Man reibt sich die Augen: Quer durch die Parteienlandschaft, von SPD bis CDU,CSU und AfD, tönt der Ruf nach einer „Arbeitspflicht" für Bürgergeldempfänger. Da fragt man sich unweigerlich: Sind die da oben noch ganz dicht in der Birne? In einer Welt, in der Automatisierung, Roboter, KI und globalisierte Arbeitsmärkte mit Millionen von Arbeitskräften aus der EU-Erweiterung und Migration die Idee traditioneller Vollbeschäftigung längst ad absurdum führen, während wir uns gleichzeitig Millionen Arbeitslose leisten – in diesem Kontext wird allen Ernstes über Zwangsarbeit nachgedacht?
Die Galeere: Entwürdigung und Kontrolle statt Arbeit
Was das in der Praxis bedeutet, offenbart ein Blick auf ein Instrument, das schon lange existiert und dessen verheerende Wirkung bereits 2012 in einem IAB-Forschungsbericht (15/2012) detailliert dokumentiert wurde: der Ein-Euro-Job. Dieses System ist keine Brücke, es ist eine moderne Sklavengaleere, die Menschen entrechtet und ehrliche Arbeit vernichtet.
Die Studie zeigt ungeschminkt, wie Ein-Euro-Jobs oft funktionieren: Menschen werden in „sinnfreie" Tätigkeiten gezwungen, die teils Züge einer „Straf-ABM" tragen. „Den Wald fegen" ist hier keine Metapher, sondern beschreibt die Perversion eines Systems, dessen Zweck oft nur Kontrolle, Abschreckung und – man höre und staune – das angebliche Verhindern von Schwarzarbeit sein soll.
Schwarzarbeit verhindern? Bei den Ärmsten der Armen, die oft kaum die Mittel für irgendetwas haben? Da muss man sich doch fragen, ob die Verantwortlichen noch alle Tassen im Schrank haben! Ist es nicht vielmehr der „Häuslebauer", der Kollege in Lohn und Brot, der abends oder am Wochenende schwarz dazuverdienen muss, weil der reguläre Lohn trotz Vollzeit nicht zum Leben reicht? Sollen die jetzt auch mit dem Fegen von Wäldern „kontrolliert" werden?
Stattdessen werden die Erwerbslosen, die ohnehin schon am Boden liegen, als Sündenböcke missbraucht und zu Problemfällen degradiert („Dumping-the-poor"), ihrer Rechte beraubt und für „dirty jobs" herangezogen. Von Qualifizierung oder gar einem Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt kann oft keine Rede sein – es ist eine reine Verwahrung unter entwürdigenden Bedingungen.
Profiteure auf Kosten der Entrechteten
Die Schattenseiten deutscher Beschäftigungspolitik bedürfen einer kritischen Betrachtung. Arbeitssuchende, insbesondere Langzeitarbeitslose, werden systematisch in prekäre Beschäftigungsverhältnisse vermittelt. Das Mindestlohngesetz erlaubt es Arbeitgebern, Langzeitarbeitslosen in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung einen Lohn zu zahlen, der vom gesetzlichen Mindestlohn ausgenommen ist – in der Praxis oft bis zu 30 Prozent unter dem Mindestlohnniveau von 12,82 Euro (Stand 2025).
Besonders problematisch ist der staatlich geförderte Subventionsmechanismus: Konkret sieht der Lohnkostenzuschuss nach §16i SGB II für Langzeitbezieher vor, dass Jobcenter in den ersten beiden Jahren 100% der Lohnkosten übernehmen. Danach wird die Förderung schrittweise reduziert – auf 90% im dritten Jahr, 80% im vierten und 70% im fünften Jahr. Nach diesem Zeitraum entfällt die Förderung vollständig. Für nicht-tarifgebundene Arbeitgeber wird dabei lediglich der Mindestlohn als Berechnungsgrundlage herangezogen.
Was passiert, wenn die Förderung ausläuft? In der Praxis folgt häufig die Entlassung der Beschäftigten, woraufhin der Zyklus mit neuen, vom Jobcenter vermittelten und wieder zu 100% geförderten Arbeitskräften von vorne beginnt. Dieses System schafft einen perversen Anreiz: Je kürzer die Beschäftigung, desto höher die staatliche Förderung – eine direkte Einladung zum Missbrauch.
Während die einen schikaniert werden, machen sich andere die Taschen voll. Die IAB-Studie belegt eindeutig, wie Träger dieses System als lukratives „Geschäftsfeld" nutzen. Mit den staatlichen Pauschalen werden Gewinne erwirtschaftet, andere Projekte querfinanziert oder das eigene Stammpersonal bezahlt.
So wird auf verschiedenen Ebenen an Langzeitarbeitslosen "gespart" oder mit ihrer Not Profit gemacht – sei es durch die Pauschalen für Träger von Ein-Euro-Jobs oder durch legalisierten Lohndruck beim Einstieg in reguläre Arbeit. Und die Politik schaut nicht nur zu, sondern hat diese Rahmenbedingungen geschaffen und diskutiert nun sogar noch über eine Verschärfung durch eine allgemeine Arbeitspflicht.
Dieser "Drehtüreffekt" offenbart ein fundamentales Systemversagen, bei dem staatliche Mittel letztlich zur Gewinnoptimierung privater Unternehmen statt zur nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsmarktsituation genutzt werden.
Die Vernichtung regulärer Arbeit
Der größte Skandal ist vielleicht, dass diese Zwangsarbeit zu Niedrigstbedingungen aktiv reguläre Arbeitsplätze vernichtet. Die Studie belegt klar Verdrängungseffekte: Kommunen und Träger lassen Aufgaben durch Ein-Euro-Jobber erledigen, für die sonst Handwerker oder Dienstleister bezahlt werden müssten. Lokale Betriebe gehen leer aus.
Ganze Berufsfelder werden ausgehöhlt und entwertet („Deprofessionalisierung", „Entberuflichung"), weil un- oder quasi unbezahlte Kräfte Facharbeit ersetzen. Eine Arbeitspflicht nach diesem Muster wäre nichts anderes als ein staatlich organisierter Angriff auf den ersten Arbeitsmarkt und existenzsichernde Löhne.
Schluss mit dem Wahnsinn – Oder DDR 2.0?
Die Ein-Euro-Jobs sind gescheitert. Sie integrieren nicht, sie entwürdigen, sie zerstören Arbeit und sie schaffen ein System der Ausbeutung. Vor dem Hintergrund einer sich radikal wandelnden Arbeitswelt ist die Idee einer allgemeinen „Arbeitspflicht", die vermutlich auf ähnliche Mechanismen hinausliefe, purer gesellschaftspolitischer Wahnsinn.
Wenn man die Menschen schon partout zur Arbeit zwingen will, obwohl es in unserer automatisierten, digitalisierten, globalisierten Wirtschaft für Millionen keine reguläre, fair bezahlte Arbeit mehr gibt oder geben wird – dann sollte man wenigstens ehrlich sein und eine DDR 2.0 einführen. Dort hatten die Menschen trotz Arbeitspflicht wenigstens noch ihre Bürgerrechte, Urlaubsanspruch, Sozialversicherung und wurden auf Augenhöhe eingestellt. Das wäre immer noch menschlicher und ehrlicher als die heutige Sklavengaleere, die man uns als „Förderung" verkauft und die jetzt zur Blaupause für alle werden soll.
Eine grundlegende Neuausrichtung ist dringend erforderlich – hin zu einer Arbeitsmarktpolitik, die existenzsichernde Löhne und nachhaltige Beschäftigungsverhältnisse in den Mittelpunkt stellt, anstatt kurzfristige Vermittlungserfolge auf Kosten der Betroffenen zu priorisieren und Profiteure auf Kosten der Allgemeinheit zu begünstigen.
Es ist ein System, das Profit aus der Not anderer schlägt. Wenn schon Zwang, dann zumindest mit Würde und echten Perspektiven – statt eines Teufelskreises von Entwürdigung und Ausbeutung, bei dem nur die Träger und Unternehmen gewinnen.
Quellen:
IAB Forschungsbericht: Aktuelle Ergebnisse aus der Projektarbeit des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 15/2012
https://drive.google.com/file/d/0B2NZzekYbAjBdUpCcFBpd0x0UUk/view?usp=sharing&resourcekey=0-v3Mu84WYDToRJ9DPn8r2Ng
Gilt der Mindestlohn auch für Langzeitarbeitslose?
https://www.arbeitsrechte.de/mindestlohn-langzeitarbeitslose/
Lohnkostenzuschuss für Langzeitbezieher nach §16i SGB II
https://www.jobcenter-ulm.de/arbeitgeber/zuschuesse/lohnkostenzuschuss-fuer-langzeitbezieher
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