"Argentiniens Länderrisiko sinkt auf den niedrigsten Stand seit 2018!" jubeln die Wirtschaftsmedien. "Die Börse erreicht neue Rekordstände!" "Anleger feiern Milliarden-Kredit!" Die Schlagzeilen überschlagen sich vor Begeisterung. JP Morgan, die US-Großbank, hat gesprochen: Das Länderrisiko fiel um 6,39% auf 571 Basispunkte. Die S&P Merval-Börse in Buenos Aires klettert auf Rekordhöhen. Argentinische Aktien an der Wall Street legen um bis zu 6% zu.
Quelle: https://rtbrasil.com/noticias/8650-risco-pais-argentina-cai-menor/
Champagnerkorken knallen in den Banktürmen von Buenos Aires. Die Börsenindizes klettern, das Länderrisiko sinkt, und internationale Investoren reiben sich die Hände. Die großen Ratingagenturen nicken wohlwollend. Argentinien ist wieder da! Zumindest an den Finanzmärkten.
Doch wer sind eigentlich diese selbsternannten Schiedsrichter der globalen Wirtschaft? Standard & Poor's, Moody's und Fitch - drei private Unternehmen, die wie moderne Kaiser mit Daumen hoch oder Daumen runter über das Schicksal ganzer Volkswirtschaften entscheiden. Bezahlt werden sie ausgerechnet von jenen, die sie bewerten sollen. Ein System, das an mittelalterlichen Ablasshandel erinnert. Ein Kredit über eine Milliarde Dollar von internationalen Banken lässt die Herzen der Anleger höher schlagen. Der Aktienmarkt feiert, die Kurse steigen, und die Wall Street nickt anerkennend. Besonders begeistert ist man von Präsident Milei, der mit seiner "Kettensäge" genau das tut, was das Finanzkapital will: Radikale Kürzungen im Gesundheitswesen, bei Sozialleistungen, bei Renten - ein regelrechtes Massaker am Sozialstaat.
Doch während in den klimatisierten Büroetagen die Grafiken nach oben zeigen, sieht die Realität auf den Straßen von Buenos Aires anders aus. Die "Kettensägen-Politik" von Milei trifft die Ärmsten mit voller Wucht: Krankenhäuser müssen schließen, Medikamente werden unbezahlbar, Rentner können von ihren gekürzten Bezügen kaum überleben. Über 40% der Bevölkerung leben bereits in Armut, und es werden täglich mehr. Grundnahrungsmittel werden für viele Menschen zum Luxusgut. Die galoppierende Inflation frisst die letzten Ersparnisse der kleinen Leute auf, während gleichzeitig lebensnotwendige Sozialleistungen zusammengestrichen werden. Mit Blut, Schweiß und Tränen bezahlt die Bevölkerung für die Profite einer kleinen Elite. Aber keine Sorge, sagen die Verfechter des "Trickle-Down-Effekts", der Wohlstand wird schon nach unten durchsickern.
Ein Märchen, das wir nur zu gut kennen. Auch in Deutschland wurde uns jahrzehntelang erzählt, dass Steuererleichterungen für Unternehmen und Reiche am Ende allen zugutekommen würden. Die Unternehmenssteuer wurde von 56% auf 30% gesenkt, die Vermögenssteuer ausgesetzt, der Spitzensteuersatz gekappt. Das Ergebnis? Eine beispiellose Umverteilung von unten nach oben.
Die Zahlen sprechen Bände: Während es 1990 in Deutschland etwa 350.000 Millionäre gab, sind es heute über 1,6 Millionen. Die Zahl der Milliardäre verzehnfachte sich von etwa 20 auf über 200. Die reichsten 10% der Deutschen besitzen mittlerweile 67% des Gesamtvermögens, während sich die ärmere Hälfte der Bevölkerung mit mageren 1,3% begnügen muss.
Die Familiendynastien der Quandts, Klattens, Schwarzs und Albrechts häufen immer größere Vermögen an, während der Niedriglohnsektor wächst und wächst. Die versprochenen Arbeitsplätze? Wurden oft ins Ausland verlagert. Paradebeispiel Adidas: Erst wurden die gut bezahlten deutschen Arbeitsplätze nach Asien verlagert, wo Menschen für Hungerlöhne schuften mussten. Heute werden selbst diese Arbeitskräfte durch vollautomatisierte "Speedfactories" ersetzt - Fabriken ohne Menschen, aber mit maximalen Profiten. Die großen Investitionen? Flossen in Aktienrückkäufe und Dividenden statt in bessere Löhne.
Und so schließt sich der Kreis zu Argentinien. Ob in Buenos Aires oder Berlin – der "Trickle-Down-Effekt" bleibt ein leeres Versprechen. Das Klima des Vertrauens in den internationalen Markt spiegelt sich in steigenden Aktienkursen und sinkenden Risikoprämien wider - ein perfektes Beispiel dafür, wie losgelöst die Finanzwelt von der Realität der Menschen ist. Während Analysten die "positiven Signale" der Märkte feiern, fehlt in den euphorischen Berichten jeder Hinweis auf die sozialen Kosten dieser Politik.
Die Ratingagenturen, diese selbsternannten Hohepriester des Neoliberalismus, applaudieren, wenn Sozialleistungen gekürzt und öffentliches Eigentum verscherbelt wird. Ein schlechtes Rating ist ihr Rohrstock, mit dem sie widerspenstige Länder zur neoliberalen Räson prügeln. Sparkurs, Privatisierung, Sozialabbau - das sind ihre Gebote, geschrieben auf den Tablets der Wallstreet. Ein wirtschaftspolitisches Märchen, das nur einer kleinen Elite nützt. Während die einen von "historischen Börsenhochs" und "sinkendem Länderrisiko" schwärmen, fragen sich Millionen Menschen, wie sie ihre nächste Miete bezahlen sollen.
Die Geschichte lehrt uns: Wenn Wohlstand wirklich allen zugutekommen soll, braucht es mehr als das Mantra von Steuersenkungen und Deregulierung. Es braucht einen aktiven Sozialstaat, faire Löhne und eine Steuerpolitik, die nicht nur den Reichsten dient. Aber das passt natürlich nicht in die schöne neoliberale Erzählung vom selbstregulierenden Markt, der angeblich alle Probleme löst.
Die Ratingagenturen, die einst mit ihren Bestnoten für toxische Finanzprodukte die Weltwirtschaftskrise 2008 mit ermöglichten, spielen weiter Schicksal. Ihre Macht ist ungebrochen, ihr Urteil gefürchtet wie eh und je. Dabei sind sie nichts anderes als bezahlte Cheerleader eines Systems, das die Reichen reicher und die Armen ärmer macht.
In der Zwischenzeit können wir nur hoffen, dass immer mehr Menschen den Mut finden, dieses System zu hinterfragen. Die wahren Experten sitzen nicht in den Glaspalästen der Ratingagenturen, sondern dort, wo Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Denn eines ist klar: Der einzige "Trickle-Down-Effekt", der wirklich funktioniert, ist das stetige Durchsickern des Reichtums nach oben.
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