Die Realität des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) in der Praxis
Am 28. November 2024 stellte ich einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) an den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Ziel war es, Zugang zu Informationen über die Anrechnung von Erwerbsminderungsrenten auf die Grundsicherung nach SGB XII zu erhalten - ein Thema, das tausende Menschen mit Behinderungen in Deutschland betrifft.
Die Antwort, die ich erhielt, ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Recht auf Information in Deutschland faktisch ausgehebelt werden kann: 2.400 Euro soll die Bearbeitung meines Antrags kosten.
Was ich wissen wollte
Mein Antrag umfasste:
- Studien und Gutachten zur Anrechnung von Erwerbsminderungsrenten auf die Grundsicherung (2020-2024)
- Positionspapiere zur rechtlichen Bewertung dieser Praxis, insbesondere im Hinblick auf:
- Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
- Die Konformität mit der UN-Behindertenrechtskonvention
- Die Übereinstimmung mit der EU-Grundrechtecharta
- Protokolle von Beratungen zu diesem Thema
- Statistische Erhebungen zur Situation von Erwerbsminderungsrentnern
- Relevante Korrespondenz zwischen Behörden
Die Abschreckungstaktik: 2.400 Euro für öffentliche Informationen
In der Antwort teilte mir das Büro des Behindertenbeauftragten mit:
"Nach einer ersten vorläufigen Prüfung ist von einem Zeitaufwand von ca. 20 Stunden für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehobenen Dienstes und von ca. 25 Stunden für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höheren Dienstes auszugehen. [...] Die voraussichtlichen Gebühren für die Bearbeitung Ihres Antrags würden etwa 2.400 Euro betragen."
In meinem Antrag hatte ich bereits angegeben, dass ich einer Gebührenerhebung bis zu 50 Euro zustimme und bei höheren Kosten um vorherige Rückmeldung bitte. In der Antwort teilt die Behörde nun lediglich mit, dass ein Gebührenerlass nicht in Erwägung gezogen werden könne, obwohl ich dies nicht beantragt hatte.
Transparenz nur für Reiche?
Das IFG wurde eingeführt, um Bürgern Zugang zu Informationen öffentlicher Stellen zu ermöglichen. In der Praxis scheint es jedoch so, als würde dieses Recht durch abschreckende hohe Gebühren ausgehöhlt:
- Wer kann sich 2.400 Euro leisten, um an öffentliche Informationen zu gelangen?
- Welcher durchschnittliche Bürger kann solche Summen aufbringen, um sein Recht auf Information wahrzunehmen?
- Ist Transparenz damit ein Privileg für finanziell gut situierte Menschen oder Organisationen?
Die Ressourcenfrage als Ausrede
Die Behörde argumentiert mit dem hohen Ressourcenaufwand - 45 Arbeitsstunden seien nötig, um meine Anfrage zu bearbeiten. Dabei geht es nicht um die Erstellung neuer Dokumente, sondern lediglich um die Zusammenstellung bereits vorhandener Informationen.
Man fragt sich: Ist dies der eigentliche Zweck der Gebührenregelung im IFG? Sollen Bürger durch abschreckend hohe Kosten davon abgehalten werden, ihr Recht auf Information wahrzunehmen?
Was das für unsere Demokratie bedeutet
Eine funktionierende Demokratie lebt von informierten Bürgern. Wenn der Zugang zu Informationen durch finanzielle Hürden erschwert wird, untergräbt dies einen wesentlichen Grundpfeiler demokratischer Teilhabe. Das IFG wird so zu einem zahnlosen Tiger, der sein Versprechen auf Transparenz nicht einlösen kann.
Die Frage nach der Anrechnung von Erwerbsminderungsrenten betrifft viele Menschen mit Behinderungen existenziell. Dass ausgerechnet die Behörde, die für die Belange dieser Menschen zuständig ist, den Zugang zu relevanten Informationen faktisch unmöglich macht, ist besonders bitter.
Fazit: Transparenz braucht Reform
Dieser Fall zeigt deutlich: Das IFG braucht eine Reform, die sicherstellt, dass das Recht auf Information nicht durch überhöhte Gebühren ausgehebelt werden kann. Transparenz darf kein Luxusgut sein, sondern muss allen Bürgern gleichermaßen zugänglich sein.
Was meint ihr? Habt ihr ähnliche Erfahrungen mit Informationsfreiheitsanfragen gemacht? Wie können wir für eine echte Informationsfreiheit eintreten?
Update: Ich werde weiterhin versuchen, die gewünschten Informationen zu erhalten und über den Fortgang berichten. Sollte jemand Erfahrungen oder Tipps im Umgang mit ähnlichen Situationen haben, freue ich mich über Austausch in den Kommentaren.
NACHTRAG: Die schockierende Wahrheit kommt ans Licht
28. März 2025
Was gestern noch wie eine überzogene Behördenforderung erschien, offenbart sich heute als Teil eines größeren, beunruhigenden Plans: Wie durch ein geleaktes Verhandlungspapier der Koalitionsarbeitsgruppe "Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung, Moderne Justiz" bekannt wurde, planen CDU und CSU tatsächlich die komplette Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG)!
Die 2.400 Euro Gebühren für meine Anfrage sind damit kein isolierter Fall von bürokratischer Übertreibung, sondern möglicherweise Teil einer systematischen Strategie, das IFG bereits vor seiner offiziellen Abschaffung durch prohibitive Kosten praktisch unwirksam zu machen.
Im Koalitionsverhandlungspapier steht unmissverständlich: "Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir hingegen abschaffen." Diese Zeilen, versteckt zwischen Reformen zur "Modernisierung" des Staates, entlarven die wahre Haltung zur demokratischen Transparenz: Sie ist unerwünscht.
Besonders pikant: Einer der Hauptverhandlungsführer ist ausgerechnet Philipp Amthor (CDU), der selbst durch IFG-Anfragen in Bedrängnis geriet, als seine fragwürdigen Verbindungen zum IT-Unternehmen Augustus Intelligence aufgedeckt wurden. Nun scheint er die Gelegenheit zu nutzen, das Instrument zu beseitigen, das ihn einst in Erklärungsnot brachte.
Die 2.400 Euro, die der Behindertenbeauftragte für meine Anfrage verlangt, erscheinen jetzt in einem völlig neuen Licht: als Vorgeschmack auf eine Zukunft, in der Bürger vom Zugang zu staatlichen Informationen systematisch ausgeschlossen werden sollen. Erst macht man das Recht auf Information unbezahlbar – und dann schafft man es gleich ganz ab.
Was als "Bürokratieabbau" verkauft wird, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Abbau demokratischer Kontrolle. Eine funktionierende Demokratie braucht informierte Bürger – und die Union scheint genau das verhindern zu wollen.
Ich werde nicht nur weiter um Zugang zu den Informationen über Erwerbsminderungsrenten kämpfen, sondern auch gegen diese ungeheuerliche Attacke auf unser aller Recht auf Information. Denn wenn der Staat seine Handlungen vor den Bürgern verbergen will, müssen alle Alarmglocken läuten.
Diese Entwicklung betrifft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern jeden, der in einer transparenten Demokratie leben möchte. Der Kampf um meine Anfrage ist damit zu einem Symptom eines viel größeren Problems geworden – eines Problems, das wir alle nicht ignorieren dürfen.
Quelle dazu: https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2025/03/union-will-informationsfreiheitsgesetz-abschaffen/
AntwortenLöschen"...ca. 20 Stunden für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehobenen Dienstes und von ca. 25 Stunden für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höheren Dienstes" -
jaja, wenn man die dicken Bäuche mal für'n paar Stunden vom Kampf gegen "rechts" abziehen würde, wäre ja womöglich gleich Gefahr im Verzug.
Was für eine Farce ... der Orwell'sche Stiefel in unser Gesicht eben. Gönnen wir ihnen trotzdem nicht den Sieg und bleiben wir heiter. Denn erst wenn wir uns in ihr Elend mithineinziehen lassen (was der Sinn all ihrer scheinbar sinnlosen "Maßnahmen" ist), haben sie gewonnen.
Vielen Dank für Ihren Kommentar!
LöschenIhre Bemerkung über die 20 und 25 Arbeitsstunden trifft den Nagel auf den Kopf. Klar klingt das nach reichlich Aktenbergen und Kaffee. Aber aufgeben? Das kommt für mich nicht infrage.
Das System nervt, da haben Sie absolut Recht. Es fühlt sich an, als würde man gegen Windmühlen kämpfen. Genau das scheinen die sich zu wünschen - dass wir aufgeben.
Stattdessen bleibe ich dran. An meiner Anfrage, an den Informationen über Erwerbsminderungsrenten, an der Geschichte, die hier erzählt werden muss. Jede Stimme zählt, jede Frage bohrt ein Loch in die Mauer der Bürokratie.
Ihre Ermutigung, heiter zu bleiben, ist Gold wert. Zynismus wäre der leichte Weg - Hoffnung und Hartnäckigkeit sind die wahre Rebellion.
Also: Weiterkämpfen! Mit Humor, Ausdauer und der festen Überzeugung, dass Transparenz mehr ist als nur ein Wort.