Es ist der größte Steuerraub der deutschen Geschichte: Seit über 50 Jahren fließen jährlich Milliarden aus der Staatskasse - nahezu ungehindert und mit System. Ein "explizit so designed" System von vorgetäuschten, inszenierten Aktiengeschäften, bei dem es nie um echten Handel ging, sondern ausschließlich darum, sich Steuern mehrfach erstatten zu lassen, die nur einmal gezahlt wurden. Die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker, die über 10 Jahre die Cum-Ex-Ermittlungen leitete, beziffert den Schaden durch diese Form des Steuerraubs auf mindestens 40 Milliarden Euro. Ein Skandal, der exemplarisch für ein viel größeres Problem steht: Bereits 2013 erklärte der damalige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans in der Brüsseler NRW-Landesvertretung: "Jedes Jahr verlieren die Staaten der EU nach EU-Schätzungen rund eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Auf Deutschland bezogen sind das mehr als 160 Milliarden Euro." Dabei warnte er: "Es ist zu befürchten, dass dem Gemeinwesen durch internationale Konzerne, die gezielt Schlupflöcher in der Gesetzgebung ausnutzen, noch mehr Geld verloren geht als durch gesetzwidrige Steuerhinterziehung."
Während diese gigantische Umverteilung von unten nach oben läuft, richtet sich der staatliche Verfolgungseifer in die entgegengesetzte Richtung: Die Bundesagentur für Arbeit - mit 110.000 Mitarbeitern die größte Behörde Europas - macht akribisch Jagd auf 16.000 "Totalverweigerer" im Bürgergeld-System.
Die systematische Unverhältnismäßigkeit
Während Banker und Steuerräuber mit Samthandschuhen angefasst werden, ergießt sich über Bürgergeld-Empfänger eine Flut von Hass und Hetze aus den Reihen der Politik. Die Rhetorik ist dabei von erschreckender Menschenverachtung:
"Schmarotzer", "Parasiten" und "bildungsferne Unterschicht" - das sind noch die harmloseren Bezeichnungen. Politiker suggerierten allen Ernstes, Bürgergeld-Empfänger könnten doch "ihre Organe verkaufen" oder in Berlin "Ratten jagen", um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Man müsse "dieser Unterschicht den Hahn zudrehen", denn "nur ein ungeborenes Kind aus diesem Milieu schlägt einem schon keinen Baseballschläger über den Kopf."
Die Entmenschlichung geht weiter: Mit der Forderung nach "Gutscheinen statt Bargeld" - denn die Empfänger würden ihr Geld ja "nur für Rauchen und Saufen" ausgeben. Der Begriff "Sozialhilfemütter" wurde gezielt eingeführt, verbunden mit der Unterstellung, diese seien "nicht mal in der Lage, selbstbestimmte Verhütung zu betreiben", da sie "ihr Geld lieber in den nächsten Schnapsladen tragen".
Diese Originalzitate von Politikern offenbaren die perverse Doppelmoral des Systems: Während man die Täter im Milliardenraub als "ehrenhafte Geschäftsleute" behandelt, werden die Ärmsten der Gesellschaft systematisch entmenscht und dämonisiert.
Die Hetze bleibt nicht bei Worten: Die Verfolgung von Erwerbslosen geht bis in die intimsten Lebensbereiche. Wohnungen werden durchsucht, private Detektive eingeschaltet, Schlafzimmer kontrolliert, Kontoauszüge geprüft, Nachbarn befragt. Behördenmitarbeiter spielen sich als Privatdetektive auf, überwachen eigenständig vermeintlich Verdächtige und dringen tief in die Privatsphäre der Menschen ein. Diese entwürdigende Totalüberwachung wird als "notwendige Kontrolle" verkauft - während man bei Milliarden-Steuerräubern systematisch wegschaut.
Besonders absurd: Während für die Überwachung von Bürgergeld-Empfängern modernste Technik zum Einsatz kommt, herrscht bei der Verfolgung der Steuerkriminalität technische Steinzeit. Die Botschaft ist eindeutig: Für die Kontrolle der Armen ist kein Aufwand zu groß, keine Technik zu teuer, keine Überwachung zu intensiv.
Die erschreckende Realität der "Tax Trades"
Was die wenigsten Menschen wissen: Die systematische Ausplünderung der Staatskasse durch sogenannte "Tax Trades" - wie es im Branchenjargon heißt - läuft bereits seit 1970. "Das bedeutet", erklärt Brorhilker, "dass es hier nicht um klassischen Handel geht, sondern um rein steuerliche Effekte. Das ist sozusagen vorgetäuschter, inszenierter Handel." Sie betont dabei: "Es sind kreisgeschäfte die vorher mit allen teilen abgestimmt sind - das ist ja auch schon was anderes als wir uns alle unter Handel vorstellen. Normalerweise spricht man sich ja vorher nicht ab."
Diese Betrugssysteme wie Cum-Ex wurden, wie Brorhilker aufdeckte, "explizit so designed" - also bewusst konstruiert. Dabei war es von Anfang an illegal - es war nie ein echtes "Steuerschlupfloch", wie oft behauptet wird. Jahrzehntelang wurde dieses kriminelle System geduldet, wurden Warnungen ignoriert, wurde die offensichtliche Straftat nicht verfolgt.
Die historische Entwicklung der Steuerkriminalität:
1970er Jahre: Die Anfänge der Tax Trades
Erste systematische Steuerumgehungsmodelle
Geschätzter jährlicher Schaden: etwa 20 Milliarden Euro
Beginn der "Dividend Holidays", wie Insider die kurzzeitigen Aktienverschiebungen nennen
1980er Jahre: Zunehmende Professionalisierung
Entwicklung komplexerer Modelle
Geschätzter jährlicher Schaden: etwa 40 Milliarden Euro
Ausweitung auf internationale Märkte
1990er Jahre: Systematische Ausweitung
Geschätzter jährlicher Schaden: etwa 80 Milliarden Euro
Etablierung ausgefeilter Bankenstrukturen
Zunehmende Internationalisierung
2000er Jahre bis heute: Industrialisierung der Steuerkriminalität
Aktueller jährlicher Schaden: 160 Milliarden Euro
Davon allein 40 Milliarden Euro durch Cum-Ex
Hochprofessionalisierte "Steuervermeidungsindustrie"
Der Gesamtschaden dieser systematischen Plünderung über die Jahrzehnte beläuft sich auf mehr als 5 Billionen Euro.
Die absurde Ermittlungsrealität
Brorhilker schildert die grotesken Zustände bei der Verfolgung der Milliarden-Steuerräuber aus erster Hand. Bereits ihr erster Fall 2013 hatte ein Volumen von 460 Millionen Euro - aber während der Schaden in Deutschland entstand, waren sämtliche Akteure und Unterlagen über den ganzen Globus verteilt. Eine Durchsuchungsaktion in 14 Ländern musste koordiniert werden.
Als sie 280 Durchsuchungsbeschlüsse vorbereiten musste - jeder etwa 25 Seiten lang plus englische Übersetzung - drohte die Aktion am Drucker zu scheitern. "Als normale Staatsanwältin hatte ich bloß so ein kleines Druckerchen auf dem Tisch stehen", berichtet sie. Sie musste beim Landeskriminalamt betteln, deren Profi-Drucker nutzen zu dürfen. "Dann habe ich da wochenlang gestanden in deren Kopierraum, hab da gedruckt und getackert und weggeheftet."
Die internationale Koordination erwies sich als enorm schwierig. Über die Plattform Eurojust in Den Haag konnte zwar schneller Kontakt zu den Ländern hergestellt werden, aber Brorhilker musste zusätzlich mit LKA-Beamten quer durch Europa reisen - mit dem Auto, weil die Kollegen Flugangst hatten. Am Tag der Durchsuchungen wurde eine riesige Einsatzzentrale eingerichtet, um die Aktionen in allen 14 Ländern zu koordinieren.
Die flankierende Telefonüberwachung offenbarte dabei die aggressive Gegenwehr: "Man konnte live und in Farbe wahre Schimpftiraden hören und auch viele Drohungen", berichtet Brorhilker. Teilweise waren die Beleidigungen so massiv, dass in den Protokollen nur vermerkt wurde "Frau Brorhilker wird beleidigt" - die konkreten Ausdrücke wollte man den Lesern ersparen.
Noch erschreckender: Erst 2021/22, also nach über acht Jahren Ermittlungen, gab es überhaupt genug Personal für größere Durchsuchungen bei Banken. "Wir haben dann 2021/22 fast jeden Monat eine Bank durchsucht", berichtet Brorhilker, "mit Personalaufwand von über 100 Leuten oft."
Ein völliges Chaos herrscht beim Datenschutz, das selbst einfachste Kommunikation unmöglich macht: "In Deutschland hat jede Behörde einen eigenen Datenschutzbeauftragten, die treffen völlig unabhängig voneinander völlig unterschiedliche Entscheidungen." Die Folge: "Einer darf nur verschlüsselte E-Mails schreiben, der nächste darf auf gar keinen Fall verschlüsselte E-Mails schreiben, einer darf nur Skype nutzen für Videokonferenzen, einem anderen ist Skype verboten."
Die Psychologie der Täter
Die Steuerräuber, so Brorhilker, sind "sozial total integriert, auffällig unauffällig". Sie haben meist keine Vorstrafen, eine gute Ausbildung und zählen keineswegs zu den benachteiligten Schichten - daher der Begriff "White Collar Crime". Geständnisse sind selten, stattdessen geben die Täter anderen - meist dem Staat - die Schuld. Sie stufen sich nicht als Kriminelle ein, zeigen wenig Einsicht und reagieren oft hochemotional, wenn sie mit ihren Taten konfrontiert werden.
Charakteristisch ist auch ihr aggressives Vorgehen gegen die Ermittler: Mit ihren enormen finanziellen Ressourcen engagieren sie ganze Heerscharen teurer Anwälte. Diese betreiben, was im Fachjargon "Konfliktverteidigung" heißt - eine besonders destruktive und persönliche Form der Gegenwehr. Systematisch werden Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Ermittler erhoben, Staatsanwälte und sogar ganze Behörden werden verklagt. "Das muss man erdulden als Staatsanwältin, wenn man Wirtschaftskriminalität macht", erklärt Brorhilker. Dieser massive Druck auf Staatsanwälte, Richter und Behörden ist dabei keine spontane Reaktion, sondern Teil einer kalkulierten Strategie der Einschüchterung.
Es ist ein Prozess der "Rationalisierung des eigenen kriminellen Verhaltens": Der Täter braucht eine innere Rechtfertigung für seine Taten, um seine psychische Stabilität zu wahren und Schuldgefühle abzupuffern. "Man redet sich das schön", erklärt Brorhilker, weil man ein ausgeprägtes Selbstbild als "verdienter Bürger der Gesellschaft" hat. Da passt das Bild des Kriminellen nicht - also müssen die Faktoren im Außen liegen.
Die Macht der Finanzlobby
Besonders pikant: Während verschiedene Finanzminister kamen und gingen, blieb das System unangetastet. Erst als der öffentliche Druck zu groß wurde, begann man von "Steuerbetrug" zu sprechen - bei genau den gleichen Praktiken, die man jahrzehntelang hatte laufen lassen.
Brorhilker deckt auf: Die Finanzlobby steht an der absoluten Spitze der Interessenvertretung im politischen Berlin - noch vor der Auto-, Chemie- und sogar der Energielobby. Mit den meisten Vertretern und den höchsten Budgets dominiert sie die politische Einflussnahme. Diese Lobbyisten sind es, die seit Jahrzehnten jede echte Reform, jede effektive Kontrolle, jede angemessene Strafverfolgung im Keim ersticken.
Die perfide Täuschung der Bürger
Und als wäre dieser systematische Raubzug nicht genug, verkauft uns die Politik auch noch die Vernichtung von Beweismitteln als "Bürokratieerleichterung". Während man uns Bilder von Privatpersonen mit Schuhkartons voller Quittungen vorgaukelt, die "entlastet" werden sollen, geht es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes:
Die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen für Geschäftsunterlagen bedeutet nämlich in der Praxis:
Große Unternehmen können ihre digitalen Daten früher löschen
Beweise für Steuerbetrug verschwinden unwiederbringlich
Ermittlungsbehörden stehen vor leeren Festplatten
Strafverfolgung wird praktisch unmöglich gemacht
Das ist die wahre "Bürokratieerleichterung": Nicht die Entlastung des kleinen Bürgers von Papierkram, sondern der staatlich legitimierte Datenshredder für Steuerräuber. Für große Unternehmen, die ihre Unterlagen ohnehin digital vorhalten, bedeutet die frühere Löschung keinen Aufwand - aber massive Vorteile bei der Verschleierung illegaler Praktiken.
Die absurde Kosten-Nutzen-Rechnung
Der so oft angeprangerte Sozialbetrug verursacht jährliche Schäden von etwa 113 Millionen Euro - das sind gerade mal 1,35 € pro Kopf und Jahr für jeden Bürger in Deutschland. Nicht einmal der Preis einer Briefmarke!
Zum Vergleich: Die systematische Steuerhinterziehung kostet jeden Bürger jährlich 1.904 € (bei 160 Milliarden Gesamtschaden), davon allein 476 € durch Cum-Ex (40 Milliarden). Anders ausgedrückt: Der Schaden durch Steuerkriminalität ist pro Bürger 1.410 Mal höher als der durch Sozialbetrug.
Für den minimalen Betrag von 1,35 € pro Bürger wird ein gigantischer Verfolgungsapparat in Gang gesetzt:
110.000 Mitarbeiter in der Bundesagentur für Arbeit
Eine spezielle "Task Force Sozialleistungsbetrug"
Ein "weitreichendes nationales und internationales Netzwerk" zur Verfolgung
Zusammenarbeit mit Finanzpolizei, Landespolizeidirektionen und internationalen Behörden
Regelmäßige Schwerpunktaktionen und Kontrollen
Mehr als 50 verschiedene "Begehungsformen" werden akribisch katalogisiert
Die Personalkosten allein betragen 7,3 Milliarden € pro Jahr - um 113 Millionen € Schaden aufzudecken. Das bedeutet: Für jeden Euro, den man bei Sozialbetrug zurückholt, gibt man über 64 € aus! Mit den zusätzlichen Kosten dürfte das Verhältnis eher bei 1:100 oder noch schlechter liegen.
Auf der anderen Seite: Eine chronisch unterbesetzte Staatsanwaltschaft, die nicht einmal genug Drucker hat, soll Milliarden-Steuerraub aufklären. Würde man nur einen Bruchteil des Geldes, das in die Verfolgung von Sozialbetrug fließt, in die Verfolgung von Steuerkriminalität investieren, könnte der Staat jährlich Milliarden zurückholen.
Das Fazit
"Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen" - dieser Satz von Anne Brorhilker bringt es auf den Punkt. Wir haben es hier nicht mit einzelnen Verfehlungen zu tun, sondern mit einem System, das große Wirtschaftskriminalität systematisch ermöglicht und kleinere Vergehen unverhältnismäßig hart bestraft.
Brorhilker zog daraus ihre Konsequenzen und wechselte zur NGO Finanzwende, um die strukturellen Probleme anzugehen. Denn eines ist klar: Solange wir nicht die grundlegenden Strukturen ändern, wird sich auch am größten Steuerraub der deutschen Geschichte nichts ändern - und er kostet uns alle täglich Milliarden.
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