und Soldaten
- Die Stärkung des freiwilligen Engagements in Strukturen wie Feuerwehr und THW
- Die Förderung demokratischer Werte und kritischen Denkens statt blinden Gehorsams
- Die Anerkennung individueller Freiheit und Selbstbestimmung als höchste Güter
Fazit
Höckes aktueller Beitrag bestätigt auf erschreckende Weise die Analyse, die ich bereits im Januar vorgelegt habe. Hinter der scheinbar moderateren Rhetorik verbirgt sich unverändert ein autoritäres Gesellschaftsbild, das junge Menschen einem militärischen Zwangssystem unterwerfen will.
Die Gefahr liegt nicht nur bei der AfD - auch andere Parteien liebäugeln mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Doch Höckes unverhohlene Verknüpfung mit "Traditionspflege" und "soldatischen Tugenden" macht besonders deutlich, wohin die Reise gehen soll: nicht zu einer modernen, demokratischen Verteidigungsarmee, sondern zurück zu autoritären Strukturen, die junge Menschen als formungsbedürftiges Material betrachten.
Wir müssen uns zudem der langfristigen Gefahr bewusst sein: Ist die Wehrpflicht erst einmal eingeführt, wird sie nicht leicht wieder abzuschaffen sein. Politische und militärische Strukturen verfestigen sich, schaffen Eigeninteressen und werden nahezu irreversibel. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass militärische Institutionen, einmal etabliert, ihre Macht selten freiwillig abgeben.
Besonders alarmierend ist dabei die militärstrategische Dimension: In Konfliktfällen werden es gerade die Wehrpflichtigen – oft aus sozial schwächeren Schichten, Arbeitslose und jene, die sich nicht "freikaufen" können – sein, die als erste an die Front geschickt werden. Die zynische Logik dahinter: Sie dienen als "Kanonenfutter", um den Gegner zu schwächen, bevor die besser ausgebildeten Berufssoldaten nachrücken. Eine moderne Demokratie darf Menschen nicht nach sozialen Kriterien für den Kriegsdienst selektieren.
Landesverteidigung ist ohne Zweifel wichtig, aber sie muss auf freiwilliger Basis erfolgen. Eine professionelle Berufsarmee, ergänzt durch freiwillige Strukturen wie Feuerwehr und THW, bietet einen wesentlich humaneren und effektiveren Weg, die Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den negativen Auswirkungen militärischer Zwangsdienste sind eindeutig. Eine demokratische Gesellschaft muss sowohl der offenen autoritären Rhetorik als auch den wissenschaftlich widerlegten Mythen von der positiven Wirkung militärischer Zwangsdienste entschieden entgegentreten. Die Freiheit und gesunde Entwicklung junger Menschen darf nicht militaristischen Fantasien geopfert werden.
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