Ein erschreckendes Lehrstück in libertärer Argumentation
Was ich kürzlich in einer Social-Media-Diskussion erlebte, verschlug mir regelrecht die Sprache. Da verteidigt doch tatsächlich ein Student der "Österreichischen Schule" eine Position, die man nur als unmenschlich bezeichnen kann: dass Eltern ihre Kinder straffrei verhungern lassen dürfen.
Angefangen hatte alles mit meinem Kommentar unter dem Namen Marigny Grilleau: "Rothbard räumt Eltern sogar das 'Recht' ein, ihre eigenen Kinder verhungern zu lassen - weil sie ihr 'Eigentum' seien."
Akt 1: Die gespielte Unwissenheit
Prompt meldete sich der Student Marius Westenberger zu Wort: "Rothbard hat Kinder meines Wissens nach nie als 'Eigentum' der Eltern bezeichnet. Gerne eine Quelle angeben."
Was für ein durchsichtiges Manöver! Wie sich später zeigte, kannte er Rothbards Position sehr genau - er wollte mich nur in Beweisnot bringen.
Akt 2: Das Originalzitat entlarvt alles
Zum Glück sprang Michael Zapf ein und stellte klar:
"tatsächlich ist richtig, das Rothbard die Kinder nicht als absolutes Eigentum der Eltern sieht, sondern als eine Art 'Treuhänderisch verwaltetes Vermögen' (Trustee Owner) welches unter ihrer absoluten 'jurisdiction' steht.
Eltern sind jedoch nicht verpflichtet sich um ihr Kind zu sorgen, auch wenn es in der Folge stirbt.
Murray N. Rothbard: The Ethics of Liberty, S. 97-107."
Und tatsächlich: Schlägt man in Rothbards Werk nach, wird es sogar noch deutlicher. Auf Seite 100 schreibt er wörtlich:
"In the free society, [...] the parent should not have a legal obligation to feed, clothe, or educate his children, since such obligations would entail positive acts coerced upon the parent and depriving the parent of his rights. [...] The parent should have the legal right not to feed the child, i.e., to allow it to die."
[Übersetzung: "In der freien Gesellschaft [...] sollten Eltern keine rechtliche Verpflichtung haben, ihre Kinder zu ernähren, zu kleiden oder auszubilden, da solche Verpflichtungen positive Handlungen bedeuten würden, die den Eltern aufgezwungen werden und sie ihrer Rechte berauben würden. [...] Die Eltern sollten das gesetzliche Recht haben, das Kind nicht zu ernähren, d.h. es sterben zu lassen."]
Rothbard formuliert hier also in erschreckender Klarheit, dass die "Rechte" der Eltern wichtiger seien als das Leben ihrer Kinder. Die von Michael Zapf erwähnte Position des "treuhänderisch verwalteten Vermögens" wird damit sogar noch übertroffen - es geht nicht nur um Verfügungsgewalt, sondern um das explizite "Recht", Kinder verhungern zu lassen.
Akt 3: Die dreiste Verdrehung
Und jetzt kommt's: Statt seine offensichtlich falsche Behauptung einzugestehen, schwenkt unser Student plötzlich um. In seiner Antwort schreibt er:
"Ich bezweifelte Ihre Aussage, weil sie nicht der Wahrheit entsprach. Rothbard betrachtet, wie von Herrn Zapf dargelegt, Kinder nicht als Eigentum ihrer Eltern. Eigentum bedeutet die vollständige Verfügungsgewalt über ein Gut, was Rothbard den Eltern eben NICHT einräumt."
Er klammert sich an Wortklauberei! Ob man es nun "Eigentum" oder "treuhänderisches Vermögen" nennt - am Ende läuft es aufs Gleiche hinaus: Eltern dürfen ihre Kinder verhungern lassen.
Aber es kommt noch besser. Er fährt fort: "Die aus dem Naturrecht hergeleitete Ethik Rothbards IST absolut konsequent. Wie bereits erwähnt, basiert sie auf dem Grundsatz, dass niemand das Recht hat, auf Kosten anderer zu leben."
Die erschreckende Logik dahinter
Lassen Sie uns das mal aufdröseln: Da werden Kinder allen Ernstes als "Schmarotzer" dargestellt, die kein Recht haben, "auf Kosten anderer zu leben." Nach dieser verdrehten Logik wären also Eltern, die ihre Kinder verhungern lassen, keine Verbrecher - sie würden nur ihr Recht verteidigen, nicht "ausgebeutet" zu werden!
Unser Student findet das Verhungernlassen von Kindern zwar angeblich auch "verachtenswert", aber hey - bestrafen dürfe man es nicht. Denn das würde ja die "Freiheit" der Eltern einschränken.
Was wir daraus lernen
Diese ganze Diskussion zeigt erschreckend klar, wohin es führt, wenn man eine Ideologie wichtiger nimmt als Menschlichkeit. Da wird mit spitzfindigen Argumenten und Wortklaubereien versucht, das Unentschuldbare zu entschuldigen.
Was als akademische Debatte getarnt daherkommt, ist in Wirklichkeit der Versuch, eine zutiefst unmenschliche Position salonfähig zu machen. Wer bereit ist, für die "Konsequenz" seiner Theorie sogar den Schutz von Kindern zu opfern, hat jeden moralischen Kompass verloren.
Und das Erschreckendste: Solche Positionen werden nicht etwa verschämt verschwiegen, sondern allen Ernstes öffentlich verteidigt - wenn auch mit allerlei rhetorischen Windungen und Verdrehungen. Das zeigt, wie weit sich diese Denkschule von jeder Form menschlicher Moral und gesellschaftlicher Verantwortung entfernt hat.
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