Die gegenwärtige Empörung über die AfD und die Debatten um ihre mögliche Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch" lenken den Blick auf eine vermeintlich klare Bedrohung der Demokratie. Doch diese Fokussierung verstellt den Blick auf eine weitaus perfidere Entwicklung, die Theodor W. Adorno bereits 1959 in einem Fernsehinterview prophetisch beschrieb: "Was ich eigentlich fürchte, ist gar nicht die Wiederkehr des Faschismus als eines manifesten Bewegungssystems, sondern sein Wiederauferstehen in der Demokratie selbst."
Die Toten dieses demokratisch verbrämten Faschismus verschwinden hinter einem Vorhang beschönigender Begriffe: Der Krieg "gegen die Völkermörder für die Menschenrechte" wird zur perversen Legitimationsformel, aus Invasionen werden "robuste Mandate", aus Angriffskriegen wird "Vorwärtsverteidigung". Aus Völkermord wird "humanitäre Intervention", aus Massentötungen werden "Kollateralschäden", aus wirtschaftlicher Kriegsführung werden "Stabilisierungsmaßnahmen". Selbst die Waffen werden sprachlich entschärft: Aus Splitter- und Streubomben werden "intelligente Wirksysteme" - als könnte man das Töten durch euphemistische Umschreibungen weniger tödlich machen. Die Liste der Euphemismen ist endlos: "Präventivschlag", "Regime Change", "Friedensmission" - ein ganzes Vokabular wurde geschaffen, um systematische Gewalt zu verschleiern und zu legitimieren.
Die Liste der direkten militärischen Interventionen ist erschreckend: Irak, Syrien, Jugoslawien - Kriege, die unter dem Banner von "Demokratie" und "Freiheit" geführt wurden, aber Hunderttausende Zivilisten das Leben kosteten. Doch die Gewalt des Systems zeigt sich nicht nur in Kriegsgebieten: Die Finanzkrise 2008 trieb allein in den USA etwa 6 Millionen Menschen in die Obdachlosigkeit, Millionen verloren ihre Arbeitsplätze, und Zehntausende begingen aus Verzweiflung Selbstmord. Diese "Kollateralschäden" der Finanzmarktspekulation werden als "normale Marktbereinigung" verbucht - ein weiteres Beispiel dafür, wie systemische Gewalt durch Sprache normalisiert wird. Noch perfider sind die "zivilisierten" Tötungsmethoden durch Wirtschaftssanktionen. Madeleine Albrights berüchtigte Aussage zu den 500.000 durch Sanktionen getöteten irakischen Kindern - "wir denken, es war es wert" - enthüllt die erschreckende Kälte dieses Systems. Diese Aussage steht symbolisch für einen Faschismus, der seine Gewalt durch bürokratische Prozesse legitimiert und Massentod durch "politische Notwendigkeit" rechtfertigt.
Die AfD - bei allen berechtigten Warnungen vor ihrer Politik - fungiert in diesem Kontext als willkommenes Ablenkungsmanöver: Je lauter der Aufschrei über ihre 20% in Umfragen, desto effektiver werden die eigentlichen Machtzentren dieses post-faschistischen Systems verschleiert. Dieser "Faschismus 2.0" operiert global, tötet durch Wirtschaftssanktionen statt Waffen, unterwirft durch Finanzinstrumente statt militärischer Besatzung und legitimiert sich durch vermeintlich demokratische Prozesse statt offener Diktatur.
In dieser Orwell'schen Verkehrung der Sprache wird Krieg zu Frieden, Unterdrückung zu Befreiung und systematischer Mord zu einem Akt der Menschlichkeit. Die vermeintlichen Verteidiger der Demokratie, die so laut vor der AfD warnen, schweigen oft beredt, wenn es um diese systematische Gewalt geht. Sie haben sich arrangiert mit einem System, das Massentod als politisches Instrument nutzt - solange er nur "demokratisch legitimiert" und "wirtschaftlich notwendig" erscheint.
Adornos Warnung von 1959 erscheint heute aktueller denn je: Der moderne Faschismus braucht keine Konzentrationslager, wenn er ganze Regionen durch Wirtschaftsblockaden in Armut und Tod treiben kann - und das alles im Namen der "regelbasierten Ordnung". Er mordet nicht nur in Uniformen, sondern auch in Anzügen, nicht nur mit Bomben, sondern auch mit Bankbilanzen und Sanktionslisten. Während die Aufmerksamkeit auf die sichtbare Gefahr von rechts gelenkt wird, setzt dieser unsichtbare Faschismus im Gewand der Demokratie sein tödliches Werk fort - effizienter und globaler als je zuvor.
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